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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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noch entbehren, und die hier zum Austrage gebracht werden könnten. Man
sann sich sehr leicht denken, daß jede Schanze einem solchen Feuer gegenüber
in kurzer Zeit entwaffnet dasteht und dann ohne große Opfer bald genommen
werden kann, wenn sie nicht etwa eine gedeckte Grabenvertheidigung hat.

Hat man aber den günstigen Zeitpunkt eines harten Winters versäumt
und hat man sich entschließen müssen, vor dem Dannewerk eine Art Belagerungs¬
krieg zu eröffnen, der die Hauptkräfte des Feindes da festhält, so wird man,
wie bemerkt, die überschießenden Kräfte der großen Uebermacht dazu benutzen
müssen, auf einem der angedeuteten Wege der Stellung in den Rücken zu kom¬
men. Die nöthige Uebermacht ist aber um so leichter zu schaffen, als sie vor¬
zugsweise in der Infanterie gesucht werden muß. Die theure Cavallerie. deren
Gebrauch vor der verbesserten Schußwaffe noch mehr zurückzutreten scheint als
früher vor der Massestellung der Infanterie, wird nur in sehr geringer Zahl
nöthig sein (etwa dreißig Eskadrons) und selbst der Gebrauch der Artillerie ist für
das Gefecht im Felde durch das Terrain sehr beschränkt. Möchten wir nur bald
den Ernst vor uns erblicken, um die große Frage, welche die ganze europäische
Welt jetzt in unruhige Bewegung setzt, einer endgiltigen und befriedigenden
Entscheidung entgegengeführt zu sehen. Wir wollen hier nicht hohe Conjectural-
politik treiben, aber uns scheint die Besorgniß, daß sich aus dem in dieser
Sache so berechtigten Vorgehen Deutschlands mit Sicherheit ein großer Krieg
entwickeln müßte, selbst von denen nur fingirt, welche damit ihre in ganz
andern Besorgnissen wurzelnde Zurückhaltung zu rechtfertigen suchen. Wir
Zweifeln aber sehr, daß es irgendwie staatsmännisch ist, aus bloßem Haß gegen
die sogenannte Demokratie auch den gerechtesten und heißesten Wünschen des
ganzen Volkes (die bekannte Partei ausgenommen) auch hier entgegenzutreten.
Uns scheint vielmehr nur das staatsmännisch zu sein, daß man den gerechten
und billigen Wünschen der Völker entgegen-, ja zuvorzukommen strebt, weil nur
in solchem Verfahren die Kraft liegt, unbilligen und gewaltsam auftretenden
Begehren mit Erfolg die Spitze zu bieten. Einer Art von Politikern aber
fehlt zuletzt am Tage der Entscheidung mit dem schlechten Gewissen der Muth,
wie wir Preußen es denn erlebt und das schmerzliche Andenken davon wohl be¬
wahrt haben. England kann nichts Entscheidendes gegen Deutschland thun, es
schlüge sich ins eigne Angesicht, und Napoleon kann die Basis, auf welche er
sich gestellt, die Selbstbestimmung der Völker, nicht so völlig verlassen, daß er im
geraden Widerspruch mit ihr einen Krieg ansinge, der überdies leicht für ihn auch
der Anfang des Endes sein könnte. Es ist also eine neue Gelegenheit für Preußen,
sich an die Spitze der Dinge zustellen. Wird es fortfahren, sie zu versäumen?

> Die Redaction fügt diesen Bemerkungen, die sie dahin vervollständigen
muß, daß Preußen nicht blos seiner Ehre, sondern auch seiner Pflicht gehor¬
chen würde, wenn es sich in dieser deutschen Sache der Entscheidung des Bun-


noch entbehren, und die hier zum Austrage gebracht werden könnten. Man
sann sich sehr leicht denken, daß jede Schanze einem solchen Feuer gegenüber
in kurzer Zeit entwaffnet dasteht und dann ohne große Opfer bald genommen
werden kann, wenn sie nicht etwa eine gedeckte Grabenvertheidigung hat.

Hat man aber den günstigen Zeitpunkt eines harten Winters versäumt
und hat man sich entschließen müssen, vor dem Dannewerk eine Art Belagerungs¬
krieg zu eröffnen, der die Hauptkräfte des Feindes da festhält, so wird man,
wie bemerkt, die überschießenden Kräfte der großen Uebermacht dazu benutzen
müssen, auf einem der angedeuteten Wege der Stellung in den Rücken zu kom¬
men. Die nöthige Uebermacht ist aber um so leichter zu schaffen, als sie vor¬
zugsweise in der Infanterie gesucht werden muß. Die theure Cavallerie. deren
Gebrauch vor der verbesserten Schußwaffe noch mehr zurückzutreten scheint als
früher vor der Massestellung der Infanterie, wird nur in sehr geringer Zahl
nöthig sein (etwa dreißig Eskadrons) und selbst der Gebrauch der Artillerie ist für
das Gefecht im Felde durch das Terrain sehr beschränkt. Möchten wir nur bald
den Ernst vor uns erblicken, um die große Frage, welche die ganze europäische
Welt jetzt in unruhige Bewegung setzt, einer endgiltigen und befriedigenden
Entscheidung entgegengeführt zu sehen. Wir wollen hier nicht hohe Conjectural-
politik treiben, aber uns scheint die Besorgniß, daß sich aus dem in dieser
Sache so berechtigten Vorgehen Deutschlands mit Sicherheit ein großer Krieg
entwickeln müßte, selbst von denen nur fingirt, welche damit ihre in ganz
andern Besorgnissen wurzelnde Zurückhaltung zu rechtfertigen suchen. Wir
Zweifeln aber sehr, daß es irgendwie staatsmännisch ist, aus bloßem Haß gegen
die sogenannte Demokratie auch den gerechtesten und heißesten Wünschen des
ganzen Volkes (die bekannte Partei ausgenommen) auch hier entgegenzutreten.
Uns scheint vielmehr nur das staatsmännisch zu sein, daß man den gerechten
und billigen Wünschen der Völker entgegen-, ja zuvorzukommen strebt, weil nur
in solchem Verfahren die Kraft liegt, unbilligen und gewaltsam auftretenden
Begehren mit Erfolg die Spitze zu bieten. Einer Art von Politikern aber
fehlt zuletzt am Tage der Entscheidung mit dem schlechten Gewissen der Muth,
wie wir Preußen es denn erlebt und das schmerzliche Andenken davon wohl be¬
wahrt haben. England kann nichts Entscheidendes gegen Deutschland thun, es
schlüge sich ins eigne Angesicht, und Napoleon kann die Basis, auf welche er
sich gestellt, die Selbstbestimmung der Völker, nicht so völlig verlassen, daß er im
geraden Widerspruch mit ihr einen Krieg ansinge, der überdies leicht für ihn auch
der Anfang des Endes sein könnte. Es ist also eine neue Gelegenheit für Preußen,
sich an die Spitze der Dinge zustellen. Wird es fortfahren, sie zu versäumen?

> Die Redaction fügt diesen Bemerkungen, die sie dahin vervollständigen
muß, daß Preußen nicht blos seiner Ehre, sondern auch seiner Pflicht gehor¬
chen würde, wenn es sich in dieser deutschen Sache der Entscheidung des Bun-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/95>, abgerufen am 04.07.2024.