Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

einen theuren Preis. Doch gab ich in der Freude meines Herzens, wie¬
der einen Säbel zu erlangen, mit Vergnügen eines meiner englischen Gold¬
stücke hin.




Die Musik und die leipziger Coneertsaison von 1863--1864.

Gerade zehn Jahre sind verflossen, seitdem d. Bl. aus der Feder eiues
wohlbekannten, wenn auch ungenannten Musikkenners jene Aufsätze über die
leipziger Abonnementscvncerte und über die von Wagner verkündete neue Aera
der Oper brachte, welche bei ihrem Erscheinen in allen Theilen des Publicums
je nach ihrer Beschaffenheit und Gesinnung eine ganze Scala von Empfin¬
dungen hervorriefen, von dem heftigen Zorne verletzter Parteieitelkeit bis
zur aufrichtigen Zustimmung und Freude an dem offnen Aussprechen und den
zu Grunde liegenden künstlerischen Anschauungen.

Seitdem ist auf dem Gebiet der Musik manche neue Erscheinung aufgetaucht.
Fragen wir aber nach dem Gewinn jener zehn Jahre für die Tonkunst, gleich¬
sam nach dem Reinertrag dieser Periode auf dem Gebiet musikalischer Produc-
non, so würden wir unsre Ansprüche auf ein sehr bescheidenes Maß hcrab-
slimmen müssen, wenn wir uns davon besonders lebhaft befriedigt erklären wollten,
und damit möge man das lange Schweigen d. Bl. in dieser Beziehung ent¬
schuldigen. Die Zeit, wo ein genialer Meister nach dem andern auftrat und
die Kunst in weitere und höhere Bahnen führte, ist vorüber; selbst die großen
Nachgeborenen haben uns bis auf wenige ehrwürdige Häupter verlassen, als
der letzte ist Robert Schumann in das Grab gestiegen. Und so lebt es in aller
Bewußtsein, daß jetzt gewissermaßen eine Periode der Ruhe ist. in der es gilt,
sich des Gewonnenen zu bemächtigen, des Wortes eingedenk:


"Was Du ererbt von Deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen."

Jede Zeit, die auf eine große Schöpfungsperiode folgt, hat eine ernste Auf¬
gabe zu erfüllen. Der schöpferische Genius steht in seinem Bewußtsein immer
allein, allein wenigstens in seinem innersten Wesen, in dem, was ganz und
vorzüglich seine Individualität ausmacht, in seinem Schaffen. Er muß und
wird sich eins fühlen mit seinem Volke und seiner Zeit, die Ideen, welche sich
darin erzeugen, werden ihn erfüllen; aber schon die Naivetät des echten Schaffens


einen theuren Preis. Doch gab ich in der Freude meines Herzens, wie¬
der einen Säbel zu erlangen, mit Vergnügen eines meiner englischen Gold¬
stücke hin.




Die Musik und die leipziger Coneertsaison von 1863—1864.

Gerade zehn Jahre sind verflossen, seitdem d. Bl. aus der Feder eiues
wohlbekannten, wenn auch ungenannten Musikkenners jene Aufsätze über die
leipziger Abonnementscvncerte und über die von Wagner verkündete neue Aera
der Oper brachte, welche bei ihrem Erscheinen in allen Theilen des Publicums
je nach ihrer Beschaffenheit und Gesinnung eine ganze Scala von Empfin¬
dungen hervorriefen, von dem heftigen Zorne verletzter Parteieitelkeit bis
zur aufrichtigen Zustimmung und Freude an dem offnen Aussprechen und den
zu Grunde liegenden künstlerischen Anschauungen.

Seitdem ist auf dem Gebiet der Musik manche neue Erscheinung aufgetaucht.
Fragen wir aber nach dem Gewinn jener zehn Jahre für die Tonkunst, gleich¬
sam nach dem Reinertrag dieser Periode auf dem Gebiet musikalischer Produc-
non, so würden wir unsre Ansprüche auf ein sehr bescheidenes Maß hcrab-
slimmen müssen, wenn wir uns davon besonders lebhaft befriedigt erklären wollten,
und damit möge man das lange Schweigen d. Bl. in dieser Beziehung ent¬
schuldigen. Die Zeit, wo ein genialer Meister nach dem andern auftrat und
die Kunst in weitere und höhere Bahnen führte, ist vorüber; selbst die großen
Nachgeborenen haben uns bis auf wenige ehrwürdige Häupter verlassen, als
der letzte ist Robert Schumann in das Grab gestiegen. Und so lebt es in aller
Bewußtsein, daß jetzt gewissermaßen eine Periode der Ruhe ist. in der es gilt,
sich des Gewonnenen zu bemächtigen, des Wortes eingedenk:


„Was Du ererbt von Deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen."

Jede Zeit, die auf eine große Schöpfungsperiode folgt, hat eine ernste Auf¬
gabe zu erfüllen. Der schöpferische Genius steht in seinem Bewußtsein immer
allein, allein wenigstens in seinem innersten Wesen, in dem, was ganz und
vorzüglich seine Individualität ausmacht, in seinem Schaffen. Er muß und
wird sich eins fühlen mit seinem Volke und seiner Zeit, die Ideen, welche sich
darin erzeugen, werden ihn erfüllen; aber schon die Naivetät des echten Schaffens


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0072" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116537"/>
          <p xml:id="ID_180" prev="#ID_179"> einen theuren Preis. Doch gab ich in der Freude meines Herzens, wie¬<lb/>
der einen Säbel zu erlangen, mit Vergnügen eines meiner englischen Gold¬<lb/>
stücke hin.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Musik und die leipziger Coneertsaison von 1863&#x2014;1864.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_181"> Gerade zehn Jahre sind verflossen, seitdem d. Bl. aus der Feder eiues<lb/>
wohlbekannten, wenn auch ungenannten Musikkenners jene Aufsätze über die<lb/>
leipziger Abonnementscvncerte und über die von Wagner verkündete neue Aera<lb/>
der Oper brachte, welche bei ihrem Erscheinen in allen Theilen des Publicums<lb/>
je nach ihrer Beschaffenheit und Gesinnung eine ganze Scala von Empfin¬<lb/>
dungen hervorriefen, von dem heftigen Zorne verletzter Parteieitelkeit bis<lb/>
zur aufrichtigen Zustimmung und Freude an dem offnen Aussprechen und den<lb/>
zu Grunde liegenden künstlerischen Anschauungen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_182"> Seitdem ist auf dem Gebiet der Musik manche neue Erscheinung aufgetaucht.<lb/>
Fragen wir aber nach dem Gewinn jener zehn Jahre für die Tonkunst, gleich¬<lb/>
sam nach dem Reinertrag dieser Periode auf dem Gebiet musikalischer Produc-<lb/>
non, so würden wir unsre Ansprüche auf ein sehr bescheidenes Maß hcrab-<lb/>
slimmen müssen, wenn wir uns davon besonders lebhaft befriedigt erklären wollten,<lb/>
und damit möge man das lange Schweigen d. Bl. in dieser Beziehung ent¬<lb/>
schuldigen. Die Zeit, wo ein genialer Meister nach dem andern auftrat und<lb/>
die Kunst in weitere und höhere Bahnen führte, ist vorüber; selbst die großen<lb/>
Nachgeborenen haben uns bis auf wenige ehrwürdige Häupter verlassen, als<lb/>
der letzte ist Robert Schumann in das Grab gestiegen. Und so lebt es in aller<lb/>
Bewußtsein, daß jetzt gewissermaßen eine Periode der Ruhe ist. in der es gilt,<lb/>
sich des Gewonnenen zu bemächtigen, des Wortes eingedenk:</p><lb/>
          <quote> &#x201E;Was Du ererbt von Deinen Vätern hast,<lb/>
Erwirb es, um es zu besitzen."</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_183" next="#ID_184"> Jede Zeit, die auf eine große Schöpfungsperiode folgt, hat eine ernste Auf¬<lb/>
gabe zu erfüllen. Der schöpferische Genius steht in seinem Bewußtsein immer<lb/>
allein, allein wenigstens in seinem innersten Wesen, in dem, was ganz und<lb/>
vorzüglich seine Individualität ausmacht, in seinem Schaffen. Er muß und<lb/>
wird sich eins fühlen mit seinem Volke und seiner Zeit, die Ideen, welche sich<lb/>
darin erzeugen, werden ihn erfüllen; aber schon die Naivetät des echten Schaffens</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0072] einen theuren Preis. Doch gab ich in der Freude meines Herzens, wie¬ der einen Säbel zu erlangen, mit Vergnügen eines meiner englischen Gold¬ stücke hin. Die Musik und die leipziger Coneertsaison von 1863—1864. Gerade zehn Jahre sind verflossen, seitdem d. Bl. aus der Feder eiues wohlbekannten, wenn auch ungenannten Musikkenners jene Aufsätze über die leipziger Abonnementscvncerte und über die von Wagner verkündete neue Aera der Oper brachte, welche bei ihrem Erscheinen in allen Theilen des Publicums je nach ihrer Beschaffenheit und Gesinnung eine ganze Scala von Empfin¬ dungen hervorriefen, von dem heftigen Zorne verletzter Parteieitelkeit bis zur aufrichtigen Zustimmung und Freude an dem offnen Aussprechen und den zu Grunde liegenden künstlerischen Anschauungen. Seitdem ist auf dem Gebiet der Musik manche neue Erscheinung aufgetaucht. Fragen wir aber nach dem Gewinn jener zehn Jahre für die Tonkunst, gleich¬ sam nach dem Reinertrag dieser Periode auf dem Gebiet musikalischer Produc- non, so würden wir unsre Ansprüche auf ein sehr bescheidenes Maß hcrab- slimmen müssen, wenn wir uns davon besonders lebhaft befriedigt erklären wollten, und damit möge man das lange Schweigen d. Bl. in dieser Beziehung ent¬ schuldigen. Die Zeit, wo ein genialer Meister nach dem andern auftrat und die Kunst in weitere und höhere Bahnen führte, ist vorüber; selbst die großen Nachgeborenen haben uns bis auf wenige ehrwürdige Häupter verlassen, als der letzte ist Robert Schumann in das Grab gestiegen. Und so lebt es in aller Bewußtsein, daß jetzt gewissermaßen eine Periode der Ruhe ist. in der es gilt, sich des Gewonnenen zu bemächtigen, des Wortes eingedenk: „Was Du ererbt von Deinen Vätern hast, Erwirb es, um es zu besitzen." Jede Zeit, die auf eine große Schöpfungsperiode folgt, hat eine ernste Auf¬ gabe zu erfüllen. Der schöpferische Genius steht in seinem Bewußtsein immer allein, allein wenigstens in seinem innersten Wesen, in dem, was ganz und vorzüglich seine Individualität ausmacht, in seinem Schaffen. Er muß und wird sich eins fühlen mit seinem Volke und seiner Zeit, die Ideen, welche sich darin erzeugen, werden ihn erfüllen; aber schon die Naivetät des echten Schaffens

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/72
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/72>, abgerufen am 24.07.2024.