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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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einem Theile unsres Publicums und von einem Theile der musikalischen Kritik,
am meisten aber von einigen Musikern in desto höherem Grade empfunden und
geäußert wird, so versagen wir uns absichtlich, auf den hierbei zu berühren¬
den Streupuntt näher einzugehen und wollen uns damit begnügen, einige Be¬
merkungen und die unumgänglich nöthigen historischen Notizen zu bringen.

Es gibt bekanntlich einige Stimmen in der Presse, welche ,seit geraumer
Zeit uns versichern, daß Hector Berlioz aus Frankreich, Richard Wagner aus
Sachsen und Franz Liszt aus Ungarn eine neue Aera der Musik begonnen
haben. Wenn man die begeisterten Lobsprüche liest, die Anschauungen ver¬
nimmt, welche jene Leute über das von diesen drei Männern Geleistete zu äußern
Pflegen, so wird man sogar weiter gehen und sagen müssen, daß von dem
obigen Triumvirat die neue Aera nicht nur begonnen, sondern auch fortgebildet
und vollendet worden sei.

Wir erlauben uns zuvörderst Protest einzulegen gegen die Neben cinander-
stellung jener drei Musiker.

Liszt, auf dem gold- und weihrauchbcstreuten Pfade der großen Clavier-
virtuosen großgeworden, hat ohne Unterschied bei allen, die ihn je gehört haben,
den Ruf eines großen, eminent begabten Virtuosen hinterlassen. Meister einer
erstaunlich gesteigerten Technik und eines leicht erfassende" und genau bewahren¬
den Gedächtnisses hat er lange Jahre hindurch die Welt durchzogen und mir
seinem Spiel die Herzen der Hörer und Hörerinnen gewonnen. Er hat dann
mehre Jahre lang in Weimar eine Art von Mittelpunkt für die neuen Be¬
strebungen einer plötzlich aus dem Boden aufschießenden Schule gebildet, über
welche gleichwie über ihn selbst der stachelnde Ehrgeiz gekommen war, ins¬
gesammt >n möglichst kurzer Zeit möglichst große Männer zu werden. Der
Führer selbst war zwar bekannt als der erste Virtuos seiner Zeit, doch genügte
ihm das nicht, und er rang nun mit einer Energie, die in ihren einzelnen
Aeußerungen zu verfolgen weitläufig und unerquicklich sein würde, ein gro¬
ßer Eomponist nicht nur zu werben, sondern als ein solcher sich auch der all-
gemeinen Anerkennung zu versicher". Es entstanden nun in raschester Folge
eine respectable Reihe von Compositionen, weiche er symphmüsche Dichtungen
genannt wünschte. Wir wollen nicht darüber rechten, daß die Musik "Dichtungen"
produciren soll, und würden den verfehlten Titel gering ""schlage", wen" die
Musik gut wäre. Sie ist aber -- und wir spreche" hiermit nichts weiter als
das allmälig gebildete Vvllsurtheil aus -- nichts anderes als eine wenig an¬
sprechende Verkörperung des trostlosesten Zwiespaltes, der sich denken läßt, des
Zwiespaltes zwischen Wollen und Können. Wenn nu", wie hier, dieses Wol¬
len selbst ein verfehltes ist, so können uns einzelne verstreute cuige"ebene Züge,
manches hübsche Motiv, etwelche interessante Combinativne", ein paar raffinirte
Jnstrumentaleffecte keineswegs entschädigen für den gänzlichen Mangel a" kunst-


einem Theile unsres Publicums und von einem Theile der musikalischen Kritik,
am meisten aber von einigen Musikern in desto höherem Grade empfunden und
geäußert wird, so versagen wir uns absichtlich, auf den hierbei zu berühren¬
den Streupuntt näher einzugehen und wollen uns damit begnügen, einige Be¬
merkungen und die unumgänglich nöthigen historischen Notizen zu bringen.

Es gibt bekanntlich einige Stimmen in der Presse, welche ,seit geraumer
Zeit uns versichern, daß Hector Berlioz aus Frankreich, Richard Wagner aus
Sachsen und Franz Liszt aus Ungarn eine neue Aera der Musik begonnen
haben. Wenn man die begeisterten Lobsprüche liest, die Anschauungen ver¬
nimmt, welche jene Leute über das von diesen drei Männern Geleistete zu äußern
Pflegen, so wird man sogar weiter gehen und sagen müssen, daß von dem
obigen Triumvirat die neue Aera nicht nur begonnen, sondern auch fortgebildet
und vollendet worden sei.

Wir erlauben uns zuvörderst Protest einzulegen gegen die Neben cinander-
stellung jener drei Musiker.

Liszt, auf dem gold- und weihrauchbcstreuten Pfade der großen Clavier-
virtuosen großgeworden, hat ohne Unterschied bei allen, die ihn je gehört haben,
den Ruf eines großen, eminent begabten Virtuosen hinterlassen. Meister einer
erstaunlich gesteigerten Technik und eines leicht erfassende» und genau bewahren¬
den Gedächtnisses hat er lange Jahre hindurch die Welt durchzogen und mir
seinem Spiel die Herzen der Hörer und Hörerinnen gewonnen. Er hat dann
mehre Jahre lang in Weimar eine Art von Mittelpunkt für die neuen Be¬
strebungen einer plötzlich aus dem Boden aufschießenden Schule gebildet, über
welche gleichwie über ihn selbst der stachelnde Ehrgeiz gekommen war, ins¬
gesammt >n möglichst kurzer Zeit möglichst große Männer zu werden. Der
Führer selbst war zwar bekannt als der erste Virtuos seiner Zeit, doch genügte
ihm das nicht, und er rang nun mit einer Energie, die in ihren einzelnen
Aeußerungen zu verfolgen weitläufig und unerquicklich sein würde, ein gro¬
ßer Eomponist nicht nur zu werben, sondern als ein solcher sich auch der all-
gemeinen Anerkennung zu versicher». Es entstanden nun in raschester Folge
eine respectable Reihe von Compositionen, weiche er symphmüsche Dichtungen
genannt wünschte. Wir wollen nicht darüber rechten, daß die Musik „Dichtungen"
produciren soll, und würden den verfehlten Titel gering «»schlage», wen» die
Musik gut wäre. Sie ist aber — und wir spreche» hiermit nichts weiter als
das allmälig gebildete Vvllsurtheil aus — nichts anderes als eine wenig an¬
sprechende Verkörperung des trostlosesten Zwiespaltes, der sich denken läßt, des
Zwiespaltes zwischen Wollen und Können. Wenn nu», wie hier, dieses Wol¬
len selbst ein verfehltes ist, so können uns einzelne verstreute cuige»ebene Züge,
manches hübsche Motiv, etwelche interessante Combinativne», ein paar raffinirte
Jnstrumentaleffecte keineswegs entschädigen für den gänzlichen Mangel a» kunst-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/82>, abgerufen am 24.07.2024.