Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

abweichen, so wird man sich veranlaßt seben, dem von sah. entworfenen Bilde
des Kaisers einige Schatten zuzufügen; von der bei Seb. mitunter hervor¬
tretenden apologetischen Tendenz zeigt sich W, in seiner ruhigen Untersuchung
des Einzelnen frei. Nur scheint auch er im Eingange die Bedeutung des
Politischen Betrugs, den Friedrich bald nach seiner Gelangung zur römisch-
deutschen Königskrone dem Papste dadurch spielte, das? er gegen die berechtigten
Erwartungen der Curie auch die Sicilianische Krone auf seinem Haupte behielt,
viel zu sehr abzuschwächen. Wenn Friedrich, nach vollführtem Betrüge, den
Papst durch eine Unterscheidung zwischen (modern ausgedrückt) Personal- und
Realunion zu beruhigen suchte, so macht W., nach unserer Meinung, sich mit
diesem Unterschied viel zu viel zu thun (als ob derselbe in jener Zeit und unter
den obwaltenden Verhältnissen irgendeine wirkliche Erheblichkeit gehabt hätte!)
und daß, nachdem die Curie in diesem Punkte getäuscht und die römische Kaiser¬
krone mit der sicilischen auf einem Haupte vereinigt war. jeder politisch tüchtige
Papst sich von Haus aus auf halben Kriegsfuß zu Friedrich gesetzt fühlen
mußte, bleibt unerörtert. Weiterhin aber wird deutlich zu erkennen gegeben,
daß der Gedanke des Kaisers, im Jahre 1226 den Kampf mit den Lombarden
aufzunehmen, in seiner Ausführung fast nothwendig den Bruch mit dem Papste
bereits damals hätte herbeiführe" müssen und daher zu den Krcuzzugsverpflich-
tungcn, die der Kaiser dem Papste gegenüber auf sich genommen, in schlechtem
Verhältnisse stand. Bedeutsamer noch fallt, für die Beurtheilung von Friedrichs
Persönlichkeit, ins Gewicht, daß in der vielumstrittencn Frage über die Ermor¬
dung des Herzogs Ludwig von Bayern (S. 39") W. die Ansicht Böhmers
theilt, die Schuld Friedrichs sei hier mehr als muthmaßlich (gebe es dock
ähnliche Blutflecke in seinem Leben!); mindestens ebenso bedeutsam, daß W.
gegen Schirrmaehcr und Nitzsch die Zeugnisse der morgenländischen Schriftsteller
über Friedrichs religiösen Jndifferentismus aufrecht erhält; die grausamen Ketzer-
Verfolgungen, die unter Friedrich stattfanden, erscheinen demnach, soweit die
Sache ihn anging, nur als Ausfluß kalter politischer Berechnung. -- So
würde denn die Vorstellung, die wir aus Winkelmanns Erörterungen von dem
Kaiser gewinnen, sich in Manchem von der durch Schirrmacher gegebenen ent¬
fernen, und zwar nicht der grellen Schilderung Höflers, wohl aber der in
scharfen Striche" ausgeführten Charakteristik annähern, die Huillard-Breholles
in der iirtrociuetion zu der Ilikchoi'in "liplom-nim, gegeben. Mag nun aber auch
Einzelnes noch streitig bleiben, -- keinenfalls wird künftighin jemand an der,
von einem befriedigenden Abschlüsse noch sehr entfernten Arbeit, Friedrich und
seine Zeit uns zum richtigen und vollen Verständnisse zu bringen, sich betheiligen
dürfen, ohne auf die Leistungen des Verfassers eingehend Rücksicht zu nehme";
und lebhaft ist zu wünschen, daß dieser seine fleißigen und gewissenhaften
Studien auf die, auch von Schirrmacher noch nicht beschriebenen letzten Ab-


abweichen, so wird man sich veranlaßt seben, dem von sah. entworfenen Bilde
des Kaisers einige Schatten zuzufügen; von der bei Seb. mitunter hervor¬
tretenden apologetischen Tendenz zeigt sich W, in seiner ruhigen Untersuchung
des Einzelnen frei. Nur scheint auch er im Eingange die Bedeutung des
Politischen Betrugs, den Friedrich bald nach seiner Gelangung zur römisch-
deutschen Königskrone dem Papste dadurch spielte, das? er gegen die berechtigten
Erwartungen der Curie auch die Sicilianische Krone auf seinem Haupte behielt,
viel zu sehr abzuschwächen. Wenn Friedrich, nach vollführtem Betrüge, den
Papst durch eine Unterscheidung zwischen (modern ausgedrückt) Personal- und
Realunion zu beruhigen suchte, so macht W., nach unserer Meinung, sich mit
diesem Unterschied viel zu viel zu thun (als ob derselbe in jener Zeit und unter
den obwaltenden Verhältnissen irgendeine wirkliche Erheblichkeit gehabt hätte!)
und daß, nachdem die Curie in diesem Punkte getäuscht und die römische Kaiser¬
krone mit der sicilischen auf einem Haupte vereinigt war. jeder politisch tüchtige
Papst sich von Haus aus auf halben Kriegsfuß zu Friedrich gesetzt fühlen
mußte, bleibt unerörtert. Weiterhin aber wird deutlich zu erkennen gegeben,
daß der Gedanke des Kaisers, im Jahre 1226 den Kampf mit den Lombarden
aufzunehmen, in seiner Ausführung fast nothwendig den Bruch mit dem Papste
bereits damals hätte herbeiführe» müssen und daher zu den Krcuzzugsverpflich-
tungcn, die der Kaiser dem Papste gegenüber auf sich genommen, in schlechtem
Verhältnisse stand. Bedeutsamer noch fallt, für die Beurtheilung von Friedrichs
Persönlichkeit, ins Gewicht, daß in der vielumstrittencn Frage über die Ermor¬
dung des Herzogs Ludwig von Bayern (S. 39») W. die Ansicht Böhmers
theilt, die Schuld Friedrichs sei hier mehr als muthmaßlich (gebe es dock
ähnliche Blutflecke in seinem Leben!); mindestens ebenso bedeutsam, daß W.
gegen Schirrmaehcr und Nitzsch die Zeugnisse der morgenländischen Schriftsteller
über Friedrichs religiösen Jndifferentismus aufrecht erhält; die grausamen Ketzer-
Verfolgungen, die unter Friedrich stattfanden, erscheinen demnach, soweit die
Sache ihn anging, nur als Ausfluß kalter politischer Berechnung. — So
würde denn die Vorstellung, die wir aus Winkelmanns Erörterungen von dem
Kaiser gewinnen, sich in Manchem von der durch Schirrmacher gegebenen ent¬
fernen, und zwar nicht der grellen Schilderung Höflers, wohl aber der in
scharfen Striche» ausgeführten Charakteristik annähern, die Huillard-Breholles
in der iirtrociuetion zu der Ilikchoi'in «liplom-nim, gegeben. Mag nun aber auch
Einzelnes noch streitig bleiben, — keinenfalls wird künftighin jemand an der,
von einem befriedigenden Abschlüsse noch sehr entfernten Arbeit, Friedrich und
seine Zeit uns zum richtigen und vollen Verständnisse zu bringen, sich betheiligen
dürfen, ohne auf die Leistungen des Verfassers eingehend Rücksicht zu nehme»;
und lebhaft ist zu wünschen, daß dieser seine fleißigen und gewissenhaften
Studien auf die, auch von Schirrmacher noch nicht beschriebenen letzten Ab-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0263" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188824"/>
          <p xml:id="ID_870" prev="#ID_869" next="#ID_871"> abweichen, so wird man sich veranlaßt seben, dem von sah. entworfenen Bilde<lb/>
des Kaisers einige Schatten zuzufügen; von der bei Seb. mitunter hervor¬<lb/>
tretenden apologetischen Tendenz zeigt sich W, in seiner ruhigen Untersuchung<lb/>
des Einzelnen frei. Nur scheint auch er im Eingange die Bedeutung des<lb/>
Politischen Betrugs, den Friedrich bald nach seiner Gelangung zur römisch-<lb/>
deutschen Königskrone dem Papste dadurch spielte, das? er gegen die berechtigten<lb/>
Erwartungen der Curie auch die Sicilianische Krone auf seinem Haupte behielt,<lb/>
viel zu sehr abzuschwächen. Wenn Friedrich, nach vollführtem Betrüge, den<lb/>
Papst durch eine Unterscheidung zwischen (modern ausgedrückt) Personal- und<lb/>
Realunion zu beruhigen suchte, so macht W., nach unserer Meinung, sich mit<lb/>
diesem Unterschied viel zu viel zu thun (als ob derselbe in jener Zeit und unter<lb/>
den obwaltenden Verhältnissen irgendeine wirkliche Erheblichkeit gehabt hätte!)<lb/>
und daß, nachdem die Curie in diesem Punkte getäuscht und die römische Kaiser¬<lb/>
krone mit der sicilischen auf einem Haupte vereinigt war. jeder politisch tüchtige<lb/>
Papst sich von Haus aus auf halben Kriegsfuß zu Friedrich gesetzt fühlen<lb/>
mußte, bleibt unerörtert. Weiterhin aber wird deutlich zu erkennen gegeben,<lb/>
daß der Gedanke des Kaisers, im Jahre 1226 den Kampf mit den Lombarden<lb/>
aufzunehmen, in seiner Ausführung fast nothwendig den Bruch mit dem Papste<lb/>
bereits damals hätte herbeiführe» müssen und daher zu den Krcuzzugsverpflich-<lb/>
tungcn, die der Kaiser dem Papste gegenüber auf sich genommen, in schlechtem<lb/>
Verhältnisse stand. Bedeutsamer noch fallt, für die Beurtheilung von Friedrichs<lb/>
Persönlichkeit, ins Gewicht, daß in der vielumstrittencn Frage über die Ermor¬<lb/>
dung des Herzogs Ludwig von Bayern (S. 39») W. die Ansicht Böhmers<lb/>
theilt, die Schuld Friedrichs sei hier mehr als muthmaßlich (gebe es dock<lb/>
ähnliche Blutflecke in seinem Leben!); mindestens ebenso bedeutsam, daß W.<lb/>
gegen Schirrmaehcr und Nitzsch die Zeugnisse der morgenländischen Schriftsteller<lb/>
über Friedrichs religiösen Jndifferentismus aufrecht erhält; die grausamen Ketzer-<lb/>
Verfolgungen, die unter Friedrich stattfanden, erscheinen demnach, soweit die<lb/>
Sache ihn anging, nur als Ausfluß kalter politischer Berechnung. &#x2014; So<lb/>
würde denn die Vorstellung, die wir aus Winkelmanns Erörterungen von dem<lb/>
Kaiser gewinnen, sich in Manchem von der durch Schirrmacher gegebenen ent¬<lb/>
fernen, und zwar nicht der grellen Schilderung Höflers, wohl aber der in<lb/>
scharfen Striche» ausgeführten Charakteristik annähern, die Huillard-Breholles<lb/>
in der iirtrociuetion zu der Ilikchoi'in «liplom-nim, gegeben. Mag nun aber auch<lb/>
Einzelnes noch streitig bleiben, &#x2014; keinenfalls wird künftighin jemand an der,<lb/>
von einem befriedigenden Abschlüsse noch sehr entfernten Arbeit, Friedrich und<lb/>
seine Zeit uns zum richtigen und vollen Verständnisse zu bringen, sich betheiligen<lb/>
dürfen, ohne auf die Leistungen des Verfassers eingehend Rücksicht zu nehme»;<lb/>
und lebhaft ist zu wünschen, daß dieser seine fleißigen und gewissenhaften<lb/>
Studien auf die, auch von Schirrmacher noch nicht beschriebenen letzten Ab-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0263] abweichen, so wird man sich veranlaßt seben, dem von sah. entworfenen Bilde des Kaisers einige Schatten zuzufügen; von der bei Seb. mitunter hervor¬ tretenden apologetischen Tendenz zeigt sich W, in seiner ruhigen Untersuchung des Einzelnen frei. Nur scheint auch er im Eingange die Bedeutung des Politischen Betrugs, den Friedrich bald nach seiner Gelangung zur römisch- deutschen Königskrone dem Papste dadurch spielte, das? er gegen die berechtigten Erwartungen der Curie auch die Sicilianische Krone auf seinem Haupte behielt, viel zu sehr abzuschwächen. Wenn Friedrich, nach vollführtem Betrüge, den Papst durch eine Unterscheidung zwischen (modern ausgedrückt) Personal- und Realunion zu beruhigen suchte, so macht W., nach unserer Meinung, sich mit diesem Unterschied viel zu viel zu thun (als ob derselbe in jener Zeit und unter den obwaltenden Verhältnissen irgendeine wirkliche Erheblichkeit gehabt hätte!) und daß, nachdem die Curie in diesem Punkte getäuscht und die römische Kaiser¬ krone mit der sicilischen auf einem Haupte vereinigt war. jeder politisch tüchtige Papst sich von Haus aus auf halben Kriegsfuß zu Friedrich gesetzt fühlen mußte, bleibt unerörtert. Weiterhin aber wird deutlich zu erkennen gegeben, daß der Gedanke des Kaisers, im Jahre 1226 den Kampf mit den Lombarden aufzunehmen, in seiner Ausführung fast nothwendig den Bruch mit dem Papste bereits damals hätte herbeiführe» müssen und daher zu den Krcuzzugsverpflich- tungcn, die der Kaiser dem Papste gegenüber auf sich genommen, in schlechtem Verhältnisse stand. Bedeutsamer noch fallt, für die Beurtheilung von Friedrichs Persönlichkeit, ins Gewicht, daß in der vielumstrittencn Frage über die Ermor¬ dung des Herzogs Ludwig von Bayern (S. 39») W. die Ansicht Böhmers theilt, die Schuld Friedrichs sei hier mehr als muthmaßlich (gebe es dock ähnliche Blutflecke in seinem Leben!); mindestens ebenso bedeutsam, daß W. gegen Schirrmaehcr und Nitzsch die Zeugnisse der morgenländischen Schriftsteller über Friedrichs religiösen Jndifferentismus aufrecht erhält; die grausamen Ketzer- Verfolgungen, die unter Friedrich stattfanden, erscheinen demnach, soweit die Sache ihn anging, nur als Ausfluß kalter politischer Berechnung. — So würde denn die Vorstellung, die wir aus Winkelmanns Erörterungen von dem Kaiser gewinnen, sich in Manchem von der durch Schirrmacher gegebenen ent¬ fernen, und zwar nicht der grellen Schilderung Höflers, wohl aber der in scharfen Striche» ausgeführten Charakteristik annähern, die Huillard-Breholles in der iirtrociuetion zu der Ilikchoi'in «liplom-nim, gegeben. Mag nun aber auch Einzelnes noch streitig bleiben, — keinenfalls wird künftighin jemand an der, von einem befriedigenden Abschlüsse noch sehr entfernten Arbeit, Friedrich und seine Zeit uns zum richtigen und vollen Verständnisse zu bringen, sich betheiligen dürfen, ohne auf die Leistungen des Verfassers eingehend Rücksicht zu nehme»; und lebhaft ist zu wünschen, daß dieser seine fleißigen und gewissenhaften Studien auf die, auch von Schirrmacher noch nicht beschriebenen letzten Ab-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/263
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/263>, abgerufen am 25.08.2024.