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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Dichter sich betheiligt haben. Man braucht sich nicht an den Namen seines
Herausgebers, der in seiner Heimath einen unzweideutigen Klang hat, zu hal¬
ten, um in ihm einen ziemlich demokratischen Grundzug zu finden. Die Reli¬
quien von Uhland und Kerner, deren gemeinschaftliche Posse "die Bärenritter",
ihrer Studentenzeit angehörig, uns die schönsten Tage der alten Romantik
wieder herausführt, stehen neben politischen Einfällen modernster Art, und bli¬
cken seltsam drein in das bunte Treiben, das sich um sie her entfaltet hat.
Eine sehr gemischte Gesellschaft hat sich hier zusammengefunden. Die Auswahl
ist wenig streng gewesen. Des Mittelmäßigen ist mehr als lullig. Mörikes
zarte Gesänge, Linggs fein ausgeführte Gemälde. Von welchen eines recht an
Giustis Muse erinnert, wenn es nicht -- wiederum bezeichnend --vergangene
Culturzustände satyrisch behandelte, anstatt gegenwärtige. I. G. Fischers ernste
Lyrik, Rollers gedankenvolle Erzählungen wechseln ab mit heineschen Reminis¬
cenzen schlimmster Art und Ergüssen, die zuweilen stark nach der Bierbank
duften.

Da herrscht im Münchner Dichterbnch eine strengere Disciplin. Man er¬
kennt die sorgsam waltende Hand des Herausgebers, der alles Unvergohrene,
aus den Schranken der feinen Sitte Hinausstrebcnde fern hielt. Es ist lauter
gute, wohlerzogene Gesellschaft, in die wir eingefnlnt werden, anregend geist¬
reich, lebendig, feinen Sinn erfreuend, und wenn dazwischen auch ein dociren-
der Professor das Wort nimmt, um in "schmeichelmildcn" Terzinen den "Drei¬
klang des Lebens" zu besingen, so athmen wir wieder aus, wenn nach ihm ein
Chor jugendlich heiterer Sänger vollere Klänge des Lebens erschallen läßt.
Eben bei ihnen möchten wir auch einen Augenblick verweilen. Denn was Gei-
bel^ Heyse, Lingg, Bodenstedt beigetragen haben, bezeichnet nicht eben eine
Erweiterung ihres Talents, sondern zeigt uns diese Dichter von bereits bekann¬
ten Seiten.

Es ist schwerlich ein Zufall, daß Victor Scheffel an der Spitze jener
Gruppe jüngerer Kräfte erscheint. Wenn der Dichter des Trompeters von
Säckingen, des Eckkchard und der Frau Aventiure von mittelalterlichen Stu¬
dien ausgegangen ist, angeborne Freiheit und Frische der Weltanschauung aber
ihn gerade ans die gesunden Elemente in der mittelalterlichen Welt geführt hat
und er ihr eine fröhlich derbe, naiv treuherzige Seite abzugewinnen versteht,
so ist auch für Andere aus jenem Kreise die wissenschaftliche Beschäftigung mit
dem Mittelalter die befreiende Schule für ihren Dichtergenius gewesen. Bei
Wilhelm Hertz, der um seiner Productivität willen hier in erster Linie zu nen¬
nen ist, springt dies besonders in die Augen. In seiner ersten Gedichtsamm¬
lung (Hamburg 1859) zeigte sich ein reiches, aber noch unsicheres Talent. In
Formen und Stoffen erschien er noch vielfach schwankend. Doch überwog über
die melancholischen Accorde eine naive Lust am Leben, die zuweilen einen stark


Dichter sich betheiligt haben. Man braucht sich nicht an den Namen seines
Herausgebers, der in seiner Heimath einen unzweideutigen Klang hat, zu hal¬
ten, um in ihm einen ziemlich demokratischen Grundzug zu finden. Die Reli¬
quien von Uhland und Kerner, deren gemeinschaftliche Posse „die Bärenritter",
ihrer Studentenzeit angehörig, uns die schönsten Tage der alten Romantik
wieder herausführt, stehen neben politischen Einfällen modernster Art, und bli¬
cken seltsam drein in das bunte Treiben, das sich um sie her entfaltet hat.
Eine sehr gemischte Gesellschaft hat sich hier zusammengefunden. Die Auswahl
ist wenig streng gewesen. Des Mittelmäßigen ist mehr als lullig. Mörikes
zarte Gesänge, Linggs fein ausgeführte Gemälde. Von welchen eines recht an
Giustis Muse erinnert, wenn es nicht — wiederum bezeichnend —vergangene
Culturzustände satyrisch behandelte, anstatt gegenwärtige. I. G. Fischers ernste
Lyrik, Rollers gedankenvolle Erzählungen wechseln ab mit heineschen Reminis¬
cenzen schlimmster Art und Ergüssen, die zuweilen stark nach der Bierbank
duften.

Da herrscht im Münchner Dichterbnch eine strengere Disciplin. Man er¬
kennt die sorgsam waltende Hand des Herausgebers, der alles Unvergohrene,
aus den Schranken der feinen Sitte Hinausstrebcnde fern hielt. Es ist lauter
gute, wohlerzogene Gesellschaft, in die wir eingefnlnt werden, anregend geist¬
reich, lebendig, feinen Sinn erfreuend, und wenn dazwischen auch ein dociren-
der Professor das Wort nimmt, um in „schmeichelmildcn" Terzinen den „Drei¬
klang des Lebens" zu besingen, so athmen wir wieder aus, wenn nach ihm ein
Chor jugendlich heiterer Sänger vollere Klänge des Lebens erschallen läßt.
Eben bei ihnen möchten wir auch einen Augenblick verweilen. Denn was Gei-
bel^ Heyse, Lingg, Bodenstedt beigetragen haben, bezeichnet nicht eben eine
Erweiterung ihres Talents, sondern zeigt uns diese Dichter von bereits bekann¬
ten Seiten.

Es ist schwerlich ein Zufall, daß Victor Scheffel an der Spitze jener
Gruppe jüngerer Kräfte erscheint. Wenn der Dichter des Trompeters von
Säckingen, des Eckkchard und der Frau Aventiure von mittelalterlichen Stu¬
dien ausgegangen ist, angeborne Freiheit und Frische der Weltanschauung aber
ihn gerade ans die gesunden Elemente in der mittelalterlichen Welt geführt hat
und er ihr eine fröhlich derbe, naiv treuherzige Seite abzugewinnen versteht,
so ist auch für Andere aus jenem Kreise die wissenschaftliche Beschäftigung mit
dem Mittelalter die befreiende Schule für ihren Dichtergenius gewesen. Bei
Wilhelm Hertz, der um seiner Productivität willen hier in erster Linie zu nen¬
nen ist, springt dies besonders in die Augen. In seiner ersten Gedichtsamm¬
lung (Hamburg 1859) zeigte sich ein reiches, aber noch unsicheres Talent. In
Formen und Stoffen erschien er noch vielfach schwankend. Doch überwog über
die melancholischen Accorde eine naive Lust am Leben, die zuweilen einen stark


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[0055] Dichter sich betheiligt haben. Man braucht sich nicht an den Namen seines Herausgebers, der in seiner Heimath einen unzweideutigen Klang hat, zu hal¬ ten, um in ihm einen ziemlich demokratischen Grundzug zu finden. Die Reli¬ quien von Uhland und Kerner, deren gemeinschaftliche Posse „die Bärenritter", ihrer Studentenzeit angehörig, uns die schönsten Tage der alten Romantik wieder herausführt, stehen neben politischen Einfällen modernster Art, und bli¬ cken seltsam drein in das bunte Treiben, das sich um sie her entfaltet hat. Eine sehr gemischte Gesellschaft hat sich hier zusammengefunden. Die Auswahl ist wenig streng gewesen. Des Mittelmäßigen ist mehr als lullig. Mörikes zarte Gesänge, Linggs fein ausgeführte Gemälde. Von welchen eines recht an Giustis Muse erinnert, wenn es nicht — wiederum bezeichnend —vergangene Culturzustände satyrisch behandelte, anstatt gegenwärtige. I. G. Fischers ernste Lyrik, Rollers gedankenvolle Erzählungen wechseln ab mit heineschen Reminis¬ cenzen schlimmster Art und Ergüssen, die zuweilen stark nach der Bierbank duften. Da herrscht im Münchner Dichterbnch eine strengere Disciplin. Man er¬ kennt die sorgsam waltende Hand des Herausgebers, der alles Unvergohrene, aus den Schranken der feinen Sitte Hinausstrebcnde fern hielt. Es ist lauter gute, wohlerzogene Gesellschaft, in die wir eingefnlnt werden, anregend geist¬ reich, lebendig, feinen Sinn erfreuend, und wenn dazwischen auch ein dociren- der Professor das Wort nimmt, um in „schmeichelmildcn" Terzinen den „Drei¬ klang des Lebens" zu besingen, so athmen wir wieder aus, wenn nach ihm ein Chor jugendlich heiterer Sänger vollere Klänge des Lebens erschallen läßt. Eben bei ihnen möchten wir auch einen Augenblick verweilen. Denn was Gei- bel^ Heyse, Lingg, Bodenstedt beigetragen haben, bezeichnet nicht eben eine Erweiterung ihres Talents, sondern zeigt uns diese Dichter von bereits bekann¬ ten Seiten. Es ist schwerlich ein Zufall, daß Victor Scheffel an der Spitze jener Gruppe jüngerer Kräfte erscheint. Wenn der Dichter des Trompeters von Säckingen, des Eckkchard und der Frau Aventiure von mittelalterlichen Stu¬ dien ausgegangen ist, angeborne Freiheit und Frische der Weltanschauung aber ihn gerade ans die gesunden Elemente in der mittelalterlichen Welt geführt hat und er ihr eine fröhlich derbe, naiv treuherzige Seite abzugewinnen versteht, so ist auch für Andere aus jenem Kreise die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Mittelalter die befreiende Schule für ihren Dichtergenius gewesen. Bei Wilhelm Hertz, der um seiner Productivität willen hier in erster Linie zu nen¬ nen ist, springt dies besonders in die Augen. In seiner ersten Gedichtsamm¬ lung (Hamburg 1859) zeigte sich ein reiches, aber noch unsicheres Talent. In Formen und Stoffen erschien er noch vielfach schwankend. Doch überwog über die melancholischen Accorde eine naive Lust am Leben, die zuweilen einen stark

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/55>, abgerufen am 24.07.2024.