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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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die feindlichen Gruppen des Adels und der städtischen Communen gegen einander
ab. Unter Wenzel kam es denn nun zum unvermeidlichen Bürgerkrieg im
großen Maßstabe, Die Noth trat an den Mann; auch der Burggraf Friedrich
der Fünfte, nachdem er wiederholt vermittelnd zwischen die Gerüsteter getreten
war und nur mit Mühe vorläufigen Waffenstillstand durchgesetzt hatte, wurde
endlich doch in den Kampf gegen die Städte hineingerissen. Die Fürstenpartei,
die sich auf diesem Wege eng zusammenschloß, drohte auch dem Kaiser Gefahr.
Wenzels haltlose Politik war das Eingeständniß, daß er die Unrechtmäßigkeit
seiner Wahl empfand. Durch die Parteinahme für die Städte, und nach ihrer
Niederwerfung bei Dössing und Worms durch das Verrätherische Laviren zei>
tigte er sein wohlverdientes Verhängnis;. Die Ausbeutung des Sieges der
Fürsten über die Städte hatte der Burggraf gemäßigt. Sein Gerechtigkeitssinn
führte ihn in die mittlere Züchtung, die im Frieden von Eger Bestimmungen
durchführte, bei welchen sich die Besiegten füglich beruhigen konnten. Aber mit
Wenzel hatte er abgerechnet. Er war überzeugt, daß unter seinem Regimente
kein Gedeihen möglich war, und trennte sich von seinem Bruder, da dieser
beim Kaiser aushielt. Aber wie und wo den Hebel einsetzen, um das Ver¬
sunkene Reich wenigstens so weit aufzurichten, daß ein thatkräftiger Fürst die
Ordnung herzustellen unternehmen konnte? So viel war klar: es mußte, wohl
oder übel, an bestehende Anhaltepunkte angeknüpft werden. Daß es dabei nur
möglich war, Unrecht durch Unrecht zu vertreiben, hat der Burggraf nicht ver¬
schuldet. Nur um sie zu Gunsten des Reiches mitteilten zu können, schloß er
sich der Fürstenbewegung an, die in den wittelsbachischen Intriguen ihre Trieb¬
feder hatte. Ihre Verzweigung nach Frankreich durch Vermittlung der bay¬
rischen Jsabeau und des früher der Partei Wenzels anhängigen Herzogs von
Orleans, des Führers der raubsüchtigen französischen Adligen, ihr Ausgangs¬
punkt, der auf den Streit im Mainzer Hochstifte zurückwies. bei welchem Pfalz¬
graf Ruprecht der Zweite den im Widerspruch gegen die Capitelwahl vom römi¬
schen Papste patronisirten Johann von Nassau unterstützte -- alles zeigte, daß
sie fast keinem der widerwärtigen Conflicte fremd war, welche das Reich und
seine Nachbarschaft bewegten.

Obenan stand aber damals die trostlose Frage des Kirchenschismas. Mit
ihm war das letzte, höchste Band gelöst, welches wenigstens formal eine Einheit über
Alle dargestellt hatte. Nur um so nackter offenbart sich seitdem in allen poli¬
tischen Vorgängen die emancipirte Leidenschaft, es tritt überall etwas Roh--
elementarischcs zu Tage. Ganz besonders in den Machinationen, die endlich
zur Wahl Ruprechts des Dritten von der Pfalz führten. Es ward angedeutet,
daß auch Burggraf Friedrich dem marburger Fürstcnverein angehörte, der sie
zu Wege brachte. Seine Motive sind nicht nach allen Seiten erkennbar, aber
daß weder seine Verschwägerung mit dem Pfalzgrafen noch persönlicher Vortheil den


die feindlichen Gruppen des Adels und der städtischen Communen gegen einander
ab. Unter Wenzel kam es denn nun zum unvermeidlichen Bürgerkrieg im
großen Maßstabe, Die Noth trat an den Mann; auch der Burggraf Friedrich
der Fünfte, nachdem er wiederholt vermittelnd zwischen die Gerüsteter getreten
war und nur mit Mühe vorläufigen Waffenstillstand durchgesetzt hatte, wurde
endlich doch in den Kampf gegen die Städte hineingerissen. Die Fürstenpartei,
die sich auf diesem Wege eng zusammenschloß, drohte auch dem Kaiser Gefahr.
Wenzels haltlose Politik war das Eingeständniß, daß er die Unrechtmäßigkeit
seiner Wahl empfand. Durch die Parteinahme für die Städte, und nach ihrer
Niederwerfung bei Dössing und Worms durch das Verrätherische Laviren zei>
tigte er sein wohlverdientes Verhängnis;. Die Ausbeutung des Sieges der
Fürsten über die Städte hatte der Burggraf gemäßigt. Sein Gerechtigkeitssinn
führte ihn in die mittlere Züchtung, die im Frieden von Eger Bestimmungen
durchführte, bei welchen sich die Besiegten füglich beruhigen konnten. Aber mit
Wenzel hatte er abgerechnet. Er war überzeugt, daß unter seinem Regimente
kein Gedeihen möglich war, und trennte sich von seinem Bruder, da dieser
beim Kaiser aushielt. Aber wie und wo den Hebel einsetzen, um das Ver¬
sunkene Reich wenigstens so weit aufzurichten, daß ein thatkräftiger Fürst die
Ordnung herzustellen unternehmen konnte? So viel war klar: es mußte, wohl
oder übel, an bestehende Anhaltepunkte angeknüpft werden. Daß es dabei nur
möglich war, Unrecht durch Unrecht zu vertreiben, hat der Burggraf nicht ver¬
schuldet. Nur um sie zu Gunsten des Reiches mitteilten zu können, schloß er
sich der Fürstenbewegung an, die in den wittelsbachischen Intriguen ihre Trieb¬
feder hatte. Ihre Verzweigung nach Frankreich durch Vermittlung der bay¬
rischen Jsabeau und des früher der Partei Wenzels anhängigen Herzogs von
Orleans, des Führers der raubsüchtigen französischen Adligen, ihr Ausgangs¬
punkt, der auf den Streit im Mainzer Hochstifte zurückwies. bei welchem Pfalz¬
graf Ruprecht der Zweite den im Widerspruch gegen die Capitelwahl vom römi¬
schen Papste patronisirten Johann von Nassau unterstützte — alles zeigte, daß
sie fast keinem der widerwärtigen Conflicte fremd war, welche das Reich und
seine Nachbarschaft bewegten.

Obenan stand aber damals die trostlose Frage des Kirchenschismas. Mit
ihm war das letzte, höchste Band gelöst, welches wenigstens formal eine Einheit über
Alle dargestellt hatte. Nur um so nackter offenbart sich seitdem in allen poli¬
tischen Vorgängen die emancipirte Leidenschaft, es tritt überall etwas Roh--
elementarischcs zu Tage. Ganz besonders in den Machinationen, die endlich
zur Wahl Ruprechts des Dritten von der Pfalz führten. Es ward angedeutet,
daß auch Burggraf Friedrich dem marburger Fürstcnverein angehörte, der sie
zu Wege brachte. Seine Motive sind nicht nach allen Seiten erkennbar, aber
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/20>, abgerufen am 23.07.2024.