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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Herr Oberamtmann den Herrn Pfarrer in das Zimmer. Der Pfarrer kam und
sprach zu uns: Seid mir liebe Nachbarn willkommen, sehet, ich kam hierher
gefahren. ich will es vermitteln, daß ihr nach Brunn nicht, müsset, auch will
ich Euch Euern Widerstand verzeihen, und Euch aus Euern Irthümern befreien.
-- Da hackte ich Jakubetz zu ihm: Ich werde Euch Euern Irrthum melden, in
welchem Ihr irret. Ihr habt den 2. November gepredigt, daß kein Tag im
ganzen Jahr so glücklich sei, als der Tag, an dem ihr 112 Groschen bekommen
habt und doch durftet Ihr diesen Tag vom Montage bis zum Sonntage verlegen
und mich wundert, daß Ihr erst nach vier Wochen die Geschichte der Fürbitte
erledigt habt. Das ist ein Irrthum. -- Darauf sprach Czlubek zum Pfarrer:
Ihr unglücklicher Mensch, was wollt Ihr noch mit diesen Verführungen, daß
Ihr das Volk also zu Eurem Götzendienste nöthiget? Der Pfarrer aber nahm
wahr, daß er uns nicht überwinden werde, und ging davon. Wir aber schrit¬
ten herab und setzten uns auf die Wagen; mit uns aber eine große Begleitung
sammt jenem Ortsrichtcr.

Als sie uns nach Brünn zum Kreisamte in das Landhaus brachten, da
sperrten sie uns gleich ein und verhörten uns; wir haben aber tapfer geant¬
wortet und vertheidigten uns mit jener Bibel, welche auf kaiserliche Kosten ge¬
druckt war. Als sie uns nichts anhaben konnten, da sagte uns das Kreis-
gcricht. wir sollten frei nach Hause gehen und dem Herrn Pfarrer gehorchen.
Aber wir antworteten wieder, daß wir uns an das Testament halten werden.
Und dem Pfarrer bekam es übel, weil er uns kerkern ließ, ohne Ursache dazu
zu haben. Darauf fuhren wir frei nach Hause, aber der Ortsrichter wollte wieder
mit nach Hause fahren. Wir aber sagten ihm, daß er mit uns nicht fahren
könne, indem wir nach Venedig fahren müßten, wie er uns unterwegs vorher
verkündigt hatte. Und er müßte von Brünn zu Fuß nach Hause gehen.

Als wir nach Hause kamen, versammelten wir uns mehre und hielten
Rath unter einander. Wir beriethen uns, daß wir uns an den Kaiser wenden
wollten. Wir schickten daher einen Nachbar, und der war ich, Jakubetz, nach
Wien.

Als ich nach Wien kam, suchte ich gleich einen Agenten Namens Samuel
Nady und ich fand ihn dort, indem wir die Hausnummer seiner Wohnung
wußten. Aber dieser Agent wollte nicht das Memoriale schreiben. Allein ich
erwähnte ihm viele Punkte aus der heiligen Schrift, mit denen wir uns ver¬
theidigten, so daß sie uns nichts anhaben konnten. Sogleich hatte der liebe
Gott sein Herz erweicht, er bekam Muth und schrieb an Se. Majestät den
Kaiser ein Memoriale. Der Kaiser aber unterschrieb sich sogleich selbst auf
diesem Memoriale und es kam zurück nach Brünn zu dem Gubernium, damit
die Männer, welche dieses Memoriale eingereicht hätten, die Zahl der Seelen,
Welche sie angegeben hatten, nachweisen sollen. Es kam daher von Brünn der


Herr Oberamtmann den Herrn Pfarrer in das Zimmer. Der Pfarrer kam und
sprach zu uns: Seid mir liebe Nachbarn willkommen, sehet, ich kam hierher
gefahren. ich will es vermitteln, daß ihr nach Brunn nicht, müsset, auch will
ich Euch Euern Widerstand verzeihen, und Euch aus Euern Irthümern befreien.
— Da hackte ich Jakubetz zu ihm: Ich werde Euch Euern Irrthum melden, in
welchem Ihr irret. Ihr habt den 2. November gepredigt, daß kein Tag im
ganzen Jahr so glücklich sei, als der Tag, an dem ihr 112 Groschen bekommen
habt und doch durftet Ihr diesen Tag vom Montage bis zum Sonntage verlegen
und mich wundert, daß Ihr erst nach vier Wochen die Geschichte der Fürbitte
erledigt habt. Das ist ein Irrthum. — Darauf sprach Czlubek zum Pfarrer:
Ihr unglücklicher Mensch, was wollt Ihr noch mit diesen Verführungen, daß
Ihr das Volk also zu Eurem Götzendienste nöthiget? Der Pfarrer aber nahm
wahr, daß er uns nicht überwinden werde, und ging davon. Wir aber schrit¬
ten herab und setzten uns auf die Wagen; mit uns aber eine große Begleitung
sammt jenem Ortsrichtcr.

Als sie uns nach Brünn zum Kreisamte in das Landhaus brachten, da
sperrten sie uns gleich ein und verhörten uns; wir haben aber tapfer geant¬
wortet und vertheidigten uns mit jener Bibel, welche auf kaiserliche Kosten ge¬
druckt war. Als sie uns nichts anhaben konnten, da sagte uns das Kreis-
gcricht. wir sollten frei nach Hause gehen und dem Herrn Pfarrer gehorchen.
Aber wir antworteten wieder, daß wir uns an das Testament halten werden.
Und dem Pfarrer bekam es übel, weil er uns kerkern ließ, ohne Ursache dazu
zu haben. Darauf fuhren wir frei nach Hause, aber der Ortsrichter wollte wieder
mit nach Hause fahren. Wir aber sagten ihm, daß er mit uns nicht fahren
könne, indem wir nach Venedig fahren müßten, wie er uns unterwegs vorher
verkündigt hatte. Und er müßte von Brünn zu Fuß nach Hause gehen.

Als wir nach Hause kamen, versammelten wir uns mehre und hielten
Rath unter einander. Wir beriethen uns, daß wir uns an den Kaiser wenden
wollten. Wir schickten daher einen Nachbar, und der war ich, Jakubetz, nach
Wien.

Als ich nach Wien kam, suchte ich gleich einen Agenten Namens Samuel
Nady und ich fand ihn dort, indem wir die Hausnummer seiner Wohnung
wußten. Aber dieser Agent wollte nicht das Memoriale schreiben. Allein ich
erwähnte ihm viele Punkte aus der heiligen Schrift, mit denen wir uns ver¬
theidigten, so daß sie uns nichts anhaben konnten. Sogleich hatte der liebe
Gott sein Herz erweicht, er bekam Muth und schrieb an Se. Majestät den
Kaiser ein Memoriale. Der Kaiser aber unterschrieb sich sogleich selbst auf
diesem Memoriale und es kam zurück nach Brünn zu dem Gubernium, damit
die Männer, welche dieses Memoriale eingereicht hätten, die Zahl der Seelen,
Welche sie angegeben hatten, nachweisen sollen. Es kam daher von Brünn der


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[0197] Herr Oberamtmann den Herrn Pfarrer in das Zimmer. Der Pfarrer kam und sprach zu uns: Seid mir liebe Nachbarn willkommen, sehet, ich kam hierher gefahren. ich will es vermitteln, daß ihr nach Brunn nicht, müsset, auch will ich Euch Euern Widerstand verzeihen, und Euch aus Euern Irthümern befreien. — Da hackte ich Jakubetz zu ihm: Ich werde Euch Euern Irrthum melden, in welchem Ihr irret. Ihr habt den 2. November gepredigt, daß kein Tag im ganzen Jahr so glücklich sei, als der Tag, an dem ihr 112 Groschen bekommen habt und doch durftet Ihr diesen Tag vom Montage bis zum Sonntage verlegen und mich wundert, daß Ihr erst nach vier Wochen die Geschichte der Fürbitte erledigt habt. Das ist ein Irrthum. — Darauf sprach Czlubek zum Pfarrer: Ihr unglücklicher Mensch, was wollt Ihr noch mit diesen Verführungen, daß Ihr das Volk also zu Eurem Götzendienste nöthiget? Der Pfarrer aber nahm wahr, daß er uns nicht überwinden werde, und ging davon. Wir aber schrit¬ ten herab und setzten uns auf die Wagen; mit uns aber eine große Begleitung sammt jenem Ortsrichtcr. Als sie uns nach Brünn zum Kreisamte in das Landhaus brachten, da sperrten sie uns gleich ein und verhörten uns; wir haben aber tapfer geant¬ wortet und vertheidigten uns mit jener Bibel, welche auf kaiserliche Kosten ge¬ druckt war. Als sie uns nichts anhaben konnten, da sagte uns das Kreis- gcricht. wir sollten frei nach Hause gehen und dem Herrn Pfarrer gehorchen. Aber wir antworteten wieder, daß wir uns an das Testament halten werden. Und dem Pfarrer bekam es übel, weil er uns kerkern ließ, ohne Ursache dazu zu haben. Darauf fuhren wir frei nach Hause, aber der Ortsrichter wollte wieder mit nach Hause fahren. Wir aber sagten ihm, daß er mit uns nicht fahren könne, indem wir nach Venedig fahren müßten, wie er uns unterwegs vorher verkündigt hatte. Und er müßte von Brünn zu Fuß nach Hause gehen. Als wir nach Hause kamen, versammelten wir uns mehre und hielten Rath unter einander. Wir beriethen uns, daß wir uns an den Kaiser wenden wollten. Wir schickten daher einen Nachbar, und der war ich, Jakubetz, nach Wien. Als ich nach Wien kam, suchte ich gleich einen Agenten Namens Samuel Nady und ich fand ihn dort, indem wir die Hausnummer seiner Wohnung wußten. Aber dieser Agent wollte nicht das Memoriale schreiben. Allein ich erwähnte ihm viele Punkte aus der heiligen Schrift, mit denen wir uns ver¬ theidigten, so daß sie uns nichts anhaben konnten. Sogleich hatte der liebe Gott sein Herz erweicht, er bekam Muth und schrieb an Se. Majestät den Kaiser ein Memoriale. Der Kaiser aber unterschrieb sich sogleich selbst auf diesem Memoriale und es kam zurück nach Brünn zu dem Gubernium, damit die Männer, welche dieses Memoriale eingereicht hätten, die Zahl der Seelen, Welche sie angegeben hatten, nachweisen sollen. Es kam daher von Brünn der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/197>, abgerufen am 23.07.2024.