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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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gegeben, und so hoffen wir, daß man die jetzigen Mißstände bald für erheblich
genug ansehen werde, um an einen entsprechenden Um^ oder Neubau zudenken.

Da wir des Publicums gedacht haben, so wollen wir nicht unterlassen,
einen merklichen Rückschritt in demselben zu beklagen. Immer mehr zeigt es
beides, ablehnende Kälte und Begeisterung am unrechten Orte. Da die Sitte
des Applaudirens einmal vorhanden ist. so muß es wohl Verwunderung er¬
regen, wenn nach den würdigsten, feinsten und schönsten Leistungen unsres
Orchesters, nach einer meisterhaft gespielten Ouvertüre oder Symphonie nur
ein matter, schattenhafter Applaus erfolgt, während nach der xeiis^e tuAitivs
oder der Phantasie über Motive aus ?c. irgend eines Clavier-, Geigen-, Cellv-
oder sogar Harfenvirtuosen vom starken oder vom schönen Geschlecht tausend
fleißige Hände sich regen und der Jubel gar kein Ende nehmen will. Diese
immer sich wiederholende Erfahrung beweist nur, daß eine ganze und bedeutende
Anzahl unsrer leipziger Concertbesucher auf einem sehr elementaren Standpunkte
künstlerischer Erfahrung steht, wo das stoffliche oder rein persönliche oder irgend
welches andere niedere Interesse maßgebend ist. Aber das Publicum der leipziger
' Gewandhausconcerte sollte des Spruches eingedenk sein: riodltZSLv vbliZö, und
sollte nicht vergessen, daß ihm schon seine Bergangenheit nicht gestattet, jetzt
wieder "in jenen Zuständen zu wandeln, wo es wohl erlaubt ist. Kunstwerke
wie Naturerzeugnisse auf sich wirken zu lassen."

Leider findet sich aber unter dem Publicum der leipziger Gewandhaus¬
concerte auch ein Bestandtheil, dem gegenüber man weit niedriger stehende For¬
derungen, die Gebotenes einfachen Anstandes in Erinnerung bringen muß, da
er die übrigen Hörer durch geräuschvolles Zuspätkommen und rauschendes Zu-
zeitiggchen zu stören Pflegt. Warum die Concertdirection diesem Unwesen nicht
abhilft, wissen wir nicht; das aber wissen wir, daß das gerügte Benehmen zu
denjenigen Fällen gehört, für welche selbst der ruhige Deutsche mit Vorliebe
das Wort ungezogen gebraucht.

Wir brechen hier ab, da wir die folgende Besprechung der künstlerischen
Leistungen dieses Winters billig von diesen letzten rein localen Bemerkungen
zu trennen wünschen.




gegeben, und so hoffen wir, daß man die jetzigen Mißstände bald für erheblich
genug ansehen werde, um an einen entsprechenden Um^ oder Neubau zudenken.

Da wir des Publicums gedacht haben, so wollen wir nicht unterlassen,
einen merklichen Rückschritt in demselben zu beklagen. Immer mehr zeigt es
beides, ablehnende Kälte und Begeisterung am unrechten Orte. Da die Sitte
des Applaudirens einmal vorhanden ist. so muß es wohl Verwunderung er¬
regen, wenn nach den würdigsten, feinsten und schönsten Leistungen unsres
Orchesters, nach einer meisterhaft gespielten Ouvertüre oder Symphonie nur
ein matter, schattenhafter Applaus erfolgt, während nach der xeiis^e tuAitivs
oder der Phantasie über Motive aus ?c. irgend eines Clavier-, Geigen-, Cellv-
oder sogar Harfenvirtuosen vom starken oder vom schönen Geschlecht tausend
fleißige Hände sich regen und der Jubel gar kein Ende nehmen will. Diese
immer sich wiederholende Erfahrung beweist nur, daß eine ganze und bedeutende
Anzahl unsrer leipziger Concertbesucher auf einem sehr elementaren Standpunkte
künstlerischer Erfahrung steht, wo das stoffliche oder rein persönliche oder irgend
welches andere niedere Interesse maßgebend ist. Aber das Publicum der leipziger
' Gewandhausconcerte sollte des Spruches eingedenk sein: riodltZSLv vbliZö, und
sollte nicht vergessen, daß ihm schon seine Bergangenheit nicht gestattet, jetzt
wieder „in jenen Zuständen zu wandeln, wo es wohl erlaubt ist. Kunstwerke
wie Naturerzeugnisse auf sich wirken zu lassen."

Leider findet sich aber unter dem Publicum der leipziger Gewandhaus¬
concerte auch ein Bestandtheil, dem gegenüber man weit niedriger stehende For¬
derungen, die Gebotenes einfachen Anstandes in Erinnerung bringen muß, da
er die übrigen Hörer durch geräuschvolles Zuspätkommen und rauschendes Zu-
zeitiggchen zu stören Pflegt. Warum die Concertdirection diesem Unwesen nicht
abhilft, wissen wir nicht; das aber wissen wir, daß das gerügte Benehmen zu
denjenigen Fällen gehört, für welche selbst der ruhige Deutsche mit Vorliebe
das Wort ungezogen gebraucht.

Wir brechen hier ab, da wir die folgende Besprechung der künstlerischen
Leistungen dieses Winters billig von diesen letzten rein localen Bemerkungen
zu trennen wünschen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/86>, abgerufen am 24.07.2024.