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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Grosherzog von-Toscana bezieht. "Seine Hoheit weiß bereits." heißt es da,
"daß vierzehn Statuen von guter Künstlerhand gefunden wurden, welche die
Geschichte der Niobe vorstellen. Unter andern ist da eine Gruppe von zwei
Figuren, welche sehr schön sind. Und zu vielen derselben hat man die Köpfe
wiedergefunden und auch Arme. Sie haben alle schöne Köpfe, aber die Haare
sind nicht allzuscköu und nicht sehr vollendet. Ader der Besitzer hat bereits eine
große Meinung davon, soweit ich habe entnehmen tonnen, als ich mit ihm in
die Vigna ging, wo er sie gefunden hat und er läßt fortwährend graben, weil
er noch die ganze Geschichte (ota, ter Ltoiia) zu finden hofft."

Nach dem Bericht über die Entdeckungen mustert der Verfasser die über
alle gewöhnlichen Ansichten hinausgehende Zahl von Wiederholungen einzelner
oder mehrer dieser Statuen, welche fast alle auf dem Boden von Rom ent¬
standen sind. Aus der Geschichte jener florentiner Gruppe, die hier durch die
erstmalige Benutzung interessanter Funkberichte und die ältesten Abbildungen
sicher gestellt wird, lernen wir Exemplare einzelner Statuen kennen, welche an
Kunstwerth die florentinische Gruppe weit übertreffen. Es öffnet sich hier der
Blick auf eine Thätigkeit des Nachbildens berühmter griechischer Originale, von
welcher man bis jetzt kaum eine Ahnung hatte. Das verlorene Original aber
aller dieser Nivbecvpien war immer jene Gruppe, welche nach des Plinius
Bericht einst den Tempel des Apollo Svsianus rü Rom schmückte. Winckelmann
fand in den Niobiden das Ideal der höchsten Schönheit, eine Schönheit, die in
unsern Tagen unbestritten anerkannt und allbekannt ist. Ob Praxiteles oder
Skopas als Urheber dieser Meisterwerke angesehen werden darf, bleibt unent¬
schieden. Für den Verfasser scheint ein größeres Gewicht auf Seiten de-s Skopas
vorzuliegen, doch ist ihm die Verwandtschaft der beiden Künstler in der Wahl
der Gegenstände, in geistiger Auffassung und technischer Vollendung zu bedeutsam,
um die Zweifel der römischen Kunstlichter ohne neue Thatsachen beseitigen zu
wollen. Was die besondere Namensbezeichimng des römischen Apollotempels
betrifft, in welchem dieses Kunstwerk aufgestellt war, so führt der Verfasser sie
auf einen politisch und militärisch im Orient bcrühmr gewordenen Römer,
C. Sosius, zurück, dessen Wirksamkeit zur Zeit von Antonius Allmacht im Orient
seinen Höhenpunkt erreicht hatte. Von ihm ist berichtet, daß er aus Seleucm
die aeterne Apollostatue, das Tcmpelbild des genannten Heiligthums, nach Rom
gebracht habe. Der Verfasser glaubt aus verschiedenen genau erörterten Grün¬
den dies auch von der Nivbidengruppc annehme" zu dürfen, doch würde hier
nicht an das spätere syrische Seleucia zu denken sein, sondern Seleukeia in Kilikien,
an dem Flusse Kalikadnos, das frühere Holmvi, bei welchem zunächst ein altes
Heiligthum des Apollo" Sarpedonius sich befand. Hier, im Bereiche des Tem¬
pels der Kinder der Leto und eines Heros, uuter dessen Gestalt man sich die
Gewalt des in der Jugend rasch dahinraffenden Todes vergegenwärtigte, mochte


Grosherzog von-Toscana bezieht. „Seine Hoheit weiß bereits." heißt es da,
„daß vierzehn Statuen von guter Künstlerhand gefunden wurden, welche die
Geschichte der Niobe vorstellen. Unter andern ist da eine Gruppe von zwei
Figuren, welche sehr schön sind. Und zu vielen derselben hat man die Köpfe
wiedergefunden und auch Arme. Sie haben alle schöne Köpfe, aber die Haare
sind nicht allzuscköu und nicht sehr vollendet. Ader der Besitzer hat bereits eine
große Meinung davon, soweit ich habe entnehmen tonnen, als ich mit ihm in
die Vigna ging, wo er sie gefunden hat und er läßt fortwährend graben, weil
er noch die ganze Geschichte (ota, ter Ltoiia) zu finden hofft."

Nach dem Bericht über die Entdeckungen mustert der Verfasser die über
alle gewöhnlichen Ansichten hinausgehende Zahl von Wiederholungen einzelner
oder mehrer dieser Statuen, welche fast alle auf dem Boden von Rom ent¬
standen sind. Aus der Geschichte jener florentiner Gruppe, die hier durch die
erstmalige Benutzung interessanter Funkberichte und die ältesten Abbildungen
sicher gestellt wird, lernen wir Exemplare einzelner Statuen kennen, welche an
Kunstwerth die florentinische Gruppe weit übertreffen. Es öffnet sich hier der
Blick auf eine Thätigkeit des Nachbildens berühmter griechischer Originale, von
welcher man bis jetzt kaum eine Ahnung hatte. Das verlorene Original aber
aller dieser Nivbecvpien war immer jene Gruppe, welche nach des Plinius
Bericht einst den Tempel des Apollo Svsianus rü Rom schmückte. Winckelmann
fand in den Niobiden das Ideal der höchsten Schönheit, eine Schönheit, die in
unsern Tagen unbestritten anerkannt und allbekannt ist. Ob Praxiteles oder
Skopas als Urheber dieser Meisterwerke angesehen werden darf, bleibt unent¬
schieden. Für den Verfasser scheint ein größeres Gewicht auf Seiten de-s Skopas
vorzuliegen, doch ist ihm die Verwandtschaft der beiden Künstler in der Wahl
der Gegenstände, in geistiger Auffassung und technischer Vollendung zu bedeutsam,
um die Zweifel der römischen Kunstlichter ohne neue Thatsachen beseitigen zu
wollen. Was die besondere Namensbezeichimng des römischen Apollotempels
betrifft, in welchem dieses Kunstwerk aufgestellt war, so führt der Verfasser sie
auf einen politisch und militärisch im Orient bcrühmr gewordenen Römer,
C. Sosius, zurück, dessen Wirksamkeit zur Zeit von Antonius Allmacht im Orient
seinen Höhenpunkt erreicht hatte. Von ihm ist berichtet, daß er aus Seleucm
die aeterne Apollostatue, das Tcmpelbild des genannten Heiligthums, nach Rom
gebracht habe. Der Verfasser glaubt aus verschiedenen genau erörterten Grün¬
den dies auch von der Nivbidengruppc annehme» zu dürfen, doch würde hier
nicht an das spätere syrische Seleucia zu denken sein, sondern Seleukeia in Kilikien,
an dem Flusse Kalikadnos, das frühere Holmvi, bei welchem zunächst ein altes
Heiligthum des Apollo» Sarpedonius sich befand. Hier, im Bereiche des Tem¬
pels der Kinder der Leto und eines Heros, uuter dessen Gestalt man sich die
Gewalt des in der Jugend rasch dahinraffenden Todes vergegenwärtigte, mochte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/110>, abgerufen am 25.08.2024.