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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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zu verhöhnen, zu wirkungsvollster Darstellung bringt, umschwärmen und endlich
aus der Halle auf die Straße drängen, ein Auftritt von ergreifendster Wir¬
kung , der allein schon Dingelstedts Talent und Verdienst zu begründen im
Stande wäre. In der ersten Scene des dritten Acts (auch bei Shakespeare III, 1),
der Verhaftungssccnc Glosters. führte der Darsteller des Königs die Nnent-
sckiedenhcit und Schwäche dieses Charakters mit großer Kunst vor die Augen.
Die im 1. Theil projectirte (und also mit weggefallene) Verlobung des Königs
mit der Prinzessin von Armagnac wird in dieser Scene historisch erwähnt,
wie wir oben in eine andere die Geschichte der Jungfrau von Orleans erzählend
hereinziehen sahen. In der darauf folgenden Berathung über Glosters Tod
finde ich besonders den feinen Zug hervorzuheben, daß die Königin, die erst
ein stärkeres Wort für die Unentschiedenheit ihres Gemahls gebrauchen will,
endlich, wie man sieht, die härtere Bezeichnung hinunterkämpfcnd, mit dem
Ausdruck! der König ist zu zart -- widerwillig sich begnügt. Bei der Sendung
Uvrks nach Irland ist wieder eine moderne Interpolation eingetreten, wenn
Uork erklärt, er wolle "den mächtigsten Hebel, das Volk" in Bewegung setzen.
Ich brauche Dingelstedt nicht erst zu sagen, daß diese Ehrfurcht vor tem Volk
weder die Anschauung des fünfzehnten Jahrhunderts noch ganz insbesondere die
Shakespeares gewesen ist. Gegenüber solcher Modernisirung bleiben Sätze wie:


Der irische Kanal mein Rubicon

wenigstens im Stile des Ganze". Die Scene, welche sich daran reiht, in wel¬
cher die Ermordung Glosters zu Tage kommt, war in Einrichtung und Spiel
vortrefflich. Im Hintergrund öffnete sich ein Vorhang und zeigte die Leiche
des Protectors; zur Rechten (immer vom Zuschauer aus) tobte durch die zeit¬
weilig geöffnete Thüre der Aufruhr herein, der König (Herr Grans) ermannt
sich zur Verbannung Suffolks und sinkt wieder in sich zusammen (recht gut
dargestellt) und Winchester -- dies ist nun ein Zusatz Dingelstedts zu dem
stummen Abgehen desselben bei Shakespeare -- flieht, von Gcwissensauale"
ergriffen. Der Act schließt dann mit Margarethens und Suffolks Abschied
(Shakespeare III, 2) und der Sterbcsccne des Kardinals Winchester (III, 3).
Hier zeigte sich Herr Lehfeld besonders wacker. Dingelstedt führt den Cardinal
nicht wie Shakespeare gleich liegend vor (jedenfalls aus ren, technisch scenischem
Grund) sondern läßt ihn halb wahnsinnig hereinstürzen. Auf die Worte des
Königs:


Lord Cardinal, denkst du an ewges Heil,
So heb die Hand zum Zeichen deiner Hoffnung --

machte Herr Lehfeld einen krampfhaften Versuch die Arme zu erheben, aber das
Schuldbewußtsein drückt sie ihm nieder, und er stürzt in sich zusammen. Die
Scene schließt mit der Aufforderung des Königs:


Ein Vaterunser für die arme Seele!

zu verhöhnen, zu wirkungsvollster Darstellung bringt, umschwärmen und endlich
aus der Halle auf die Straße drängen, ein Auftritt von ergreifendster Wir¬
kung , der allein schon Dingelstedts Talent und Verdienst zu begründen im
Stande wäre. In der ersten Scene des dritten Acts (auch bei Shakespeare III, 1),
der Verhaftungssccnc Glosters. führte der Darsteller des Königs die Nnent-
sckiedenhcit und Schwäche dieses Charakters mit großer Kunst vor die Augen.
Die im 1. Theil projectirte (und also mit weggefallene) Verlobung des Königs
mit der Prinzessin von Armagnac wird in dieser Scene historisch erwähnt,
wie wir oben in eine andere die Geschichte der Jungfrau von Orleans erzählend
hereinziehen sahen. In der darauf folgenden Berathung über Glosters Tod
finde ich besonders den feinen Zug hervorzuheben, daß die Königin, die erst
ein stärkeres Wort für die Unentschiedenheit ihres Gemahls gebrauchen will,
endlich, wie man sieht, die härtere Bezeichnung hinunterkämpfcnd, mit dem
Ausdruck! der König ist zu zart — widerwillig sich begnügt. Bei der Sendung
Uvrks nach Irland ist wieder eine moderne Interpolation eingetreten, wenn
Uork erklärt, er wolle „den mächtigsten Hebel, das Volk" in Bewegung setzen.
Ich brauche Dingelstedt nicht erst zu sagen, daß diese Ehrfurcht vor tem Volk
weder die Anschauung des fünfzehnten Jahrhunderts noch ganz insbesondere die
Shakespeares gewesen ist. Gegenüber solcher Modernisirung bleiben Sätze wie:


Der irische Kanal mein Rubicon

wenigstens im Stile des Ganze». Die Scene, welche sich daran reiht, in wel¬
cher die Ermordung Glosters zu Tage kommt, war in Einrichtung und Spiel
vortrefflich. Im Hintergrund öffnete sich ein Vorhang und zeigte die Leiche
des Protectors; zur Rechten (immer vom Zuschauer aus) tobte durch die zeit¬
weilig geöffnete Thüre der Aufruhr herein, der König (Herr Grans) ermannt
sich zur Verbannung Suffolks und sinkt wieder in sich zusammen (recht gut
dargestellt) und Winchester — dies ist nun ein Zusatz Dingelstedts zu dem
stummen Abgehen desselben bei Shakespeare — flieht, von Gcwissensauale»
ergriffen. Der Act schließt dann mit Margarethens und Suffolks Abschied
(Shakespeare III, 2) und der Sterbcsccne des Kardinals Winchester (III, 3).
Hier zeigte sich Herr Lehfeld besonders wacker. Dingelstedt führt den Cardinal
nicht wie Shakespeare gleich liegend vor (jedenfalls aus ren, technisch scenischem
Grund) sondern läßt ihn halb wahnsinnig hereinstürzen. Auf die Worte des
Königs:


Lord Cardinal, denkst du an ewges Heil,
So heb die Hand zum Zeichen deiner Hoffnung —

machte Herr Lehfeld einen krampfhaften Versuch die Arme zu erheben, aber das
Schuldbewußtsein drückt sie ihm nieder, und er stürzt in sich zusammen. Die
Scene schließt mit der Aufforderung des Königs:


Ein Vaterunser für die arme Seele!
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[0269] zu verhöhnen, zu wirkungsvollster Darstellung bringt, umschwärmen und endlich aus der Halle auf die Straße drängen, ein Auftritt von ergreifendster Wir¬ kung , der allein schon Dingelstedts Talent und Verdienst zu begründen im Stande wäre. In der ersten Scene des dritten Acts (auch bei Shakespeare III, 1), der Verhaftungssccnc Glosters. führte der Darsteller des Königs die Nnent- sckiedenhcit und Schwäche dieses Charakters mit großer Kunst vor die Augen. Die im 1. Theil projectirte (und also mit weggefallene) Verlobung des Königs mit der Prinzessin von Armagnac wird in dieser Scene historisch erwähnt, wie wir oben in eine andere die Geschichte der Jungfrau von Orleans erzählend hereinziehen sahen. In der darauf folgenden Berathung über Glosters Tod finde ich besonders den feinen Zug hervorzuheben, daß die Königin, die erst ein stärkeres Wort für die Unentschiedenheit ihres Gemahls gebrauchen will, endlich, wie man sieht, die härtere Bezeichnung hinunterkämpfcnd, mit dem Ausdruck! der König ist zu zart — widerwillig sich begnügt. Bei der Sendung Uvrks nach Irland ist wieder eine moderne Interpolation eingetreten, wenn Uork erklärt, er wolle „den mächtigsten Hebel, das Volk" in Bewegung setzen. Ich brauche Dingelstedt nicht erst zu sagen, daß diese Ehrfurcht vor tem Volk weder die Anschauung des fünfzehnten Jahrhunderts noch ganz insbesondere die Shakespeares gewesen ist. Gegenüber solcher Modernisirung bleiben Sätze wie: Der irische Kanal mein Rubicon wenigstens im Stile des Ganze». Die Scene, welche sich daran reiht, in wel¬ cher die Ermordung Glosters zu Tage kommt, war in Einrichtung und Spiel vortrefflich. Im Hintergrund öffnete sich ein Vorhang und zeigte die Leiche des Protectors; zur Rechten (immer vom Zuschauer aus) tobte durch die zeit¬ weilig geöffnete Thüre der Aufruhr herein, der König (Herr Grans) ermannt sich zur Verbannung Suffolks und sinkt wieder in sich zusammen (recht gut dargestellt) und Winchester — dies ist nun ein Zusatz Dingelstedts zu dem stummen Abgehen desselben bei Shakespeare — flieht, von Gcwissensauale» ergriffen. Der Act schließt dann mit Margarethens und Suffolks Abschied (Shakespeare III, 2) und der Sterbcsccne des Kardinals Winchester (III, 3). Hier zeigte sich Herr Lehfeld besonders wacker. Dingelstedt führt den Cardinal nicht wie Shakespeare gleich liegend vor (jedenfalls aus ren, technisch scenischem Grund) sondern läßt ihn halb wahnsinnig hereinstürzen. Auf die Worte des Königs: Lord Cardinal, denkst du an ewges Heil, So heb die Hand zum Zeichen deiner Hoffnung — machte Herr Lehfeld einen krampfhaften Versuch die Arme zu erheben, aber das Schuldbewußtsein drückt sie ihm nieder, und er stürzt in sich zusammen. Die Scene schließt mit der Aufforderung des Königs: Ein Vaterunser für die arme Seele!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/269>, abgerufen am 23.07.2024.