Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lichten Folie der kurzen Negierung dieses edlen Kaisers die wieder entfesselte
Zuchtlosigkeit der politischen Bestrebungen nur um so finsterer sich abhob, hat
sich der Burggraf der Ehre dieser Berührung nicht unwürdig gemacht. Er
hielt in guten und bösen Tagen treu zu Ludwig von Bayern, für den er den
Sieg von Ampfing entscheiden half, und seine Söhne thaten ihm nach. Die
beiden Brüder, Albrecht und Johann, nahmen nach Ludwigs Tode ohne Schwan¬
ken die Partei Karls des Vierten. Allerdings haftete an ihm der Makel der
Gegenwahl, die der Papst und die eigensüchtigen Fürsten bei Ludwigs Leben
durchgesetzt hatten. Aber die Patrioten mußte damals die Einsicht bestimmen,
daß vor allen Dingen ein kräftiger und tüchtiger Fürst noththat. Denn es
fehlte nicht,, daß die ruchlose Saat Albrechts aufwuchcrte. In den Städten
kamen die unteren formlosen Massen in Gährung, der Haß der Stände unter¬
einander flackerte auf; der schwarze Tod, die Geißlerschaaren, alle Schrecken
geistiger und leiblicher Seuche hielten den verheerenden Umzug im deutschen
Lande.

Karl, dessen hervorragendes Organisationstalent die Zeitgenossen willig
anerkannten, richtete sein Augenmerk vornehmlich darauf, ein Ncichsgrundgesetz
zu Stande zu bringen. Klug genug, um die Nothwendigkeit zu würdigen, daß
dabei von einer Fixirung des thatsächlichen Machtbcstandes der Hauptglieder
des Reichs ausgegangen werden müsse, und mächtig genug, um durchzuführen,
was er beschlossen hatte, erließ er die Verfassung der goldenen Bulle. Sie
erklärte die Kaiserwahl frei von dem Einflüsse des Papstes und gab den sieben
Kurfürsten die Tcrritorialherrlichkeit in ihren Gebieten, das M laesae miy'v-
Ltg-dis, die Gerichtsautonomie (M ne non evoeanäo) und andere früher nur
königliche Attribute. Dadurch wurde ein scharfer Unterschied festgestellt zwischen
der kurfürstlichen und allen anderen Mächten,, die im Reiche emporstrebten.
Dieser Oligarchie der sieben Häupter gegenüber würde die Kaiscrmacht unerheb¬
lich geworden sein, wenn sie nicht, und zwar in Karls Hand, just bei dem
Mächtigsten unter den Gleichen gewesen wäre. Und er war drauf und dran,
den Schwerpunkt des Reiches für immer in seine böhmischen Hausgebiete zu
verlegen, wo unier seinem starken und klugen Regimente ein Staat sich ent¬
wickelte, der alle übrigen "Länder" des Reiches an Geschlossenheit und Macht
weit überbot. Ueberdies gewann der Kaiser durch die Marken, die er über¬
nahm, noch die brandenburgische zu seiner böhmischew'Kur und war somit auch
im Kollegium der Neichsregierung im materiellen Vortheil, abgesehen davon,
daß seine achtunggebietende Stellung den freiwilligen Abbruch, den er dem alten
Principe der Kaiscrautorität anthat, reichlich wieder ersetzte. Immerhin war
seine Reform hochwichtig und konnte dauernden Segen stiften, wenn die Kur¬
fürsten ihre Ausgabe verstanden und vor allem im nationalen Sinne zu lösen
strebten. Ein großer Schritt in dieser Richtung war durch die Carolina de-


lichten Folie der kurzen Negierung dieses edlen Kaisers die wieder entfesselte
Zuchtlosigkeit der politischen Bestrebungen nur um so finsterer sich abhob, hat
sich der Burggraf der Ehre dieser Berührung nicht unwürdig gemacht. Er
hielt in guten und bösen Tagen treu zu Ludwig von Bayern, für den er den
Sieg von Ampfing entscheiden half, und seine Söhne thaten ihm nach. Die
beiden Brüder, Albrecht und Johann, nahmen nach Ludwigs Tode ohne Schwan¬
ken die Partei Karls des Vierten. Allerdings haftete an ihm der Makel der
Gegenwahl, die der Papst und die eigensüchtigen Fürsten bei Ludwigs Leben
durchgesetzt hatten. Aber die Patrioten mußte damals die Einsicht bestimmen,
daß vor allen Dingen ein kräftiger und tüchtiger Fürst noththat. Denn es
fehlte nicht,, daß die ruchlose Saat Albrechts aufwuchcrte. In den Städten
kamen die unteren formlosen Massen in Gährung, der Haß der Stände unter¬
einander flackerte auf; der schwarze Tod, die Geißlerschaaren, alle Schrecken
geistiger und leiblicher Seuche hielten den verheerenden Umzug im deutschen
Lande.

Karl, dessen hervorragendes Organisationstalent die Zeitgenossen willig
anerkannten, richtete sein Augenmerk vornehmlich darauf, ein Ncichsgrundgesetz
zu Stande zu bringen. Klug genug, um die Nothwendigkeit zu würdigen, daß
dabei von einer Fixirung des thatsächlichen Machtbcstandes der Hauptglieder
des Reichs ausgegangen werden müsse, und mächtig genug, um durchzuführen,
was er beschlossen hatte, erließ er die Verfassung der goldenen Bulle. Sie
erklärte die Kaiserwahl frei von dem Einflüsse des Papstes und gab den sieben
Kurfürsten die Tcrritorialherrlichkeit in ihren Gebieten, das M laesae miy'v-
Ltg-dis, die Gerichtsautonomie (M ne non evoeanäo) und andere früher nur
königliche Attribute. Dadurch wurde ein scharfer Unterschied festgestellt zwischen
der kurfürstlichen und allen anderen Mächten,, die im Reiche emporstrebten.
Dieser Oligarchie der sieben Häupter gegenüber würde die Kaiscrmacht unerheb¬
lich geworden sein, wenn sie nicht, und zwar in Karls Hand, just bei dem
Mächtigsten unter den Gleichen gewesen wäre. Und er war drauf und dran,
den Schwerpunkt des Reiches für immer in seine böhmischen Hausgebiete zu
verlegen, wo unier seinem starken und klugen Regimente ein Staat sich ent¬
wickelte, der alle übrigen „Länder" des Reiches an Geschlossenheit und Macht
weit überbot. Ueberdies gewann der Kaiser durch die Marken, die er über¬
nahm, noch die brandenburgische zu seiner böhmischew'Kur und war somit auch
im Kollegium der Neichsregierung im materiellen Vortheil, abgesehen davon,
daß seine achtunggebietende Stellung den freiwilligen Abbruch, den er dem alten
Principe der Kaiscrautorität anthat, reichlich wieder ersetzte. Immerhin war
seine Reform hochwichtig und konnte dauernden Segen stiften, wenn die Kur¬
fürsten ihre Ausgabe verstanden und vor allem im nationalen Sinne zu lösen
strebten. Ein großer Schritt in dieser Richtung war durch die Carolina de-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0018" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188579"/>
          <p xml:id="ID_31" prev="#ID_30"> lichten Folie der kurzen Negierung dieses edlen Kaisers die wieder entfesselte<lb/>
Zuchtlosigkeit der politischen Bestrebungen nur um so finsterer sich abhob, hat<lb/>
sich der Burggraf der Ehre dieser Berührung nicht unwürdig gemacht. Er<lb/>
hielt in guten und bösen Tagen treu zu Ludwig von Bayern, für den er den<lb/>
Sieg von Ampfing entscheiden half, und seine Söhne thaten ihm nach. Die<lb/>
beiden Brüder, Albrecht und Johann, nahmen nach Ludwigs Tode ohne Schwan¬<lb/>
ken die Partei Karls des Vierten. Allerdings haftete an ihm der Makel der<lb/>
Gegenwahl, die der Papst und die eigensüchtigen Fürsten bei Ludwigs Leben<lb/>
durchgesetzt hatten. Aber die Patrioten mußte damals die Einsicht bestimmen,<lb/>
daß vor allen Dingen ein kräftiger und tüchtiger Fürst noththat. Denn es<lb/>
fehlte nicht,, daß die ruchlose Saat Albrechts aufwuchcrte. In den Städten<lb/>
kamen die unteren formlosen Massen in Gährung, der Haß der Stände unter¬<lb/>
einander flackerte auf; der schwarze Tod, die Geißlerschaaren, alle Schrecken<lb/>
geistiger und leiblicher Seuche hielten den verheerenden Umzug im deutschen<lb/>
Lande.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_32" next="#ID_33"> Karl, dessen hervorragendes Organisationstalent die Zeitgenossen willig<lb/>
anerkannten, richtete sein Augenmerk vornehmlich darauf, ein Ncichsgrundgesetz<lb/>
zu Stande zu bringen. Klug genug, um die Nothwendigkeit zu würdigen, daß<lb/>
dabei von einer Fixirung des thatsächlichen Machtbcstandes der Hauptglieder<lb/>
des Reichs ausgegangen werden müsse, und mächtig genug, um durchzuführen,<lb/>
was er beschlossen hatte, erließ er die Verfassung der goldenen Bulle. Sie<lb/>
erklärte die Kaiserwahl frei von dem Einflüsse des Papstes und gab den sieben<lb/>
Kurfürsten die Tcrritorialherrlichkeit in ihren Gebieten, das M laesae miy'v-<lb/>
Ltg-dis, die Gerichtsautonomie (M ne non evoeanäo) und andere früher nur<lb/>
königliche Attribute. Dadurch wurde ein scharfer Unterschied festgestellt zwischen<lb/>
der kurfürstlichen und allen anderen Mächten,, die im Reiche emporstrebten.<lb/>
Dieser Oligarchie der sieben Häupter gegenüber würde die Kaiscrmacht unerheb¬<lb/>
lich geworden sein, wenn sie nicht, und zwar in Karls Hand, just bei dem<lb/>
Mächtigsten unter den Gleichen gewesen wäre. Und er war drauf und dran,<lb/>
den Schwerpunkt des Reiches für immer in seine böhmischen Hausgebiete zu<lb/>
verlegen, wo unier seinem starken und klugen Regimente ein Staat sich ent¬<lb/>
wickelte, der alle übrigen &#x201E;Länder" des Reiches an Geschlossenheit und Macht<lb/>
weit überbot. Ueberdies gewann der Kaiser durch die Marken, die er über¬<lb/>
nahm, noch die brandenburgische zu seiner böhmischew'Kur und war somit auch<lb/>
im Kollegium der Neichsregierung im materiellen Vortheil, abgesehen davon,<lb/>
daß seine achtunggebietende Stellung den freiwilligen Abbruch, den er dem alten<lb/>
Principe der Kaiscrautorität anthat, reichlich wieder ersetzte. Immerhin war<lb/>
seine Reform hochwichtig und konnte dauernden Segen stiften, wenn die Kur¬<lb/>
fürsten ihre Ausgabe verstanden und vor allem im nationalen Sinne zu lösen<lb/>
strebten.  Ein großer Schritt in dieser Richtung war durch die Carolina de-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0018] lichten Folie der kurzen Negierung dieses edlen Kaisers die wieder entfesselte Zuchtlosigkeit der politischen Bestrebungen nur um so finsterer sich abhob, hat sich der Burggraf der Ehre dieser Berührung nicht unwürdig gemacht. Er hielt in guten und bösen Tagen treu zu Ludwig von Bayern, für den er den Sieg von Ampfing entscheiden half, und seine Söhne thaten ihm nach. Die beiden Brüder, Albrecht und Johann, nahmen nach Ludwigs Tode ohne Schwan¬ ken die Partei Karls des Vierten. Allerdings haftete an ihm der Makel der Gegenwahl, die der Papst und die eigensüchtigen Fürsten bei Ludwigs Leben durchgesetzt hatten. Aber die Patrioten mußte damals die Einsicht bestimmen, daß vor allen Dingen ein kräftiger und tüchtiger Fürst noththat. Denn es fehlte nicht,, daß die ruchlose Saat Albrechts aufwuchcrte. In den Städten kamen die unteren formlosen Massen in Gährung, der Haß der Stände unter¬ einander flackerte auf; der schwarze Tod, die Geißlerschaaren, alle Schrecken geistiger und leiblicher Seuche hielten den verheerenden Umzug im deutschen Lande. Karl, dessen hervorragendes Organisationstalent die Zeitgenossen willig anerkannten, richtete sein Augenmerk vornehmlich darauf, ein Ncichsgrundgesetz zu Stande zu bringen. Klug genug, um die Nothwendigkeit zu würdigen, daß dabei von einer Fixirung des thatsächlichen Machtbcstandes der Hauptglieder des Reichs ausgegangen werden müsse, und mächtig genug, um durchzuführen, was er beschlossen hatte, erließ er die Verfassung der goldenen Bulle. Sie erklärte die Kaiserwahl frei von dem Einflüsse des Papstes und gab den sieben Kurfürsten die Tcrritorialherrlichkeit in ihren Gebieten, das M laesae miy'v- Ltg-dis, die Gerichtsautonomie (M ne non evoeanäo) und andere früher nur königliche Attribute. Dadurch wurde ein scharfer Unterschied festgestellt zwischen der kurfürstlichen und allen anderen Mächten,, die im Reiche emporstrebten. Dieser Oligarchie der sieben Häupter gegenüber würde die Kaiscrmacht unerheb¬ lich geworden sein, wenn sie nicht, und zwar in Karls Hand, just bei dem Mächtigsten unter den Gleichen gewesen wäre. Und er war drauf und dran, den Schwerpunkt des Reiches für immer in seine böhmischen Hausgebiete zu verlegen, wo unier seinem starken und klugen Regimente ein Staat sich ent¬ wickelte, der alle übrigen „Länder" des Reiches an Geschlossenheit und Macht weit überbot. Ueberdies gewann der Kaiser durch die Marken, die er über¬ nahm, noch die brandenburgische zu seiner böhmischew'Kur und war somit auch im Kollegium der Neichsregierung im materiellen Vortheil, abgesehen davon, daß seine achtunggebietende Stellung den freiwilligen Abbruch, den er dem alten Principe der Kaiscrautorität anthat, reichlich wieder ersetzte. Immerhin war seine Reform hochwichtig und konnte dauernden Segen stiften, wenn die Kur¬ fürsten ihre Ausgabe verstanden und vor allem im nationalen Sinne zu lösen strebten. Ein großer Schritt in dieser Richtung war durch die Carolina de-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/18
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/18>, abgerufen am 25.08.2024.