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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Eine ganze und volle Dichternatur zeigt sich uns wieder in Hans Hopfen. Auch
er scheint sich gern in der altdeutschen Sage zu bewegen, wie denn auch Felix
Dahn mit einigen Balladen aus dem Nibelungcntreise vertreten ist. Aber
Hopfen, der unsres Wissens im Dichterbuch zum ersten Mal aufgetreten ist,
zeigte gleich eine erfreuliche Vielseitigkeit. Wie ihm die Nibelungenstrophe ge¬
lingt, so weiß er auch den Ton des derben historischen Volkslieds des siebzehnten
und achtzehnten Jahrhunderts meisterlich zu treffen. Das Lied von der Sent-
linger Bauernschlacht mit dem Refrain: "lieber bayrisch sterben, als kaiserlich
verderben" ist in seiner unmittelbaren Lebenswahrheit ein wirkliches Stück
Geschichte, im Unterschied von Linggs historischen Bildern, bei welchen der
Dichter seinen Standort in der Entfernung nimmt und mittelst der Reflexion
die vergangenen Zustände näher bringt. Allen liebenswürdigen Zauber ent¬
faltet dann Hopfen in dem Liedercyklus, einer unglücklichen Herzensgeschichte
mit der ganzen Tonleiter der Liebesgefühle. Ein humoristischer Zug geht durch
das Ganze trotz des ernsten Schlusses. Wir fühlen, wie des Dichters Ge¬
müth gesund bleibt inmitten der herben Erfahrung, und wohl gesünder daraus
hervorgeht. Ja wir empfinden etwas von jener goethcschcn Befreiung des
Gemüths durch das Aussprechen des Schmerzes im Gedicht. Inzwischen hat
sich Hopfen mit Glück auch im Roman versucht: Peregretta, (Berlin 1864).
Der Roman ist spannend angelegt, die Erzählung munter, lebendig, vor
Laune, und unvermerkt weiß uns der Dichter mitten in Conflicte hineinzuziehen,
die nur noch einen tragischen Ausgang erlauben. In den Situationen, be-
sonders gegen den Schluß, wie auch in den Charakteren ist noch manches Un¬
reife. Aber die ganze frische eigenthümliche Behandlung des an sich nicht eben
neuen Stoffes läßt nach dieser Erstlingsarbeit noch reifere bedeutendere Früchte
erwarten.

Je frischeres Leben nun aber in den Erzeugnissen dieser jung-münchener
Schule zu spüren ist, um so auffallender bleibt doch die oben angedeutete
Scheu, an die bewegenden Interessen der Zeit zu rühren: Möglich, daß in
den Pulten noch verdächtige Producte verschlossen sind, von Einzelnen möchten
wir es geradezu vermuthen. Aber auch dann bleibt diese Zurückhaltung ein
bezeichnendes Symptom. Es ist nicht von Tendenzdichtung die Rede, es soll
hier auch nicht der Werth der politischen Poesie oder das Maß ihrer Zulässig-
keit erörtert werden. ES soll blos constatirt werden, daß diese Münchener
Dichter sich vor allen Abwegen dieser Art sorgsamst hüten, und daß auch die
Jüngeren, die offenen Gemüths sich selbst ganz und ohne Rückhalt geben, ein¬
zig um das Weh ihrer Herzen bekümmert scheinen und baust in Gefahr stehen,
den realen ethischen Boden, aus dem jede rechte Poesie erwachsen soll, zu ver¬
lieren. Um den Hauch der Gegenwart in der modernen Lyrik deutlicher zu
spüren, müssen wir wieder zu den Schwaben zurückkehren, die in der That


Eine ganze und volle Dichternatur zeigt sich uns wieder in Hans Hopfen. Auch
er scheint sich gern in der altdeutschen Sage zu bewegen, wie denn auch Felix
Dahn mit einigen Balladen aus dem Nibelungcntreise vertreten ist. Aber
Hopfen, der unsres Wissens im Dichterbuch zum ersten Mal aufgetreten ist,
zeigte gleich eine erfreuliche Vielseitigkeit. Wie ihm die Nibelungenstrophe ge¬
lingt, so weiß er auch den Ton des derben historischen Volkslieds des siebzehnten
und achtzehnten Jahrhunderts meisterlich zu treffen. Das Lied von der Sent-
linger Bauernschlacht mit dem Refrain: „lieber bayrisch sterben, als kaiserlich
verderben" ist in seiner unmittelbaren Lebenswahrheit ein wirkliches Stück
Geschichte, im Unterschied von Linggs historischen Bildern, bei welchen der
Dichter seinen Standort in der Entfernung nimmt und mittelst der Reflexion
die vergangenen Zustände näher bringt. Allen liebenswürdigen Zauber ent¬
faltet dann Hopfen in dem Liedercyklus, einer unglücklichen Herzensgeschichte
mit der ganzen Tonleiter der Liebesgefühle. Ein humoristischer Zug geht durch
das Ganze trotz des ernsten Schlusses. Wir fühlen, wie des Dichters Ge¬
müth gesund bleibt inmitten der herben Erfahrung, und wohl gesünder daraus
hervorgeht. Ja wir empfinden etwas von jener goethcschcn Befreiung des
Gemüths durch das Aussprechen des Schmerzes im Gedicht. Inzwischen hat
sich Hopfen mit Glück auch im Roman versucht: Peregretta, (Berlin 1864).
Der Roman ist spannend angelegt, die Erzählung munter, lebendig, vor
Laune, und unvermerkt weiß uns der Dichter mitten in Conflicte hineinzuziehen,
die nur noch einen tragischen Ausgang erlauben. In den Situationen, be-
sonders gegen den Schluß, wie auch in den Charakteren ist noch manches Un¬
reife. Aber die ganze frische eigenthümliche Behandlung des an sich nicht eben
neuen Stoffes läßt nach dieser Erstlingsarbeit noch reifere bedeutendere Früchte
erwarten.

Je frischeres Leben nun aber in den Erzeugnissen dieser jung-münchener
Schule zu spüren ist, um so auffallender bleibt doch die oben angedeutete
Scheu, an die bewegenden Interessen der Zeit zu rühren: Möglich, daß in
den Pulten noch verdächtige Producte verschlossen sind, von Einzelnen möchten
wir es geradezu vermuthen. Aber auch dann bleibt diese Zurückhaltung ein
bezeichnendes Symptom. Es ist nicht von Tendenzdichtung die Rede, es soll
hier auch nicht der Werth der politischen Poesie oder das Maß ihrer Zulässig-
keit erörtert werden. ES soll blos constatirt werden, daß diese Münchener
Dichter sich vor allen Abwegen dieser Art sorgsamst hüten, und daß auch die
Jüngeren, die offenen Gemüths sich selbst ganz und ohne Rückhalt geben, ein¬
zig um das Weh ihrer Herzen bekümmert scheinen und baust in Gefahr stehen,
den realen ethischen Boden, aus dem jede rechte Poesie erwachsen soll, zu ver¬
lieren. Um den Hauch der Gegenwart in der modernen Lyrik deutlicher zu
spüren, müssen wir wieder zu den Schwaben zurückkehren, die in der That


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[0057] Eine ganze und volle Dichternatur zeigt sich uns wieder in Hans Hopfen. Auch er scheint sich gern in der altdeutschen Sage zu bewegen, wie denn auch Felix Dahn mit einigen Balladen aus dem Nibelungcntreise vertreten ist. Aber Hopfen, der unsres Wissens im Dichterbuch zum ersten Mal aufgetreten ist, zeigte gleich eine erfreuliche Vielseitigkeit. Wie ihm die Nibelungenstrophe ge¬ lingt, so weiß er auch den Ton des derben historischen Volkslieds des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts meisterlich zu treffen. Das Lied von der Sent- linger Bauernschlacht mit dem Refrain: „lieber bayrisch sterben, als kaiserlich verderben" ist in seiner unmittelbaren Lebenswahrheit ein wirkliches Stück Geschichte, im Unterschied von Linggs historischen Bildern, bei welchen der Dichter seinen Standort in der Entfernung nimmt und mittelst der Reflexion die vergangenen Zustände näher bringt. Allen liebenswürdigen Zauber ent¬ faltet dann Hopfen in dem Liedercyklus, einer unglücklichen Herzensgeschichte mit der ganzen Tonleiter der Liebesgefühle. Ein humoristischer Zug geht durch das Ganze trotz des ernsten Schlusses. Wir fühlen, wie des Dichters Ge¬ müth gesund bleibt inmitten der herben Erfahrung, und wohl gesünder daraus hervorgeht. Ja wir empfinden etwas von jener goethcschcn Befreiung des Gemüths durch das Aussprechen des Schmerzes im Gedicht. Inzwischen hat sich Hopfen mit Glück auch im Roman versucht: Peregretta, (Berlin 1864). Der Roman ist spannend angelegt, die Erzählung munter, lebendig, vor Laune, und unvermerkt weiß uns der Dichter mitten in Conflicte hineinzuziehen, die nur noch einen tragischen Ausgang erlauben. In den Situationen, be- sonders gegen den Schluß, wie auch in den Charakteren ist noch manches Un¬ reife. Aber die ganze frische eigenthümliche Behandlung des an sich nicht eben neuen Stoffes läßt nach dieser Erstlingsarbeit noch reifere bedeutendere Früchte erwarten. Je frischeres Leben nun aber in den Erzeugnissen dieser jung-münchener Schule zu spüren ist, um so auffallender bleibt doch die oben angedeutete Scheu, an die bewegenden Interessen der Zeit zu rühren: Möglich, daß in den Pulten noch verdächtige Producte verschlossen sind, von Einzelnen möchten wir es geradezu vermuthen. Aber auch dann bleibt diese Zurückhaltung ein bezeichnendes Symptom. Es ist nicht von Tendenzdichtung die Rede, es soll hier auch nicht der Werth der politischen Poesie oder das Maß ihrer Zulässig- keit erörtert werden. ES soll blos constatirt werden, daß diese Münchener Dichter sich vor allen Abwegen dieser Art sorgsamst hüten, und daß auch die Jüngeren, die offenen Gemüths sich selbst ganz und ohne Rückhalt geben, ein¬ zig um das Weh ihrer Herzen bekümmert scheinen und baust in Gefahr stehen, den realen ethischen Boden, aus dem jede rechte Poesie erwachsen soll, zu ver¬ lieren. Um den Hauch der Gegenwart in der modernen Lyrik deutlicher zu spüren, müssen wir wieder zu den Schwaben zurückkehren, die in der That

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/57>, abgerufen am 24.07.2024.