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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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unermeßlichen eines großen europäischen Krieges, und so würden wir das Zögern
Preußens für durchaus gerechtfertigt ansehen, wenn es sich nur um diese Vortheile
handelte. Wie erwünscht es auch wäre, das wohlhabende Schleswig-Holstein mit
seiner Million Einwohner, mit seinen trefflichen Häfen und seiner Scemanns-
bevölkerung ganz mit Deutschland zu verbinden, so wäre dies an sich doch kein
ausreichender Grund, sich deshalb die unmittelbaren Lasten und die indirecten
Folgen eines großen Kriegs aufzubürden. Es handelt sich aber um weit Höheres,
von dem man freilich in gewissen Sphären Berlins bis jetzt nichts wissen zu
wollen schien: es handelt sich darum, daß Preußen sich mit der Eroberung
Schleswig-Holsteins für Deutschland das in Deutschland verlorene Terrain
reichlich wieder erobern würde, und es handelt sich um die preußische Ehre,
welche keinen Makel dulden darf, wenn der Staat nicht an Macht und Zukunft
einbüßen soll. Preußen darf nicht Gewehr beim Fuß zuschauen, wenn ein
Theil des deutschen Volkes gegen sein gutes Recht von Fremden vergewaltigt
wird. Das gute Recht der Herzogthümer aber verlangt zunächst. daß sie un¬
geteilt unter eigner Regierung und mit eigner Vertretung leben und zusammen¬
bleiben. Daran darf nicht gemäkelt, dies muß ihnen unter allen Umständen
erkämpft und durch entsprechende Institutionen: vereinte Ständeversammlung,
eignes Heer, nur eingeborne Beamte, eignes Budget, eignes Zollsystem u. s. w.
gesichert werden. Von einem Gesammtstaat darf fernerhin nicht mehr die
Rede sein.

Und ebenso unbestreitbar ist die Erbfolge des Herzogs Friedrich ein gutes
Landesrecht, welches zur Geltung zu bringen ist. Zwar könnte man dagegen
anführen, daß es weniger darauf ankomme, wer an der Spitze des Ganzen
stehe, als daß ein Land seine Autonomie habe. Und so würde uns ein Zau¬
dern vor dem letzten Entschlüsse keinen Tadel zu verdienen scheinen, wenn die
Frage sich etwa so stellte: die vereinigten Herzogthümer in ganz derselben Srellung
zu Dänemark, wie Norwegen zu Schweden, Rendsburg zur Bundesfestung erklärt,
Kiel zum Bundeshafcn umgeschaffen und kein Krieg, wenigstens kein großer,
oder andrerseits Einsetzung des Herzogs Friedrich in die Regierung Schleswig-
Holsteins und jedenfalls ein deutsch-dänischer, vielleicht ein europäischer Krieg?

Allein so stellt sich die Frage nicht. Die Dänen würden auf eine ver¬
fassungsmäßige Trennung der Herzogthümer so wenig ohne Zwang eingehen,
wie auf eine Trennung durch eine andere Dynastie in Schleswig-Holstein. So¬
dann aber hat auch hier die Ehre Preußens den Ausschlag zu geben, die Ehre,
welche durch die Anerkennung des ganzen Schleswig-holsteinischen Programms
von Seiten Friedrich Wilhelms des Vierten verpfändet und in Olmütz auf
eine Weise, die noch jetzt jedes preußische Herz brennen macht, sich zu verhüllen
genöthigt worden ist.

Eine fernere Möglichkeit, den Krieg zu vermeiden, wäre vielleicht, wenn


unermeßlichen eines großen europäischen Krieges, und so würden wir das Zögern
Preußens für durchaus gerechtfertigt ansehen, wenn es sich nur um diese Vortheile
handelte. Wie erwünscht es auch wäre, das wohlhabende Schleswig-Holstein mit
seiner Million Einwohner, mit seinen trefflichen Häfen und seiner Scemanns-
bevölkerung ganz mit Deutschland zu verbinden, so wäre dies an sich doch kein
ausreichender Grund, sich deshalb die unmittelbaren Lasten und die indirecten
Folgen eines großen Kriegs aufzubürden. Es handelt sich aber um weit Höheres,
von dem man freilich in gewissen Sphären Berlins bis jetzt nichts wissen zu
wollen schien: es handelt sich darum, daß Preußen sich mit der Eroberung
Schleswig-Holsteins für Deutschland das in Deutschland verlorene Terrain
reichlich wieder erobern würde, und es handelt sich um die preußische Ehre,
welche keinen Makel dulden darf, wenn der Staat nicht an Macht und Zukunft
einbüßen soll. Preußen darf nicht Gewehr beim Fuß zuschauen, wenn ein
Theil des deutschen Volkes gegen sein gutes Recht von Fremden vergewaltigt
wird. Das gute Recht der Herzogthümer aber verlangt zunächst. daß sie un¬
geteilt unter eigner Regierung und mit eigner Vertretung leben und zusammen¬
bleiben. Daran darf nicht gemäkelt, dies muß ihnen unter allen Umständen
erkämpft und durch entsprechende Institutionen: vereinte Ständeversammlung,
eignes Heer, nur eingeborne Beamte, eignes Budget, eignes Zollsystem u. s. w.
gesichert werden. Von einem Gesammtstaat darf fernerhin nicht mehr die
Rede sein.

Und ebenso unbestreitbar ist die Erbfolge des Herzogs Friedrich ein gutes
Landesrecht, welches zur Geltung zu bringen ist. Zwar könnte man dagegen
anführen, daß es weniger darauf ankomme, wer an der Spitze des Ganzen
stehe, als daß ein Land seine Autonomie habe. Und so würde uns ein Zau¬
dern vor dem letzten Entschlüsse keinen Tadel zu verdienen scheinen, wenn die
Frage sich etwa so stellte: die vereinigten Herzogthümer in ganz derselben Srellung
zu Dänemark, wie Norwegen zu Schweden, Rendsburg zur Bundesfestung erklärt,
Kiel zum Bundeshafcn umgeschaffen und kein Krieg, wenigstens kein großer,
oder andrerseits Einsetzung des Herzogs Friedrich in die Regierung Schleswig-
Holsteins und jedenfalls ein deutsch-dänischer, vielleicht ein europäischer Krieg?

Allein so stellt sich die Frage nicht. Die Dänen würden auf eine ver¬
fassungsmäßige Trennung der Herzogthümer so wenig ohne Zwang eingehen,
wie auf eine Trennung durch eine andere Dynastie in Schleswig-Holstein. So¬
dann aber hat auch hier die Ehre Preußens den Ausschlag zu geben, die Ehre,
welche durch die Anerkennung des ganzen Schleswig-holsteinischen Programms
von Seiten Friedrich Wilhelms des Vierten verpfändet und in Olmütz auf
eine Weise, die noch jetzt jedes preußische Herz brennen macht, sich zu verhüllen
genöthigt worden ist.

Eine fernere Möglichkeit, den Krieg zu vermeiden, wäre vielleicht, wenn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/92>, abgerufen am 24.07.2024.