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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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der kriegführenden Parteien sei. Diese Schwäche wird hervorgebracht entweder
durch ungenügende Gesammtkraft eines Landes, oder durch den mangelnden
Thatendrang des Feldherrn, oder aber durch den politischen Gedanken, welcher
dem Kriege zum Grunde liegt. So hat Dänemark sich gegen die übermäch¬
tigen Deutschen hinter Befestigungen zurückgezogen; so hat Belgien, das im
Kampfe mit seinen Nachbarn stets die Minderzahl des Heeres auf seiner Seite
haben muß, in die Festung Antwerpen den Schwerpunkt seiner ganzen Macht
gelegt; so haben Volksheere, wie z. B. die Spanier gegen Napoleon den Er¬
sten, die Niederländer gegen Philipp den Zweiten, sich stets vor den wohl-
organisirten Heeren ihrer Gegner in Festungen oder befestigte Städte zurück¬
gezogen. Ebenso treten in Amerika nach den blutigen Schlachten mit den ersterben¬
den Kräften der Confvderirtcn jetzt die Städtevertheidigungen in den Vordergrund.

Die Schwäche der Feldherrn hat vor Düppel wie vor Sewastopol die
Armeen in lange Belagerungen statt in einen frisch unternommenen, aber wohl
überlegten Sturm verwickelt. So sind Düppel und Sebastopol aus Ver¬
schanzungen erst Festungen geworden. Der Entschluß eine Schlacht zu schlagen,
concentrirt das Geschick der Heere und Länder in die Handlungen weniger
Stunden und macht die Zukunft ganz von dem Feldherrn abhängig. Eine Be¬
lagerung aber umfaßt einen Zeitraum von Monaten, wälzt die Verantwortung
der Erfolge auf eine Menge untergeordneter Schultern und hat doch den An¬
strich eines großen Unternehmens. Die Schlacht rechtfertigt sich erst in
dem Erfolge, die Belagerung aber vorweg in der Bedeutung der Festung in.
Dies Verhältniß ist es, was vor allen andern Dingen schwache Feldherrn in
und vor Festungen führt.

Nichts macht aber den Feldherrn und die Kriegführung schwächer als die
Kleinheit des politischen Gedankens, welcher dem Kriege zum Grunde liegt.
Je weniger es die Absicht ist, die feindlich gegenüberstehende Macht zu ver¬
nichten, desto weniger Mittel werden angewandt, desto schwächer sind die
Heere, welche auftreten, desto geringer sind die Resultate, welche man zu er¬
ringen sucht, desto kleinerer Resultate bedarf man auch, um den eigenen Wil¬
len durchzusetzen. -- So war der 18S4 begonnene Krieg der Engländer und
Franzosen gegen die Russen durchaus nicht unternommen, um diese gänzlich
niederzuwerfen, sondern nur um Kaiser Nikolaus abzuhalten. Eroberungen in
der Türkei zu machen. Deshalb packte man nicht das russische Heer, wo es
sich fand, sondern suchte einen isolirten Punkt, Sebastopol, aus, der als be¬
deutendste Seestation die Aussicht bot, hoch im Preise zu stehen und bei dem
Streit den Ausschlag zu geben. Nur die Schwäche der ersten Führer und das
Bedürfniß Napoleons, unter allen Umständen Ruhm zu ernten, ließ den Ver¬
lauf der Belagerung zu einem großen Krieg ausarten. -- Im Jahre 18S9
War Napoleon weit davon entfernt, sich in einen Kampf um die Existenz Oestreichs


der kriegführenden Parteien sei. Diese Schwäche wird hervorgebracht entweder
durch ungenügende Gesammtkraft eines Landes, oder durch den mangelnden
Thatendrang des Feldherrn, oder aber durch den politischen Gedanken, welcher
dem Kriege zum Grunde liegt. So hat Dänemark sich gegen die übermäch¬
tigen Deutschen hinter Befestigungen zurückgezogen; so hat Belgien, das im
Kampfe mit seinen Nachbarn stets die Minderzahl des Heeres auf seiner Seite
haben muß, in die Festung Antwerpen den Schwerpunkt seiner ganzen Macht
gelegt; so haben Volksheere, wie z. B. die Spanier gegen Napoleon den Er¬
sten, die Niederländer gegen Philipp den Zweiten, sich stets vor den wohl-
organisirten Heeren ihrer Gegner in Festungen oder befestigte Städte zurück¬
gezogen. Ebenso treten in Amerika nach den blutigen Schlachten mit den ersterben¬
den Kräften der Confvderirtcn jetzt die Städtevertheidigungen in den Vordergrund.

Die Schwäche der Feldherrn hat vor Düppel wie vor Sewastopol die
Armeen in lange Belagerungen statt in einen frisch unternommenen, aber wohl
überlegten Sturm verwickelt. So sind Düppel und Sebastopol aus Ver¬
schanzungen erst Festungen geworden. Der Entschluß eine Schlacht zu schlagen,
concentrirt das Geschick der Heere und Länder in die Handlungen weniger
Stunden und macht die Zukunft ganz von dem Feldherrn abhängig. Eine Be¬
lagerung aber umfaßt einen Zeitraum von Monaten, wälzt die Verantwortung
der Erfolge auf eine Menge untergeordneter Schultern und hat doch den An¬
strich eines großen Unternehmens. Die Schlacht rechtfertigt sich erst in
dem Erfolge, die Belagerung aber vorweg in der Bedeutung der Festung in.
Dies Verhältniß ist es, was vor allen andern Dingen schwache Feldherrn in
und vor Festungen führt.

Nichts macht aber den Feldherrn und die Kriegführung schwächer als die
Kleinheit des politischen Gedankens, welcher dem Kriege zum Grunde liegt.
Je weniger es die Absicht ist, die feindlich gegenüberstehende Macht zu ver¬
nichten, desto weniger Mittel werden angewandt, desto schwächer sind die
Heere, welche auftreten, desto geringer sind die Resultate, welche man zu er¬
ringen sucht, desto kleinerer Resultate bedarf man auch, um den eigenen Wil¬
len durchzusetzen. — So war der 18S4 begonnene Krieg der Engländer und
Franzosen gegen die Russen durchaus nicht unternommen, um diese gänzlich
niederzuwerfen, sondern nur um Kaiser Nikolaus abzuhalten. Eroberungen in
der Türkei zu machen. Deshalb packte man nicht das russische Heer, wo es
sich fand, sondern suchte einen isolirten Punkt, Sebastopol, aus, der als be¬
deutendste Seestation die Aussicht bot, hoch im Preise zu stehen und bei dem
Streit den Ausschlag zu geben. Nur die Schwäche der ersten Führer und das
Bedürfniß Napoleons, unter allen Umständen Ruhm zu ernten, ließ den Ver¬
lauf der Belagerung zu einem großen Krieg ausarten. — Im Jahre 18S9
War Napoleon weit davon entfernt, sich in einen Kampf um die Existenz Oestreichs


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/125>, abgerufen am 23.07.2024.