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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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gebende Begeisterung in den Kundgebungen der Nation. Mochten unter den
Fürsten etliche lauernd bei Seite treten, andere sich trotzig auflehnen: ihr schien
ein Heiland gekommen; ein schöner gläubiger Zug zwang die Massen ihm zu.
In den, gelehrten wie in den heilig-trivialen Doctrinen von der Autorität des
obersten Hauptes, wie sie damals laut wurden und allenthalben variirt die
Gedanken der Nation durchdrangen, wurde es kund, wie hoch von Nöthen ein
echter König war, "des Name Regent heiße um des Willen, weil er das ihm
unterthänige Volk regieren, das heiße, es zu seinem Ziele leiten müsse, zu po¬
litischer und moralischer Glückseligkeit, zu Frieden und Wohlstand, zu Ehrbarkeit
und würdiger Gottesverehrung."

Bei weitem das wichtigste Zeugniß für den großen Sinn, in welchem
Sigismund die neue Bahn betrat, lag in dem Schritt, mit welchem er seine
Regierung inaugmirte. Er übertrug die Hauptmannschaft in den Marken, welche
nach Josef Tode ganz an ihn gekommen war, dem Burggrafen von Nürnberg
und vervollständigte kurz darauf die Erhebung desselben durch Uebertragung der
Ku"- und Erzkämmererwürde. Dieser Act war gleich bedeutsam für das Reich
wie für jene Länder. Es ist gezeigt worden, daß unter den damaligen Fürsten
keiner war, der in seiner Stellung "als Edelmann des Reiches" so sehr seine
Ehre und Pflicht suchte wie Friedrich von Hohenzollern, in dessen Hause diese
Auffassung des Fürstcnberufcs seit Jahrhunderten Tradition war. In ihm
bekam der Gegensatz der territorialen Richtung nicht nur Sitz und Stimme im
mitrcgierenden Reichscollcgium, sondern zugleich eine Macht, die. richtig genützt,
alle andern Kurhäuser überbot, selbst Böhmen nicht ausgenommen, vor welchem
sie den Stammbcsitz inmitten des Reiches voraus hatte. Aber es war ein
starkes Stück Arbeit, das der neue Markgraf auf sich nahm. Wir sahen, wie
jene Gebiete sich aus dem Reiche "hinausgelebt" hatten, als dessen eigentlicher
Sitz je länger je mehr der Südwesten Deutschlands betrachtet worden war.
Auffällig gering war der Antheil, den damals und zum großen Theil auch später
noch die niederdeutschen Lande insgesammt an den Geschicken der Nation ge¬
nommen haben. Sie glaubten sich selber zu tragen und wollten auch nur sich
selber leben. Diese Selbstlust führte, wie wir sahen, dahin, daß sie sich all-
mälig in ihre ständischen Elemente zersetzt hatten, unbekümmert um die Gefahr,
von den fremden Nachbarn nach und nach verschlungen zu werden. Jeder Machte
nur darauf, sich seiner Haut zu wehren. Kein anderes Gefühl der Gemein¬
samkeit war in diesen Rcichsatomen. als dasjenige des materiellen Interesses.

Droysen bezeichnet es treffend als "das letzte Aufleuchten des ghibellinischcn
Gedankens", daß mit einem Zuge nicht nur der Staatslosigkeit, sondern auch
der Entfremdung von Deutschland ein Ende gemacht wurde. Und mehr noch:
während es scheinen konnte als sei das altkaiserliche Princip aus dem Reiche
verwiesen, da man den Burggrafen in die Marken ziehen sah, wurde in Wahr-


gebende Begeisterung in den Kundgebungen der Nation. Mochten unter den
Fürsten etliche lauernd bei Seite treten, andere sich trotzig auflehnen: ihr schien
ein Heiland gekommen; ein schöner gläubiger Zug zwang die Massen ihm zu.
In den, gelehrten wie in den heilig-trivialen Doctrinen von der Autorität des
obersten Hauptes, wie sie damals laut wurden und allenthalben variirt die
Gedanken der Nation durchdrangen, wurde es kund, wie hoch von Nöthen ein
echter König war, „des Name Regent heiße um des Willen, weil er das ihm
unterthänige Volk regieren, das heiße, es zu seinem Ziele leiten müsse, zu po¬
litischer und moralischer Glückseligkeit, zu Frieden und Wohlstand, zu Ehrbarkeit
und würdiger Gottesverehrung."

Bei weitem das wichtigste Zeugniß für den großen Sinn, in welchem
Sigismund die neue Bahn betrat, lag in dem Schritt, mit welchem er seine
Regierung inaugmirte. Er übertrug die Hauptmannschaft in den Marken, welche
nach Josef Tode ganz an ihn gekommen war, dem Burggrafen von Nürnberg
und vervollständigte kurz darauf die Erhebung desselben durch Uebertragung der
Ku»- und Erzkämmererwürde. Dieser Act war gleich bedeutsam für das Reich
wie für jene Länder. Es ist gezeigt worden, daß unter den damaligen Fürsten
keiner war, der in seiner Stellung „als Edelmann des Reiches" so sehr seine
Ehre und Pflicht suchte wie Friedrich von Hohenzollern, in dessen Hause diese
Auffassung des Fürstcnberufcs seit Jahrhunderten Tradition war. In ihm
bekam der Gegensatz der territorialen Richtung nicht nur Sitz und Stimme im
mitrcgierenden Reichscollcgium, sondern zugleich eine Macht, die. richtig genützt,
alle andern Kurhäuser überbot, selbst Böhmen nicht ausgenommen, vor welchem
sie den Stammbcsitz inmitten des Reiches voraus hatte. Aber es war ein
starkes Stück Arbeit, das der neue Markgraf auf sich nahm. Wir sahen, wie
jene Gebiete sich aus dem Reiche „hinausgelebt" hatten, als dessen eigentlicher
Sitz je länger je mehr der Südwesten Deutschlands betrachtet worden war.
Auffällig gering war der Antheil, den damals und zum großen Theil auch später
noch die niederdeutschen Lande insgesammt an den Geschicken der Nation ge¬
nommen haben. Sie glaubten sich selber zu tragen und wollten auch nur sich
selber leben. Diese Selbstlust führte, wie wir sahen, dahin, daß sie sich all-
mälig in ihre ständischen Elemente zersetzt hatten, unbekümmert um die Gefahr,
von den fremden Nachbarn nach und nach verschlungen zu werden. Jeder Machte
nur darauf, sich seiner Haut zu wehren. Kein anderes Gefühl der Gemein¬
samkeit war in diesen Rcichsatomen. als dasjenige des materiellen Interesses.

Droysen bezeichnet es treffend als „das letzte Aufleuchten des ghibellinischcn
Gedankens", daß mit einem Zuge nicht nur der Staatslosigkeit, sondern auch
der Entfremdung von Deutschland ein Ende gemacht wurde. Und mehr noch:
während es scheinen konnte als sei das altkaiserliche Princip aus dem Reiche
verwiesen, da man den Burggrafen in die Marken ziehen sah, wurde in Wahr-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/23>, abgerufen am 23.07.2024.