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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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zeichnet, indem sie der römischen Politik kräftig auf die Finger schlug. Aber
auch die Schattenseite fehlte nicht. Vornehmlich in der fast brutalen Zurück-
werfung der unteren volkstümlichen Mächte lag sie. Die neue Reichsverfassung
Versagte den Städten das Pfahlbürgerthum, den Wachsthum an Boden, Rechten
und Schutzübungen auf Kosten der benachbarten Herrschaften; außerdem machte
sie alle Eidgenossenschaften und Einungen vom kaiserlichen oder landesherrlichen
Consens abhängig: ein Schlag, der zugleich auch den Adel hoch und niedrig
traf. Aber zur Entschuldigung dieser auffallenden Härte muß gesagt werden:
Wie die demokratische Bewegung der Städte einmal sich anließ, so war mit
dem aristokratischen Fundament, aus welchem heraus die Reform gedacht war,
die Hemmung jener politischen Entwickelung geboten. Ihren wirthschaftlichen
Aufschwung wollte Karl keineswegs beeinträchtigen, nur bestand zwischen diesem
und jener bereits eine Solidarität, die der Kaiser anzuerkennen zögerte, so
deutlich auch ihre Schätzung von Seiten des Volkes sich damals in zahlreichen
Aufständen und später in blutigen Kämpfen kund that.

Der bittere und hartnäckige Widerspruch, den das Reichsgrundgesctz fast
bei allen nicht tur- und landfürstenmäßigcn Elementen fand, macht es den
Zollern zu einem desto schöneren Verdienste, daß sie in patriotischer Uneigen-
nützigkeit sich demselben willig fügten, und dem Kaiser sich eng und dienstfrcudig
anschlössen. Im Großen und im Kleinen gedieh ihnen die Friedensarbeit, die
sie übten; sie halfen getreulich und an hervorragender Stelle die Späne des
Reichs im kaiserlichen Sinne schlichten und daheim auf den fränkischen Bergen
wuchs und blühte ihnen immer reichlicheres Hausgut.

Allein es kam doch ein Punkt, wo sie inne hielten. Die späteren Ma߬
regeln Karls weckten den Verdacht, daß er mit den Bestimmungen der goldnen
Bulle nur sein Gewissen habe salviren wollen. Es mehrten sich die factischen
Uebertretungen von seiner Seite. Dahin gehörte die Einverleibung der Mar¬
ken von Reiche hinweg ins böhmische Königreich, dahin die Erbverbrüdcrung
mit Habsburg, die Ehcberedung mit Ungarn-Polen, insonderheit aber die Wahl¬
umtriebe zu Gunsten seines Sohnes Wenzel, und daß der Kaiser nicht anstand,
für diesen Plan am Papste einen Rückhalt zu suchen, da er im Reiche nicht
vorwärts kam. Alles zeigte, daß er selber sich außerhalb seines eigenen Ge.
setzes fühlte und daß er seinen Stützpunkt nicht im Reiche als solchem, sondern
in europäischen Combinationen wußte: Bestrebungen, die einen merkwürdig
modernen Charakter tragen. Ihre Wirkung auf die Vorgänge innerhalb des
Reiches war schnell und entscheidend. Den kaiserlichen Verfassungsbruch nützten
die Städter als Signal, um sich des Druckes, der aus ihnen lastete, mit den
Waffen zu erwehren, ^hre großen Erfolge in Schwaben, wo der Graf von
Würtemberg 1377 bei Reutlingen niedergeworfen wurde, bestimmten den Kaiser,
einen Schritt zurückzuweichen. Nur um so fester und drohender schlossen sich


zeichnet, indem sie der römischen Politik kräftig auf die Finger schlug. Aber
auch die Schattenseite fehlte nicht. Vornehmlich in der fast brutalen Zurück-
werfung der unteren volkstümlichen Mächte lag sie. Die neue Reichsverfassung
Versagte den Städten das Pfahlbürgerthum, den Wachsthum an Boden, Rechten
und Schutzübungen auf Kosten der benachbarten Herrschaften; außerdem machte
sie alle Eidgenossenschaften und Einungen vom kaiserlichen oder landesherrlichen
Consens abhängig: ein Schlag, der zugleich auch den Adel hoch und niedrig
traf. Aber zur Entschuldigung dieser auffallenden Härte muß gesagt werden:
Wie die demokratische Bewegung der Städte einmal sich anließ, so war mit
dem aristokratischen Fundament, aus welchem heraus die Reform gedacht war,
die Hemmung jener politischen Entwickelung geboten. Ihren wirthschaftlichen
Aufschwung wollte Karl keineswegs beeinträchtigen, nur bestand zwischen diesem
und jener bereits eine Solidarität, die der Kaiser anzuerkennen zögerte, so
deutlich auch ihre Schätzung von Seiten des Volkes sich damals in zahlreichen
Aufständen und später in blutigen Kämpfen kund that.

Der bittere und hartnäckige Widerspruch, den das Reichsgrundgesctz fast
bei allen nicht tur- und landfürstenmäßigcn Elementen fand, macht es den
Zollern zu einem desto schöneren Verdienste, daß sie in patriotischer Uneigen-
nützigkeit sich demselben willig fügten, und dem Kaiser sich eng und dienstfrcudig
anschlössen. Im Großen und im Kleinen gedieh ihnen die Friedensarbeit, die
sie übten; sie halfen getreulich und an hervorragender Stelle die Späne des
Reichs im kaiserlichen Sinne schlichten und daheim auf den fränkischen Bergen
wuchs und blühte ihnen immer reichlicheres Hausgut.

Allein es kam doch ein Punkt, wo sie inne hielten. Die späteren Ma߬
regeln Karls weckten den Verdacht, daß er mit den Bestimmungen der goldnen
Bulle nur sein Gewissen habe salviren wollen. Es mehrten sich die factischen
Uebertretungen von seiner Seite. Dahin gehörte die Einverleibung der Mar¬
ken von Reiche hinweg ins böhmische Königreich, dahin die Erbverbrüdcrung
mit Habsburg, die Ehcberedung mit Ungarn-Polen, insonderheit aber die Wahl¬
umtriebe zu Gunsten seines Sohnes Wenzel, und daß der Kaiser nicht anstand,
für diesen Plan am Papste einen Rückhalt zu suchen, da er im Reiche nicht
vorwärts kam. Alles zeigte, daß er selber sich außerhalb seines eigenen Ge.
setzes fühlte und daß er seinen Stützpunkt nicht im Reiche als solchem, sondern
in europäischen Combinationen wußte: Bestrebungen, die einen merkwürdig
modernen Charakter tragen. Ihre Wirkung auf die Vorgänge innerhalb des
Reiches war schnell und entscheidend. Den kaiserlichen Verfassungsbruch nützten
die Städter als Signal, um sich des Druckes, der aus ihnen lastete, mit den
Waffen zu erwehren, ^hre großen Erfolge in Schwaben, wo der Graf von
Würtemberg 1377 bei Reutlingen niedergeworfen wurde, bestimmten den Kaiser,
einen Schritt zurückzuweichen. Nur um so fester und drohender schlossen sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/19>, abgerufen am 23.07.2024.