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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Zeit, da die deutsche Theologie in der Masse ihrer Vertreter einem raschen
Verfall entgegenging, beinahe allein stehend die Würde dieser Wissenschaft und
ihren Zusammenhang mit dem geistigen Besitze der Gegenwart aufrecht hielt,
so konnte man zweifelhaft sein, was größere Verehrung und Bewundrung ab-
nöthigte: die seltene gelehrte Ausrüstung, mit der er auf dem Kampfplatz erschien,
oder die unerschrockene Beharrlichkeit, mit der er die Waffen in dem numerisch
so ungleichen Kampfe führte; der rastlos vorwärts dringende Scharfsinn, mit
welchem er durch bisher pfadlose und verworrene Gebiete Bahn brach, oder die
klare Besonnenheit, die nicht am Kleinen haften blieb, sondern immer aus das
Große gerichtet sich nicht weigerte, wo er bessere Meinung fand, sie der eigenen
einzuverleiben; die wissenschaftliche Ueberlegenheit oder die edle Humanität, die
männliche Tüchtigkeit seines sittlichen Charakters. Dabei waren es nicht äußerliche
Gaben, durch welche er geglänzt und geblendet hätte. Vielmehr war seine Art,
sich zu geben, einfach, schlicht, und es war ihm ganz jener Mangel an Leich¬
tigkeit, jene Sprödigkeit des Naturells eigen, das die schwäbische Heimath so
häusig ihren Söhnen mitzugeben pflegt. ES war nicht leicht durch die spröde
Schale hindurchzudringen zum Kern seines Wesens, das sich nur denjenigen
erschloß, in welchen er gleichfalls den lauteren Trieb, nach Wahrheit zu forschen,
erkannte. Und so hatte auch die Art seines wissenschaftlichen Auftretens nichts
Glänzendes, das sofort die Welt mit dem Eindruck eines Neuen und Epoche¬
machenden überrascht hätte. Vielmehr begann er seine Forschungen geräuschlos,
an einem entlegenen Punkte, in bescheidenen Grenzen, aber Schritt für Schritt
und immer sicherer und kühner ging es nun von hier aus weiter; unter dem
eigenen Suchen, wie unter dem Streit mit den Gegnern wuchsen seinem Geist
die Schwingen, immer freier ward der Blick, immer bedeutender gestalteten sich
die Resultate, die von kleinen Anfängen allmälig über das ganze Gebiet der
urchristlicher Zeit übergriffen, und so sind seine letzten Werke die vollendetsten
nach Inhalt, wie nach Form, und der Tod rief ihn ab, als er eben daran war,
die Gesammtheit seiner Forschungen zu einem die ganze christliche Kirche um¬
fassenden Geschichtswerk abzurunden*).

Es kann nicht unsere Aufgabe sein, Baurs Bedeutung für die neuere
Theologie überhaupt zu schildern und seine wissenschaftliche Wirksamkeit, welche
sich über die verschiedensten Zweige der Dogmen- und Kirchengeschichte, -- diese
im weitesten Umfange genommen -- erstreckt, im Einzelnen zu verfolgen. Es
ist dies von Anderen in dankbarer Pietät gethan worden.**) Aber auch was




Durch die Publicationen aus dem Nachlaß, w-lebe durch den Sohn F. Baur und den
Schwiegersohn Eduard Zeller besorgt worden sind, liegt nun das ganze Geschichtswerk in fünf
Bänden, Tübingen 1853--186Z, vollständig vor,
") Man vergl, außer dem Nekrolog im Schwäb, Merkur Febr. 1861, Ed, Zeller in den
Preusz, Jahrbüchern 1861, Biedermann in den Zeitstimmen aus der reformirten Kirche der
Schweiz, 1861, und K. Schwarz, zur Geschichte der neuesten Theologie.

Zeit, da die deutsche Theologie in der Masse ihrer Vertreter einem raschen
Verfall entgegenging, beinahe allein stehend die Würde dieser Wissenschaft und
ihren Zusammenhang mit dem geistigen Besitze der Gegenwart aufrecht hielt,
so konnte man zweifelhaft sein, was größere Verehrung und Bewundrung ab-
nöthigte: die seltene gelehrte Ausrüstung, mit der er auf dem Kampfplatz erschien,
oder die unerschrockene Beharrlichkeit, mit der er die Waffen in dem numerisch
so ungleichen Kampfe führte; der rastlos vorwärts dringende Scharfsinn, mit
welchem er durch bisher pfadlose und verworrene Gebiete Bahn brach, oder die
klare Besonnenheit, die nicht am Kleinen haften blieb, sondern immer aus das
Große gerichtet sich nicht weigerte, wo er bessere Meinung fand, sie der eigenen
einzuverleiben; die wissenschaftliche Ueberlegenheit oder die edle Humanität, die
männliche Tüchtigkeit seines sittlichen Charakters. Dabei waren es nicht äußerliche
Gaben, durch welche er geglänzt und geblendet hätte. Vielmehr war seine Art,
sich zu geben, einfach, schlicht, und es war ihm ganz jener Mangel an Leich¬
tigkeit, jene Sprödigkeit des Naturells eigen, das die schwäbische Heimath so
häusig ihren Söhnen mitzugeben pflegt. ES war nicht leicht durch die spröde
Schale hindurchzudringen zum Kern seines Wesens, das sich nur denjenigen
erschloß, in welchen er gleichfalls den lauteren Trieb, nach Wahrheit zu forschen,
erkannte. Und so hatte auch die Art seines wissenschaftlichen Auftretens nichts
Glänzendes, das sofort die Welt mit dem Eindruck eines Neuen und Epoche¬
machenden überrascht hätte. Vielmehr begann er seine Forschungen geräuschlos,
an einem entlegenen Punkte, in bescheidenen Grenzen, aber Schritt für Schritt
und immer sicherer und kühner ging es nun von hier aus weiter; unter dem
eigenen Suchen, wie unter dem Streit mit den Gegnern wuchsen seinem Geist
die Schwingen, immer freier ward der Blick, immer bedeutender gestalteten sich
die Resultate, die von kleinen Anfängen allmälig über das ganze Gebiet der
urchristlicher Zeit übergriffen, und so sind seine letzten Werke die vollendetsten
nach Inhalt, wie nach Form, und der Tod rief ihn ab, als er eben daran war,
die Gesammtheit seiner Forschungen zu einem die ganze christliche Kirche um¬
fassenden Geschichtswerk abzurunden*).

Es kann nicht unsere Aufgabe sein, Baurs Bedeutung für die neuere
Theologie überhaupt zu schildern und seine wissenschaftliche Wirksamkeit, welche
sich über die verschiedensten Zweige der Dogmen- und Kirchengeschichte, — diese
im weitesten Umfange genommen — erstreckt, im Einzelnen zu verfolgen. Es
ist dies von Anderen in dankbarer Pietät gethan worden.**) Aber auch was




Durch die Publicationen aus dem Nachlaß, w-lebe durch den Sohn F. Baur und den
Schwiegersohn Eduard Zeller besorgt worden sind, liegt nun das ganze Geschichtswerk in fünf
Bänden, Tübingen 1853—186Z, vollständig vor,
") Man vergl, außer dem Nekrolog im Schwäb, Merkur Febr. 1861, Ed, Zeller in den
Preusz, Jahrbüchern 1861, Biedermann in den Zeitstimmen aus der reformirten Kirche der
Schweiz, 1861, und K. Schwarz, zur Geschichte der neuesten Theologie.
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[0142] Zeit, da die deutsche Theologie in der Masse ihrer Vertreter einem raschen Verfall entgegenging, beinahe allein stehend die Würde dieser Wissenschaft und ihren Zusammenhang mit dem geistigen Besitze der Gegenwart aufrecht hielt, so konnte man zweifelhaft sein, was größere Verehrung und Bewundrung ab- nöthigte: die seltene gelehrte Ausrüstung, mit der er auf dem Kampfplatz erschien, oder die unerschrockene Beharrlichkeit, mit der er die Waffen in dem numerisch so ungleichen Kampfe führte; der rastlos vorwärts dringende Scharfsinn, mit welchem er durch bisher pfadlose und verworrene Gebiete Bahn brach, oder die klare Besonnenheit, die nicht am Kleinen haften blieb, sondern immer aus das Große gerichtet sich nicht weigerte, wo er bessere Meinung fand, sie der eigenen einzuverleiben; die wissenschaftliche Ueberlegenheit oder die edle Humanität, die männliche Tüchtigkeit seines sittlichen Charakters. Dabei waren es nicht äußerliche Gaben, durch welche er geglänzt und geblendet hätte. Vielmehr war seine Art, sich zu geben, einfach, schlicht, und es war ihm ganz jener Mangel an Leich¬ tigkeit, jene Sprödigkeit des Naturells eigen, das die schwäbische Heimath so häusig ihren Söhnen mitzugeben pflegt. ES war nicht leicht durch die spröde Schale hindurchzudringen zum Kern seines Wesens, das sich nur denjenigen erschloß, in welchen er gleichfalls den lauteren Trieb, nach Wahrheit zu forschen, erkannte. Und so hatte auch die Art seines wissenschaftlichen Auftretens nichts Glänzendes, das sofort die Welt mit dem Eindruck eines Neuen und Epoche¬ machenden überrascht hätte. Vielmehr begann er seine Forschungen geräuschlos, an einem entlegenen Punkte, in bescheidenen Grenzen, aber Schritt für Schritt und immer sicherer und kühner ging es nun von hier aus weiter; unter dem eigenen Suchen, wie unter dem Streit mit den Gegnern wuchsen seinem Geist die Schwingen, immer freier ward der Blick, immer bedeutender gestalteten sich die Resultate, die von kleinen Anfängen allmälig über das ganze Gebiet der urchristlicher Zeit übergriffen, und so sind seine letzten Werke die vollendetsten nach Inhalt, wie nach Form, und der Tod rief ihn ab, als er eben daran war, die Gesammtheit seiner Forschungen zu einem die ganze christliche Kirche um¬ fassenden Geschichtswerk abzurunden*). Es kann nicht unsere Aufgabe sein, Baurs Bedeutung für die neuere Theologie überhaupt zu schildern und seine wissenschaftliche Wirksamkeit, welche sich über die verschiedensten Zweige der Dogmen- und Kirchengeschichte, — diese im weitesten Umfange genommen — erstreckt, im Einzelnen zu verfolgen. Es ist dies von Anderen in dankbarer Pietät gethan worden.**) Aber auch was Durch die Publicationen aus dem Nachlaß, w-lebe durch den Sohn F. Baur und den Schwiegersohn Eduard Zeller besorgt worden sind, liegt nun das ganze Geschichtswerk in fünf Bänden, Tübingen 1853—186Z, vollständig vor, ") Man vergl, außer dem Nekrolog im Schwäb, Merkur Febr. 1861, Ed, Zeller in den Preusz, Jahrbüchern 1861, Biedermann in den Zeitstimmen aus der reformirten Kirche der Schweiz, 1861, und K. Schwarz, zur Geschichte der neuesten Theologie.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/142>, abgerufen am 23.07.2024.