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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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gab diesen Männern in manchem Punkte nach, den sie gegen jene mit äußerster
Heftigkeit aufrecht erhalten hatte. Aber auch das Zustandekommen dieser Ge¬
setze: der Trennung der Justiz und der Verwaltung, des Strasprocesses, des
Notariats hat seine geheime Geschichte; auch auf diesem Gebiete mußte dies
und jenes Zugeständnis) noch im letzten Augenblicke dem Könige abgerungen
werden, dessen Verweigerung die ganze Gesetzgebungsarbeit illusorisch gemacht
hätte; nur daß es jetzt nicht mehr eine Opposition der Kammern war, die gegen
den König anzukämpfen hatte, sondern daß dieser Kampf den Ministern selbst
nicht erspart blieb, denen jetzt, wie früher der Opposition, die Fiction der "Kron¬
rechte" entgegengehalten wurde. Hauptsächlich aber galt es, die große Unent-
schlossenheit des Königs zu überwinden, welche, es wäre ungerecht dies zu ver¬
schweigen, aus den reinsten Motiven, aus einer übertriebenen, skrupulosen
Gewissenhaftigkeit entsprang. Diese trieb den ängstlich Zweifelnden von einem
Rathgeber zum andern und verzögerte jeden Entschluß. Man weiß jetzt, be¬
sonders seit der Veröffentlichung des Scctionsbefundes. daß das körperliche
Leben dieses Fürsten seit einer langen Reihe von Jahren ein fast unausgesetztes
Leiden war. Dieser Thatsache gegenüber verstummt mancher Vorwurf, der
früher gegen den König ausgesprochen wurde. Keiner schien gerechtfertigter,
als der, daß er niemals mit den Ministern selbst arbeite, sondern ihre Vorträge
nur schriftlich durch den Chef des königl. Sccretariats entgegennehme und be¬
antworte.

Es war ein Glück für Bayern, daß der Mann, der diese einflußreiche
Stellung unter bescheidenem Titel einnahm, ein durchaus ehrenwerther Mann
war; denn es ist kaum zu ermesse", welches Unheil eine solche Cabinetsregierung
im Gefolge hätte haben können. Auch in dieser Frage ist man jetzt geneigt,
den König durch seine leidende Gesundheit für entschuldigt zu halten, wie denn
selbst der Münchner nun seine Entrüstung über die häufige Abwesenheit Maxi¬
milians des Zweiten aus seiner getreuen Hauptstadt bereut und begreift, daß
es einem kranken Manne Bedürfniß war, die lauen Lüste des Südens mit den
Winterstürmen des tückischen Münchener Klimas zu vertauschen.

Es kann keine Frage sein, wie diese Blätter die deutsche Politik des
bayerischen Königs beurtheilen. Maximilian der Zweite hatte eine hohe Mei¬
nung von der Bedeutung des Staates, den die Wittelsbacher regieren. Die
letzten trüben Tage seines Lebens mögen ihm auch hier manche lieb gewordene
Illusion benommen haben. Zwar war ihm die Freude zu Theil geworden,
als der Hort Deutschlands und Schleswig-Holsteins in und selbst außer Bayern
gefeiert zu werden, aber die Einsickt, daß er der Aufgabe nicht gewachsen sei,
die erdrückend groß an ihn herantrat, mag ihn tief gebeugt, mag seinen Tod
beschleunigt haben. Ein trotz alledem ehrendes Zeugniß. Denn wir werden
dem Verstorbenen, auch von unserm Standpunkte aus, die Anerkennung nicht


Grenzbotcii II. 1864. - 19

gab diesen Männern in manchem Punkte nach, den sie gegen jene mit äußerster
Heftigkeit aufrecht erhalten hatte. Aber auch das Zustandekommen dieser Ge¬
setze: der Trennung der Justiz und der Verwaltung, des Strasprocesses, des
Notariats hat seine geheime Geschichte; auch auf diesem Gebiete mußte dies
und jenes Zugeständnis) noch im letzten Augenblicke dem Könige abgerungen
werden, dessen Verweigerung die ganze Gesetzgebungsarbeit illusorisch gemacht
hätte; nur daß es jetzt nicht mehr eine Opposition der Kammern war, die gegen
den König anzukämpfen hatte, sondern daß dieser Kampf den Ministern selbst
nicht erspart blieb, denen jetzt, wie früher der Opposition, die Fiction der „Kron¬
rechte" entgegengehalten wurde. Hauptsächlich aber galt es, die große Unent-
schlossenheit des Königs zu überwinden, welche, es wäre ungerecht dies zu ver¬
schweigen, aus den reinsten Motiven, aus einer übertriebenen, skrupulosen
Gewissenhaftigkeit entsprang. Diese trieb den ängstlich Zweifelnden von einem
Rathgeber zum andern und verzögerte jeden Entschluß. Man weiß jetzt, be¬
sonders seit der Veröffentlichung des Scctionsbefundes. daß das körperliche
Leben dieses Fürsten seit einer langen Reihe von Jahren ein fast unausgesetztes
Leiden war. Dieser Thatsache gegenüber verstummt mancher Vorwurf, der
früher gegen den König ausgesprochen wurde. Keiner schien gerechtfertigter,
als der, daß er niemals mit den Ministern selbst arbeite, sondern ihre Vorträge
nur schriftlich durch den Chef des königl. Sccretariats entgegennehme und be¬
antworte.

Es war ein Glück für Bayern, daß der Mann, der diese einflußreiche
Stellung unter bescheidenem Titel einnahm, ein durchaus ehrenwerther Mann
war; denn es ist kaum zu ermesse», welches Unheil eine solche Cabinetsregierung
im Gefolge hätte haben können. Auch in dieser Frage ist man jetzt geneigt,
den König durch seine leidende Gesundheit für entschuldigt zu halten, wie denn
selbst der Münchner nun seine Entrüstung über die häufige Abwesenheit Maxi¬
milians des Zweiten aus seiner getreuen Hauptstadt bereut und begreift, daß
es einem kranken Manne Bedürfniß war, die lauen Lüste des Südens mit den
Winterstürmen des tückischen Münchener Klimas zu vertauschen.

Es kann keine Frage sein, wie diese Blätter die deutsche Politik des
bayerischen Königs beurtheilen. Maximilian der Zweite hatte eine hohe Mei¬
nung von der Bedeutung des Staates, den die Wittelsbacher regieren. Die
letzten trüben Tage seines Lebens mögen ihm auch hier manche lieb gewordene
Illusion benommen haben. Zwar war ihm die Freude zu Theil geworden,
als der Hort Deutschlands und Schleswig-Holsteins in und selbst außer Bayern
gefeiert zu werden, aber die Einsickt, daß er der Aufgabe nicht gewachsen sei,
die erdrückend groß an ihn herantrat, mag ihn tief gebeugt, mag seinen Tod
beschleunigt haben. Ein trotz alledem ehrendes Zeugniß. Denn wir werden
dem Verstorbenen, auch von unserm Standpunkte aus, die Anerkennung nicht


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[0153] gab diesen Männern in manchem Punkte nach, den sie gegen jene mit äußerster Heftigkeit aufrecht erhalten hatte. Aber auch das Zustandekommen dieser Ge¬ setze: der Trennung der Justiz und der Verwaltung, des Strasprocesses, des Notariats hat seine geheime Geschichte; auch auf diesem Gebiete mußte dies und jenes Zugeständnis) noch im letzten Augenblicke dem Könige abgerungen werden, dessen Verweigerung die ganze Gesetzgebungsarbeit illusorisch gemacht hätte; nur daß es jetzt nicht mehr eine Opposition der Kammern war, die gegen den König anzukämpfen hatte, sondern daß dieser Kampf den Ministern selbst nicht erspart blieb, denen jetzt, wie früher der Opposition, die Fiction der „Kron¬ rechte" entgegengehalten wurde. Hauptsächlich aber galt es, die große Unent- schlossenheit des Königs zu überwinden, welche, es wäre ungerecht dies zu ver¬ schweigen, aus den reinsten Motiven, aus einer übertriebenen, skrupulosen Gewissenhaftigkeit entsprang. Diese trieb den ängstlich Zweifelnden von einem Rathgeber zum andern und verzögerte jeden Entschluß. Man weiß jetzt, be¬ sonders seit der Veröffentlichung des Scctionsbefundes. daß das körperliche Leben dieses Fürsten seit einer langen Reihe von Jahren ein fast unausgesetztes Leiden war. Dieser Thatsache gegenüber verstummt mancher Vorwurf, der früher gegen den König ausgesprochen wurde. Keiner schien gerechtfertigter, als der, daß er niemals mit den Ministern selbst arbeite, sondern ihre Vorträge nur schriftlich durch den Chef des königl. Sccretariats entgegennehme und be¬ antworte. Es war ein Glück für Bayern, daß der Mann, der diese einflußreiche Stellung unter bescheidenem Titel einnahm, ein durchaus ehrenwerther Mann war; denn es ist kaum zu ermesse», welches Unheil eine solche Cabinetsregierung im Gefolge hätte haben können. Auch in dieser Frage ist man jetzt geneigt, den König durch seine leidende Gesundheit für entschuldigt zu halten, wie denn selbst der Münchner nun seine Entrüstung über die häufige Abwesenheit Maxi¬ milians des Zweiten aus seiner getreuen Hauptstadt bereut und begreift, daß es einem kranken Manne Bedürfniß war, die lauen Lüste des Südens mit den Winterstürmen des tückischen Münchener Klimas zu vertauschen. Es kann keine Frage sein, wie diese Blätter die deutsche Politik des bayerischen Königs beurtheilen. Maximilian der Zweite hatte eine hohe Mei¬ nung von der Bedeutung des Staates, den die Wittelsbacher regieren. Die letzten trüben Tage seines Lebens mögen ihm auch hier manche lieb gewordene Illusion benommen haben. Zwar war ihm die Freude zu Theil geworden, als der Hort Deutschlands und Schleswig-Holsteins in und selbst außer Bayern gefeiert zu werden, aber die Einsickt, daß er der Aufgabe nicht gewachsen sei, die erdrückend groß an ihn herantrat, mag ihn tief gebeugt, mag seinen Tod beschleunigt haben. Ein trotz alledem ehrendes Zeugniß. Denn wir werden dem Verstorbenen, auch von unserm Standpunkte aus, die Anerkennung nicht Grenzbotcii II. 1864. - 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/153>, abgerufen am 23.07.2024.