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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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sich aus seiner Betäubung aufgerichtet. Die Barbaren hatten ihm nichts, weder
die Beinkleider noch die Stiefeln, nicht einmal das Hemd wieder gegeben,
sondern ihm nur diesen alten französischen Mantel zugeworfen, um seine Blöße
einigermaßen zu bedecken. So hatten sie ihn zu uns gebracht, wo er verbunden
worden war und einige Nahrungsmittel erhalten hatte. Es wurde hinunter zu
den Soldaten geschickt, unter denen noch einige waren, denen man ihre Tornister
gelassen hatte, und von diesen und den Offizieren oben wurde er nothdürftig
mit dem bekleidet, was jeder entbehren konnte. Man räumte ihm einen
bequemen Platz ein. wo er alsbald in einen tiefen Schlaf fiel. Er lebt noch
heute als pensionirter Major in Breslau.

Ich hatte mich auch niedergelegt und schlief neben Kowaczeck und mit unter
dessen Mantel bald ein, trotzdem, daß ich von der erhaltenen Suppe nichts
weniger als gesättigt war. Durch ein Geräusch in der Stube und eine laute
Stimme wurde ich --- es mochte etwas später als zehn Uhr Abends sein --
erweckt, ich richtete mich auf und erblickte einen nicht mehr jungen französischen
Offizier, der Kapitän sein mußte, mit einem brennenden Lichtstümpfchen in
der Hand. Ich fragte: was es denn gäbe? "Hu<z es qu'it / a-t-it? sagte er,
it äoit edi'0 uir comurmräMt lei." Bei den Franzosen heißt jeder Bataillons-
commaudeur "e0wllmuäa>ut bataillon". Ich rief meinen Major. "Heißen
Sie ihn Sorge tragen," sagte der Franzose, "daß alle sich hinunterbegeben;
der Transport geht weiter, nur die, welche verwundet sind, können bleiben."
Ich war aufgestanden, aber aus diese Worte ging ich wieder nach meinem
Platz. "Was thun Sie da?" fragte er. -- "Nun, ich will mich wieder hin¬
legen; ich kann nicht marschiren." "Warum nicht?" -- "Weil ich verwundet
bin." -- "Wo sind Sie verwundet?" -- "An den Füßen, ich kann keine
Stiefel anziehen." --- "So werden Sie ohne Stiefel marschiren." -- "Haben
Sie Wagen?" -- "Nein, aber eine Meile von hier werden Wagen kommen."
-- "Darauf kann ich mich nicht einlassen, ich bin nicht im Stande zehn Schritte
zu gehen." -- "Sie werden marschiren!" -- "Ich marschire nicht." "Sie mar¬
schiren." "Ich marschire nicht." Da wurde er böse, zückte seinen Degen und
sagte: "Sie marschiren, oder" -- Ich riß meinen Nock auf und sagte: "Stoßen
Sie zu, es wird Ihnen viel Ehre machen." In diesem Augenblick trat zu
meinem Glück ein junger bildhübscher Offizier von der neu errichteten Nobel¬
garde ein und machte dem Capitain eine Meldung, worauf dieser aus mich
zeigend sagte: "?r<zue^ gg-räe <1" celui-el, it t'irut."Abs0tum6ut. Hu'it limreliv,
et s'it ne ohne pas irrirredsr laisLLi? 1ö poi'ter eir bg.s." Damit ging er zur
Thüre hinaus.

Der junge Offizier sah mich an und sagte: "Vorwärts, mein Herr, beeilen
Sie sich." Ich erwiderte: "Es scheint mir, mein Herr, daß Sie noch nicht
lange Soldat sind?" Er sagte: "O, mein Herr, hier ist weder die Zeit noch


sich aus seiner Betäubung aufgerichtet. Die Barbaren hatten ihm nichts, weder
die Beinkleider noch die Stiefeln, nicht einmal das Hemd wieder gegeben,
sondern ihm nur diesen alten französischen Mantel zugeworfen, um seine Blöße
einigermaßen zu bedecken. So hatten sie ihn zu uns gebracht, wo er verbunden
worden war und einige Nahrungsmittel erhalten hatte. Es wurde hinunter zu
den Soldaten geschickt, unter denen noch einige waren, denen man ihre Tornister
gelassen hatte, und von diesen und den Offizieren oben wurde er nothdürftig
mit dem bekleidet, was jeder entbehren konnte. Man räumte ihm einen
bequemen Platz ein. wo er alsbald in einen tiefen Schlaf fiel. Er lebt noch
heute als pensionirter Major in Breslau.

Ich hatte mich auch niedergelegt und schlief neben Kowaczeck und mit unter
dessen Mantel bald ein, trotzdem, daß ich von der erhaltenen Suppe nichts
weniger als gesättigt war. Durch ein Geräusch in der Stube und eine laute
Stimme wurde ich —- es mochte etwas später als zehn Uhr Abends sein —
erweckt, ich richtete mich auf und erblickte einen nicht mehr jungen französischen
Offizier, der Kapitän sein mußte, mit einem brennenden Lichtstümpfchen in
der Hand. Ich fragte: was es denn gäbe? „Hu<z es qu'it / a-t-it? sagte er,
it äoit edi'0 uir comurmräMt lei." Bei den Franzosen heißt jeder Bataillons-
commaudeur „e0wllmuäa>ut bataillon". Ich rief meinen Major. „Heißen
Sie ihn Sorge tragen," sagte der Franzose, „daß alle sich hinunterbegeben;
der Transport geht weiter, nur die, welche verwundet sind, können bleiben."
Ich war aufgestanden, aber aus diese Worte ging ich wieder nach meinem
Platz. „Was thun Sie da?" fragte er. — „Nun, ich will mich wieder hin¬
legen; ich kann nicht marschiren." „Warum nicht?" — „Weil ich verwundet
bin." — „Wo sind Sie verwundet?" — „An den Füßen, ich kann keine
Stiefel anziehen." —- „So werden Sie ohne Stiefel marschiren." — „Haben
Sie Wagen?" — „Nein, aber eine Meile von hier werden Wagen kommen."
— „Darauf kann ich mich nicht einlassen, ich bin nicht im Stande zehn Schritte
zu gehen." — „Sie werden marschiren!" — „Ich marschire nicht." „Sie mar¬
schiren." „Ich marschire nicht." Da wurde er böse, zückte seinen Degen und
sagte: „Sie marschiren, oder" — Ich riß meinen Nock auf und sagte: „Stoßen
Sie zu, es wird Ihnen viel Ehre machen." In diesem Augenblick trat zu
meinem Glück ein junger bildhübscher Offizier von der neu errichteten Nobel¬
garde ein und machte dem Capitain eine Meldung, worauf dieser aus mich
zeigend sagte: „?r<zue^ gg-räe <1« celui-el, it t'irut."Abs0tum6ut. Hu'it limreliv,
et s'it ne ohne pas irrirredsr laisLLi? 1ö poi'ter eir bg.s." Damit ging er zur
Thüre hinaus.

Der junge Offizier sah mich an und sagte: „Vorwärts, mein Herr, beeilen
Sie sich." Ich erwiderte: „Es scheint mir, mein Herr, daß Sie noch nicht
lange Soldat sind?" Er sagte: „O, mein Herr, hier ist weder die Zeit noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/64>, abgerufen am 24.07.2024.