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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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er Sinn Land "ans wilder Wurzel" gebaut habe, ein Ausdruck, der die harte
Pflugarbeit mit dem stolzen Rechte der Eroberung belohnte. Nur als eine
anderweite Consequenz der Verflechtung kann es angesehen werden, daß dem
Bauer nun auch die Ehre der Wehrhaftigkeit systematisch verkümmert wurde.
Und während der Bauer hinterm Pfluge bleiben mußte, nützten die Ritter ihrer¬
seits, die weder Landwirthe sein wollten, noch auch ihre militärischen Pflichten
rechtschaffen zu üben Luft behielten, ihre vielfachen Befreiungen mit einem so
unverschämten Raffinement aus, daß die Leistungsfähigkeit des Landes zu un¬
glaublicher Geringfügigkeit herabsank.

Der Hergang dieses schnellen Verfalls der stolz erblühten Marken bat
etwas vor unheimlicher Nemesis an sich. Wie üppiger Queckenwuchs die reiche
Saat, so schien hier die Wiederkehr der traurigen slavischen Wirthschaft von ehe¬
dem, die gleichsam ihre Wurzeln im Boden zurückgelassen hatte, die schöne
deutsche Gründung wieder ersticken zu wollen. Eine nur unter den Schöpfungen,
welche die Zeit der Askanier hervorgerufen hatte, behauptete sich nicht nur
ungeschmälert, sondern stellte sich immer energischer auf die eigene Kraft; das
waren die Städte. stattlich, wehrhaft, selbstgenug stiegen sie empor, und
wenn sie auch ihre Blüthe während der Zerrüttung der niederen Stände, denen
sie am nächsten verwandt waren, der egoistischen Trennung von diesen ver¬
dankten, so folgten sie dabei dem Gebote einer Selbsterhaltung, durch die zu¬
gleich eins der köstlichsten Güter des Volkes und der Nation gefristet wurde.
Allerdings, auf sich selbst angewiesen, wie sie waren, schlossen sie sich nach
Oben wie nach Unten gleichmäßig ab und wurden zu autonomen Republiken.
Wenn die gutsherrliche Gewalt den Landesherren von der Bevölkerung des
platten Landes trennte, so sperrte die Formel "Ratt und Bürger gemeinig¬
lich" ihn noch entschiedener als Fallgatter und Gräben vom städtischen Weich¬
bilde ab. Und so in seiner Weise war auch jeder der höheren Stände gegen
jeden anderen isolirt; sie standen zu einander so zu sagen "auf völkerrechtlichem
Fuße". Ihre Gemeinschaft hatte lange aufgehört durch ein Regiment aus¬
gedrückt zu werden, welches sein Absehn auf das Ganze gehabt hätte. Die
ständischen Aeußerungen!, die bestehen geblieben waren, bewegen sich lediglich in der
Abwehr gegen alles, was das Interesse der Einheit dieser Glieder zum Zwecke
oder auch nur zum Hintergrunde hat. Sie sind alle nur um ihrer selbst willen da.

Von der Gefahr, auch äußerlich auscinanderzubröckeln, und von der Schande,
slavischen Nachbarn zu einer nicht -einmal überall unwilligen Beute zu werden,
befreite jetzt die Marken Karl der Vierte. Die Stände hatten sich selbst der
Krone Böhmen angetragen. Für sie war es nicht eben klug gethan, den Luxem¬
burger zum Landesherrn zu bestellen; aber was bedeutete ihnen die landes¬
herrliche Gewalt noch? Doch sie sollten bald erfahren, daß Karl einen andern
Begriff von ihr hatte, als sie; er eröffnete eine unnachsichtige Inventur der


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er Sinn Land „ans wilder Wurzel" gebaut habe, ein Ausdruck, der die harte
Pflugarbeit mit dem stolzen Rechte der Eroberung belohnte. Nur als eine
anderweite Consequenz der Verflechtung kann es angesehen werden, daß dem
Bauer nun auch die Ehre der Wehrhaftigkeit systematisch verkümmert wurde.
Und während der Bauer hinterm Pfluge bleiben mußte, nützten die Ritter ihrer¬
seits, die weder Landwirthe sein wollten, noch auch ihre militärischen Pflichten
rechtschaffen zu üben Luft behielten, ihre vielfachen Befreiungen mit einem so
unverschämten Raffinement aus, daß die Leistungsfähigkeit des Landes zu un¬
glaublicher Geringfügigkeit herabsank.

Der Hergang dieses schnellen Verfalls der stolz erblühten Marken bat
etwas vor unheimlicher Nemesis an sich. Wie üppiger Queckenwuchs die reiche
Saat, so schien hier die Wiederkehr der traurigen slavischen Wirthschaft von ehe¬
dem, die gleichsam ihre Wurzeln im Boden zurückgelassen hatte, die schöne
deutsche Gründung wieder ersticken zu wollen. Eine nur unter den Schöpfungen,
welche die Zeit der Askanier hervorgerufen hatte, behauptete sich nicht nur
ungeschmälert, sondern stellte sich immer energischer auf die eigene Kraft; das
waren die Städte. stattlich, wehrhaft, selbstgenug stiegen sie empor, und
wenn sie auch ihre Blüthe während der Zerrüttung der niederen Stände, denen
sie am nächsten verwandt waren, der egoistischen Trennung von diesen ver¬
dankten, so folgten sie dabei dem Gebote einer Selbsterhaltung, durch die zu¬
gleich eins der köstlichsten Güter des Volkes und der Nation gefristet wurde.
Allerdings, auf sich selbst angewiesen, wie sie waren, schlossen sie sich nach
Oben wie nach Unten gleichmäßig ab und wurden zu autonomen Republiken.
Wenn die gutsherrliche Gewalt den Landesherren von der Bevölkerung des
platten Landes trennte, so sperrte die Formel „Ratt und Bürger gemeinig¬
lich" ihn noch entschiedener als Fallgatter und Gräben vom städtischen Weich¬
bilde ab. Und so in seiner Weise war auch jeder der höheren Stände gegen
jeden anderen isolirt; sie standen zu einander so zu sagen „auf völkerrechtlichem
Fuße". Ihre Gemeinschaft hatte lange aufgehört durch ein Regiment aus¬
gedrückt zu werden, welches sein Absehn auf das Ganze gehabt hätte. Die
ständischen Aeußerungen!, die bestehen geblieben waren, bewegen sich lediglich in der
Abwehr gegen alles, was das Interesse der Einheit dieser Glieder zum Zwecke
oder auch nur zum Hintergrunde hat. Sie sind alle nur um ihrer selbst willen da.

Von der Gefahr, auch äußerlich auscinanderzubröckeln, und von der Schande,
slavischen Nachbarn zu einer nicht -einmal überall unwilligen Beute zu werden,
befreite jetzt die Marken Karl der Vierte. Die Stände hatten sich selbst der
Krone Böhmen angetragen. Für sie war es nicht eben klug gethan, den Luxem¬
burger zum Landesherrn zu bestellen; aber was bedeutete ihnen die landes¬
herrliche Gewalt noch? Doch sie sollten bald erfahren, daß Karl einen andern
Begriff von ihr hatte, als sie; er eröffnete eine unnachsichtige Inventur der


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[0521] er Sinn Land „ans wilder Wurzel" gebaut habe, ein Ausdruck, der die harte Pflugarbeit mit dem stolzen Rechte der Eroberung belohnte. Nur als eine anderweite Consequenz der Verflechtung kann es angesehen werden, daß dem Bauer nun auch die Ehre der Wehrhaftigkeit systematisch verkümmert wurde. Und während der Bauer hinterm Pfluge bleiben mußte, nützten die Ritter ihrer¬ seits, die weder Landwirthe sein wollten, noch auch ihre militärischen Pflichten rechtschaffen zu üben Luft behielten, ihre vielfachen Befreiungen mit einem so unverschämten Raffinement aus, daß die Leistungsfähigkeit des Landes zu un¬ glaublicher Geringfügigkeit herabsank. Der Hergang dieses schnellen Verfalls der stolz erblühten Marken bat etwas vor unheimlicher Nemesis an sich. Wie üppiger Queckenwuchs die reiche Saat, so schien hier die Wiederkehr der traurigen slavischen Wirthschaft von ehe¬ dem, die gleichsam ihre Wurzeln im Boden zurückgelassen hatte, die schöne deutsche Gründung wieder ersticken zu wollen. Eine nur unter den Schöpfungen, welche die Zeit der Askanier hervorgerufen hatte, behauptete sich nicht nur ungeschmälert, sondern stellte sich immer energischer auf die eigene Kraft; das waren die Städte. stattlich, wehrhaft, selbstgenug stiegen sie empor, und wenn sie auch ihre Blüthe während der Zerrüttung der niederen Stände, denen sie am nächsten verwandt waren, der egoistischen Trennung von diesen ver¬ dankten, so folgten sie dabei dem Gebote einer Selbsterhaltung, durch die zu¬ gleich eins der köstlichsten Güter des Volkes und der Nation gefristet wurde. Allerdings, auf sich selbst angewiesen, wie sie waren, schlossen sie sich nach Oben wie nach Unten gleichmäßig ab und wurden zu autonomen Republiken. Wenn die gutsherrliche Gewalt den Landesherren von der Bevölkerung des platten Landes trennte, so sperrte die Formel „Ratt und Bürger gemeinig¬ lich" ihn noch entschiedener als Fallgatter und Gräben vom städtischen Weich¬ bilde ab. Und so in seiner Weise war auch jeder der höheren Stände gegen jeden anderen isolirt; sie standen zu einander so zu sagen „auf völkerrechtlichem Fuße". Ihre Gemeinschaft hatte lange aufgehört durch ein Regiment aus¬ gedrückt zu werden, welches sein Absehn auf das Ganze gehabt hätte. Die ständischen Aeußerungen!, die bestehen geblieben waren, bewegen sich lediglich in der Abwehr gegen alles, was das Interesse der Einheit dieser Glieder zum Zwecke oder auch nur zum Hintergrunde hat. Sie sind alle nur um ihrer selbst willen da. Von der Gefahr, auch äußerlich auscinanderzubröckeln, und von der Schande, slavischen Nachbarn zu einer nicht -einmal überall unwilligen Beute zu werden, befreite jetzt die Marken Karl der Vierte. Die Stände hatten sich selbst der Krone Böhmen angetragen. Für sie war es nicht eben klug gethan, den Luxem¬ burger zum Landesherrn zu bestellen; aber was bedeutete ihnen die landes¬ herrliche Gewalt noch? Doch sie sollten bald erfahren, daß Karl einen andern Begriff von ihr hatte, als sie; er eröffnete eine unnachsichtige Inventur der 65"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/521>, abgerufen am 24.07.2024.