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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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ob Freund oder Feind. -- denn er lag still und schien fest zu schlafen. -- lege
ich mich zu ihm und schlief bald ebenfalls ein. So lag ich mehre Stunden,
bis der Tag anbrach und die Kälte mich weckte. Ich ermunterte mich bald
und fand jetzt, daß ich mir erlaubt hatte, den Leib meines Schlafkameraden
zum Kopfkissen zu wühlen. Er war ganz starr und steif, wie ich meinte, vor
Frost, und rührte sich nickt. Da fasse ich ihn endlich an, fahre aber blitzschnell
zurück, und Grausen ergreift mich -- ich hatte auf einem Todten gelegen, der
entweder schon todt war, als ich in der Nacht zu ihm kam, oder erst unter
mir sein Leben ausgehaucht hatte. Ich lief hinaus ans Feuer zu den Fran¬
zosen, und nachdem ich mich etwas erwärmt hatte, legte ich mich hinter einem
der feindlichen Soldaten, der, die Knie in die Höhe gezogen, am Feuer saß,
und Kartoffeln in der Asche briet, so hin, daß ich hinter seinen aufgezogenen
Knien mich wärmen konnte. Von Zeit zu Zeit holte er eine Kartoffel aus der
glühenden Asche und verspeiste sie mit großem Behagen. Das reizte auch
meinen Appetit, und ich langte unter seinem Knie durch und nahm mir nach
und nach 3--4 Kartoffeln. Ob er es bemerkt hatte und mich für einen Ka¬
meraden hielt, der seine Hände durchsteckte, weiß ich nicht, genug, er ließ es
geschehen. Dies Frühstück, so sehr verschieden von dem am Tage vorher ge¬
nossenen, erquickte mich fast noch mehr, als die damalige Chocolade.

Es war nun Heller Tag geworden, da ließ sich Geräusch von marschiren-
den Truppen auf der Chaussee hören. Ich stand auf und begab mich dahin,
sie zu sehen. Es war französische Infanterie, vielleicht dieselben Leute, die
uns in Etoges gestern so geängstigt und mich gefangen hatten, ich ließ sie dicht
an mir vorbeidcsiliren; sie marschirten ruhig, ohne von mir Notiz zu nehmen.
Ein kleiner Tamlwur aber, höchstens 16--17 Jahr alt, kam auf mich zu und
verlangte meinen Ueberrock, und als ich mich weigerte, packte er mich, um ihn
mir vom Leibe zu reißen. Das war mir doch zu viel, und ich vergaß ganz,
daß ich ein ohnmächtiger Gefangener war. gab ihm einen Stoß, daß er zu¬
rücktaumelte und lief zu dem Feuer zurück. Hier bemerkte ich einen verwunde¬
ten französischen Dragonerofsizier, der neben seinem Pferde stand; zu ihm
floh ich, ihn anredend: "Wenn Sie Offizier sind, so schützen Sie einen gefange¬
nen Kameraden vor den Mißhandlungen Ihrer Soldaten!" -- Er antwortete:
"Kestetz Äuxrös as moi, rrmis it ne kaut xs,s wttrö." Ich blieb bei ihm,
bis wir zum Antreten gerufen wurden, um weiter transportirt zu werden.

Die Bewegung ging jetzt rückwärts, auch war uns vorher gesagt worden, daß
wir dicht aufmarschiren müßten, niemand zurückbleiben dürfe, wer sich irgendwo
aufhielte, würde ohne Weiteres niedergeschossen. Mit uns und neben uns mar-
schirre Infanterie in Sectionen. es waren Schweizer, die mit einigen von
uns in deutscher Sprache ein Gespräch anfingen und von denen wir erfuhren
daß unser Marsch nach Montmirail ging. Fast jeder von ihnen hatte ein scho-


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ob Freund oder Feind. — denn er lag still und schien fest zu schlafen. — lege
ich mich zu ihm und schlief bald ebenfalls ein. So lag ich mehre Stunden,
bis der Tag anbrach und die Kälte mich weckte. Ich ermunterte mich bald
und fand jetzt, daß ich mir erlaubt hatte, den Leib meines Schlafkameraden
zum Kopfkissen zu wühlen. Er war ganz starr und steif, wie ich meinte, vor
Frost, und rührte sich nickt. Da fasse ich ihn endlich an, fahre aber blitzschnell
zurück, und Grausen ergreift mich — ich hatte auf einem Todten gelegen, der
entweder schon todt war, als ich in der Nacht zu ihm kam, oder erst unter
mir sein Leben ausgehaucht hatte. Ich lief hinaus ans Feuer zu den Fran¬
zosen, und nachdem ich mich etwas erwärmt hatte, legte ich mich hinter einem
der feindlichen Soldaten, der, die Knie in die Höhe gezogen, am Feuer saß,
und Kartoffeln in der Asche briet, so hin, daß ich hinter seinen aufgezogenen
Knien mich wärmen konnte. Von Zeit zu Zeit holte er eine Kartoffel aus der
glühenden Asche und verspeiste sie mit großem Behagen. Das reizte auch
meinen Appetit, und ich langte unter seinem Knie durch und nahm mir nach
und nach 3—4 Kartoffeln. Ob er es bemerkt hatte und mich für einen Ka¬
meraden hielt, der seine Hände durchsteckte, weiß ich nicht, genug, er ließ es
geschehen. Dies Frühstück, so sehr verschieden von dem am Tage vorher ge¬
nossenen, erquickte mich fast noch mehr, als die damalige Chocolade.

Es war nun Heller Tag geworden, da ließ sich Geräusch von marschiren-
den Truppen auf der Chaussee hören. Ich stand auf und begab mich dahin,
sie zu sehen. Es war französische Infanterie, vielleicht dieselben Leute, die
uns in Etoges gestern so geängstigt und mich gefangen hatten, ich ließ sie dicht
an mir vorbeidcsiliren; sie marschirten ruhig, ohne von mir Notiz zu nehmen.
Ein kleiner Tamlwur aber, höchstens 16—17 Jahr alt, kam auf mich zu und
verlangte meinen Ueberrock, und als ich mich weigerte, packte er mich, um ihn
mir vom Leibe zu reißen. Das war mir doch zu viel, und ich vergaß ganz,
daß ich ein ohnmächtiger Gefangener war. gab ihm einen Stoß, daß er zu¬
rücktaumelte und lief zu dem Feuer zurück. Hier bemerkte ich einen verwunde¬
ten französischen Dragonerofsizier, der neben seinem Pferde stand; zu ihm
floh ich, ihn anredend: „Wenn Sie Offizier sind, so schützen Sie einen gefange¬
nen Kameraden vor den Mißhandlungen Ihrer Soldaten!" — Er antwortete:
„Kestetz Äuxrös as moi, rrmis it ne kaut xs,s wttrö." Ich blieb bei ihm,
bis wir zum Antreten gerufen wurden, um weiter transportirt zu werden.

Die Bewegung ging jetzt rückwärts, auch war uns vorher gesagt worden, daß
wir dicht aufmarschiren müßten, niemand zurückbleiben dürfe, wer sich irgendwo
aufhielte, würde ohne Weiteres niedergeschossen. Mit uns und neben uns mar-
schirre Infanterie in Sectionen. es waren Schweizer, die mit einigen von
uns in deutscher Sprache ein Gespräch anfingen und von denen wir erfuhren
daß unser Marsch nach Montmirail ging. Fast jeder von ihnen hatte ein scho-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/61>, abgerufen am 24.07.2024.