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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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als Aberglaube von dem Arzt, dem Geistlichen, dem Richter verurtheilt wer¬
den müssen. Gerade auf diesem Gebiet macht unsere menschenfreundliche Auf¬
klärung die ernste Erfahrung, daß die originelle Poesie im Volke viel schneller
durch unsere Cultur beseitigt wird, als die alterthümlichen Vorstellungen, von
denen irgendein praktischer Nutzen erwartet wird. Hier kann, wer zu suchen
versteht, überreiche Erndte halten. Noch begrüßt das Landvolk Gothas bei
einem ausgebrochenen Feuer die Ankunft des Landesherrn mit besonderem Ver¬
trauen, weil dieser von seinen Vorfahren her das Geheimniß des Feuersegens
geerbt hat, durch welchen er der Flamme Halt gebieten kann. Freilich muß er
aber, sobald der Zauber gesprochen ist, schleunig von der Brandstätte zurück¬
weichen, weil die Flammen ihn dann selbst fordern und lohnend auf ihn zu¬
fahren.. Der Glaube an Hexen, an verborgene Schätze, an Gespenster und
Hausgeister, an Vorzeichen, an gute und schädliche Tage, ein weites Gebiet ge¬
heimen Glaubens und Meinens entzieht sich allerdings sehr scheu dem Urtheil
der Gebildeten, Daß es im Rückzug begriffen ist, wird am klarsten bei einem
Vergleich mit früherer Zeit. Vor hundert Jahre" war ein Dorfpfarrer auf¬
geklärt, wenn er nicht an den geheimnißvollen Hund mit glühenden Augen
glaubte, der in der Erde auf seinem Schatze saß. Jetzt ist wohl in jedem
Dorf eine Anzahl tüchtiger Wirthe, welche das Schatzgräber für unnütze Ar¬
beit hält.

Schlechter steht es mit den Volksgebrnuchen, bei denen ein festes Ceremo-
niell, eine kleine dramatische Action, Masken und Wechselreden Brauch waren
bei Jahresfesten, Familienfesten, geselligen Freuden. Auch hier hat die Ein¬
wirkung der Zeit und das Bestreben des jüngeren Geschlechtes modisch zu wer¬
den , das Meiste zerweht. Noch am Ende des siebzehnten Jahrhunderts kannte
man in thüringischen Dörfern uralte Waffentanze der jungen Burschen mit ih¬
ren Melodien, leine Kenntniß davon ist uns geblieben. Die dramatischen Auf¬
züge der zwölf Nächte oder des Dreikönigsfestes, die Oster- und Johcmnisfest-
lichkeiten. die Maibäume, die jheimischen Erntegebräuche sind zum Theil
verschwunden, zum Theil haben sie sich völlig modernisirt. Doch ist in den
Dörfern, welche dem Stadtverkehr fern liegen, auch davon noch sehr Alter¬
thümliches zu finden. Für einen anderen Kreis von Dorfeinrichtungen, auf welchen
erst seit kurzem die Wissenschaft wirkt, die alte Flureintheilung, ist gerade in
diesen Jahren für dieses Land die Zeit des Sammelns gekommen. Sobald die
Auflösung der geschlossenen Dorffluren und der Dreifelderwirthschaft vollendet
ist und die neue Zusammenlegung geschlossene Einzelgüter geschaffen hat, wer¬
den die alten Namen der Dorsflur, die kleinen Sagen, welche daran hängen
und die frühere Bodentheilung schnell vergessen werden. Auch ihr äußeres Aus¬
sehen werden die thüringischen Dörfer schnell ändern. Getöse von den engen
Dorfgassen werden sich in wenig Jahrzehnten Einzelhöfe erheben, und wer in


Grenzboten II. 1864, - 28

als Aberglaube von dem Arzt, dem Geistlichen, dem Richter verurtheilt wer¬
den müssen. Gerade auf diesem Gebiet macht unsere menschenfreundliche Auf¬
klärung die ernste Erfahrung, daß die originelle Poesie im Volke viel schneller
durch unsere Cultur beseitigt wird, als die alterthümlichen Vorstellungen, von
denen irgendein praktischer Nutzen erwartet wird. Hier kann, wer zu suchen
versteht, überreiche Erndte halten. Noch begrüßt das Landvolk Gothas bei
einem ausgebrochenen Feuer die Ankunft des Landesherrn mit besonderem Ver¬
trauen, weil dieser von seinen Vorfahren her das Geheimniß des Feuersegens
geerbt hat, durch welchen er der Flamme Halt gebieten kann. Freilich muß er
aber, sobald der Zauber gesprochen ist, schleunig von der Brandstätte zurück¬
weichen, weil die Flammen ihn dann selbst fordern und lohnend auf ihn zu¬
fahren.. Der Glaube an Hexen, an verborgene Schätze, an Gespenster und
Hausgeister, an Vorzeichen, an gute und schädliche Tage, ein weites Gebiet ge¬
heimen Glaubens und Meinens entzieht sich allerdings sehr scheu dem Urtheil
der Gebildeten, Daß es im Rückzug begriffen ist, wird am klarsten bei einem
Vergleich mit früherer Zeit. Vor hundert Jahre» war ein Dorfpfarrer auf¬
geklärt, wenn er nicht an den geheimnißvollen Hund mit glühenden Augen
glaubte, der in der Erde auf seinem Schatze saß. Jetzt ist wohl in jedem
Dorf eine Anzahl tüchtiger Wirthe, welche das Schatzgräber für unnütze Ar¬
beit hält.

Schlechter steht es mit den Volksgebrnuchen, bei denen ein festes Ceremo-
niell, eine kleine dramatische Action, Masken und Wechselreden Brauch waren
bei Jahresfesten, Familienfesten, geselligen Freuden. Auch hier hat die Ein¬
wirkung der Zeit und das Bestreben des jüngeren Geschlechtes modisch zu wer¬
den , das Meiste zerweht. Noch am Ende des siebzehnten Jahrhunderts kannte
man in thüringischen Dörfern uralte Waffentanze der jungen Burschen mit ih¬
ren Melodien, leine Kenntniß davon ist uns geblieben. Die dramatischen Auf¬
züge der zwölf Nächte oder des Dreikönigsfestes, die Oster- und Johcmnisfest-
lichkeiten. die Maibäume, die jheimischen Erntegebräuche sind zum Theil
verschwunden, zum Theil haben sie sich völlig modernisirt. Doch ist in den
Dörfern, welche dem Stadtverkehr fern liegen, auch davon noch sehr Alter¬
thümliches zu finden. Für einen anderen Kreis von Dorfeinrichtungen, auf welchen
erst seit kurzem die Wissenschaft wirkt, die alte Flureintheilung, ist gerade in
diesen Jahren für dieses Land die Zeit des Sammelns gekommen. Sobald die
Auflösung der geschlossenen Dorffluren und der Dreifelderwirthschaft vollendet
ist und die neue Zusammenlegung geschlossene Einzelgüter geschaffen hat, wer¬
den die alten Namen der Dorsflur, die kleinen Sagen, welche daran hängen
und die frühere Bodentheilung schnell vergessen werden. Auch ihr äußeres Aus¬
sehen werden die thüringischen Dörfer schnell ändern. Getöse von den engen
Dorfgassen werden sich in wenig Jahrzehnten Einzelhöfe erheben, und wer in


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[0225] als Aberglaube von dem Arzt, dem Geistlichen, dem Richter verurtheilt wer¬ den müssen. Gerade auf diesem Gebiet macht unsere menschenfreundliche Auf¬ klärung die ernste Erfahrung, daß die originelle Poesie im Volke viel schneller durch unsere Cultur beseitigt wird, als die alterthümlichen Vorstellungen, von denen irgendein praktischer Nutzen erwartet wird. Hier kann, wer zu suchen versteht, überreiche Erndte halten. Noch begrüßt das Landvolk Gothas bei einem ausgebrochenen Feuer die Ankunft des Landesherrn mit besonderem Ver¬ trauen, weil dieser von seinen Vorfahren her das Geheimniß des Feuersegens geerbt hat, durch welchen er der Flamme Halt gebieten kann. Freilich muß er aber, sobald der Zauber gesprochen ist, schleunig von der Brandstätte zurück¬ weichen, weil die Flammen ihn dann selbst fordern und lohnend auf ihn zu¬ fahren.. Der Glaube an Hexen, an verborgene Schätze, an Gespenster und Hausgeister, an Vorzeichen, an gute und schädliche Tage, ein weites Gebiet ge¬ heimen Glaubens und Meinens entzieht sich allerdings sehr scheu dem Urtheil der Gebildeten, Daß es im Rückzug begriffen ist, wird am klarsten bei einem Vergleich mit früherer Zeit. Vor hundert Jahre» war ein Dorfpfarrer auf¬ geklärt, wenn er nicht an den geheimnißvollen Hund mit glühenden Augen glaubte, der in der Erde auf seinem Schatze saß. Jetzt ist wohl in jedem Dorf eine Anzahl tüchtiger Wirthe, welche das Schatzgräber für unnütze Ar¬ beit hält. Schlechter steht es mit den Volksgebrnuchen, bei denen ein festes Ceremo- niell, eine kleine dramatische Action, Masken und Wechselreden Brauch waren bei Jahresfesten, Familienfesten, geselligen Freuden. Auch hier hat die Ein¬ wirkung der Zeit und das Bestreben des jüngeren Geschlechtes modisch zu wer¬ den , das Meiste zerweht. Noch am Ende des siebzehnten Jahrhunderts kannte man in thüringischen Dörfern uralte Waffentanze der jungen Burschen mit ih¬ ren Melodien, leine Kenntniß davon ist uns geblieben. Die dramatischen Auf¬ züge der zwölf Nächte oder des Dreikönigsfestes, die Oster- und Johcmnisfest- lichkeiten. die Maibäume, die jheimischen Erntegebräuche sind zum Theil verschwunden, zum Theil haben sie sich völlig modernisirt. Doch ist in den Dörfern, welche dem Stadtverkehr fern liegen, auch davon noch sehr Alter¬ thümliches zu finden. Für einen anderen Kreis von Dorfeinrichtungen, auf welchen erst seit kurzem die Wissenschaft wirkt, die alte Flureintheilung, ist gerade in diesen Jahren für dieses Land die Zeit des Sammelns gekommen. Sobald die Auflösung der geschlossenen Dorffluren und der Dreifelderwirthschaft vollendet ist und die neue Zusammenlegung geschlossene Einzelgüter geschaffen hat, wer¬ den die alten Namen der Dorsflur, die kleinen Sagen, welche daran hängen und die frühere Bodentheilung schnell vergessen werden. Auch ihr äußeres Aus¬ sehen werden die thüringischen Dörfer schnell ändern. Getöse von den engen Dorfgassen werden sich in wenig Jahrzehnten Einzelhöfe erheben, und wer in Grenzboten II. 1864, - 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/225>, abgerufen am 23.07.2024.