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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Theil hatten. Alles verlangte ein neues allgemeines Concil. Und man hatte
etwas gelernt durch das freilich erfolglose Pisanum: man fühlte die Solidari¬
tät des politischen und kirchlichen Interesses. "So lange es nicht einen ge¬
rechten, strengen, allgemeinen Kaiser oder König giebt, wird das Schisma nicht
blos dauern, sondern man muß besorgen, daß es immer ärger werden wird."
So schrieb Gerson, der Kanzler der pariser Universität, von Pisa aus und
diese Einsicht fand überall Eingang. Daher der Aufschrei nach einem Kaiser,
einem mächtigen und rechtschaffenen Führer. "In der Sehnsucht der Nation
lebte noch der ghibellinische Gedanke;" jetzt in der Tiefe ihrer Noth fand sie
ihn wieder. Von wannen aber sollte der Retter genommen werden?

Was sich im Reiche wirklich und ernsthaft die kaiserliche Partei unter den
Fürsten nannte, richtete das Augenmerk auf Sigismund von Ungarn. Nicht
weil er Luxemburger war und der Sohn jenes bedeutenden Karl, noch auch
darum, weil seine Vergangenheit ihn etwa als Ideal eines Fürsten hätte er¬
scheinen lassen, noch endlich deshalb, weil er sich eine freie Stellung gegenüber
dem kirchlichen Conflicte bewahrt hatte, sondern vor allem darum, weil er kühn
und wehrhaft für das Seinige gegen die Ungläubigen eingestanden war, wen¬
deten sich ihm die Sympathien zu. Gleichviel, daß Ungarn, der ferne Vorposten
des Reiches, der Schauplatz seiner Thaten gewesen; gerade die Entfernung brachte
ihm den Vortheil, daß sein Name nach andrer Beziehung noch unverbraucht
war in der Nation. Wenn er nicht der war, den man ersehnte, so konnte man
hoffen, ihn dazu zu machen durch diese Berufung. Am 20. Sept. 1410 erfolgte
seine Wahl. Ein seltsamer Act: er fand draußen vor der Thür der Bartholo-
mäuskirche in Frankfurt statt, die der widerwillige Kurfürst-Erzbischof von
Mainz den Wählenden verschlossen hatte. Dort am Chor hinter dem Frohn-
altar traten die Fürsten zusammen, lasen die Messe. leisteten den Schwur, ließen
das Gefolge abseits treten und wählte". Unter ihnen mit der Vollmacht des
Ungarnkönigs Friedrich der Sechste von Zollern. Er war es, der erklärte, "daß
er sich des heiligen Reiches an Statt und im Namen des Königs in Gottes
Namen annehme."

Wie hätte der Burggraf fehlen sollen bei einer solchen Handlung! -- aber
wie kam er in dieses Verhältniß dazu? Nicht zufällig, sondern wohlverdienter
Maßen gab er, man kann sagen den Gewährsmann dieser That ab. An Si-
gismunds Seite hatte er sich in den Kämpfen, die zur Behauptung Ungarns
geführt wurden, die Sporen verdient; sein Rath und seine Energie hatte den
Ausschlag gegeben bei dem ganzen Plane. Und nicht leichten Kaufes wurde
das kühn Begonnene durchgeführt. Erst wiederholte mißliche Verhandlungen
mit der Partei Wenzels und der Territorialen stellten die Wahl des Königs
von Ungarn sicher. Aber gleichviel, welche Opfer es gekostet hatte: vom Volke
ist er mit Jauchzen bewillkommt worden. Es war wieder einmal wirkliche, hin-


Theil hatten. Alles verlangte ein neues allgemeines Concil. Und man hatte
etwas gelernt durch das freilich erfolglose Pisanum: man fühlte die Solidari¬
tät des politischen und kirchlichen Interesses. „So lange es nicht einen ge¬
rechten, strengen, allgemeinen Kaiser oder König giebt, wird das Schisma nicht
blos dauern, sondern man muß besorgen, daß es immer ärger werden wird."
So schrieb Gerson, der Kanzler der pariser Universität, von Pisa aus und
diese Einsicht fand überall Eingang. Daher der Aufschrei nach einem Kaiser,
einem mächtigen und rechtschaffenen Führer. „In der Sehnsucht der Nation
lebte noch der ghibellinische Gedanke;" jetzt in der Tiefe ihrer Noth fand sie
ihn wieder. Von wannen aber sollte der Retter genommen werden?

Was sich im Reiche wirklich und ernsthaft die kaiserliche Partei unter den
Fürsten nannte, richtete das Augenmerk auf Sigismund von Ungarn. Nicht
weil er Luxemburger war und der Sohn jenes bedeutenden Karl, noch auch
darum, weil seine Vergangenheit ihn etwa als Ideal eines Fürsten hätte er¬
scheinen lassen, noch endlich deshalb, weil er sich eine freie Stellung gegenüber
dem kirchlichen Conflicte bewahrt hatte, sondern vor allem darum, weil er kühn
und wehrhaft für das Seinige gegen die Ungläubigen eingestanden war, wen¬
deten sich ihm die Sympathien zu. Gleichviel, daß Ungarn, der ferne Vorposten
des Reiches, der Schauplatz seiner Thaten gewesen; gerade die Entfernung brachte
ihm den Vortheil, daß sein Name nach andrer Beziehung noch unverbraucht
war in der Nation. Wenn er nicht der war, den man ersehnte, so konnte man
hoffen, ihn dazu zu machen durch diese Berufung. Am 20. Sept. 1410 erfolgte
seine Wahl. Ein seltsamer Act: er fand draußen vor der Thür der Bartholo-
mäuskirche in Frankfurt statt, die der widerwillige Kurfürst-Erzbischof von
Mainz den Wählenden verschlossen hatte. Dort am Chor hinter dem Frohn-
altar traten die Fürsten zusammen, lasen die Messe. leisteten den Schwur, ließen
das Gefolge abseits treten und wählte». Unter ihnen mit der Vollmacht des
Ungarnkönigs Friedrich der Sechste von Zollern. Er war es, der erklärte, „daß
er sich des heiligen Reiches an Statt und im Namen des Königs in Gottes
Namen annehme."

Wie hätte der Burggraf fehlen sollen bei einer solchen Handlung! — aber
wie kam er in dieses Verhältniß dazu? Nicht zufällig, sondern wohlverdienter
Maßen gab er, man kann sagen den Gewährsmann dieser That ab. An Si-
gismunds Seite hatte er sich in den Kämpfen, die zur Behauptung Ungarns
geführt wurden, die Sporen verdient; sein Rath und seine Energie hatte den
Ausschlag gegeben bei dem ganzen Plane. Und nicht leichten Kaufes wurde
das kühn Begonnene durchgeführt. Erst wiederholte mißliche Verhandlungen
mit der Partei Wenzels und der Territorialen stellten die Wahl des Königs
von Ungarn sicher. Aber gleichviel, welche Opfer es gekostet hatte: vom Volke
ist er mit Jauchzen bewillkommt worden. Es war wieder einmal wirkliche, hin-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/22>, abgerufen am 23.07.2024.