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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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als Person; vermöge ihrer weiß er sich gleichsam im Mittelpunkte der Welt;
was er erlebt bezieht er auf sich selbst und sucht zu allem, was in die Sphäre
seiner Existenz hineinreicht, ein Verhältniß einzunehmen, welches geeignet ist,
sein Wesen zu bereichern, den Umkreis seines Einflusses und seiner Macht zu
erweitern. Aus diese Weise bilden sich ihm immer neue Aufgaben und neue
Organe. Wie dies geschieht, das erzählt die Geschichte seiner Politik.

Es ist darum nicht müßig, sondern voll Sinn, daß Droysen, dessen for¬
schender Blick vorwiegend auf das centrale Leben in der historischen Erscheinung
gerichtet ist, seiner Darstellung der preußischen Geschichte den Namen einer
"Geschichte der preußischen Politik" gegeben hat. Indem diese Bezeichnung
eine quantitative Einschränkung bedeutet, weist sie auf eine qualitative Erwei¬
terung hin und zeigt an, daß die Richtung seines Interesses nicht in die Breite,
sondern in die Tiefe geht. Er will nicht schildern und ausführen, sondern
prägnant gruppiren und durch eine Dialektik überzeugen, deren Bewegung die
Dinge selbst vollzieh". Bildern gleich, die vom Blitze beleuchtet werden, erschei¬
nen sie fast nur verschwindend vor unserer Seele, aber nichtsdestoweniger scharf
und bestimmt, und üben so einen Eindruck, demjenigen vergleichbar, welchen
Skizzen der Meisterhand eines Künstlers machen, in denen der Stil so zu sagen
nackt hervortritt. Seine gedrungene, substantiöse Ausdrucksweise, die sich zu¬
weilen zu fast epigrammatischer Knappheit verdichtet, schließt das Behagen des
Verweilens aus. In raschem, oft hastigem Tempo trägt seine Darstellung den
Leser fort; das Gewicht der Ereignisse, die Tragik ihres Folgeganges kommt
leibhaftig zur Erscheinung; was geschildert wird ist wirklich gegenwärtig, hält
uns in Athem wie eigenes Erlebniß. Aber die wuchtige Synthese der Dar¬
stellung und die herbe Sachlichkeit des Stils schränken die Wirkung des Buches
verwiegend auf diejenigen Leser ein, welche mit den einschlagenden historischen
Forschungen schon näher vertraut sind. Das Einzelne der Thatsachen pflegt
Droysen bei seinem Leser vorauszusetzen. Fürs größere Publicum fehlt darum
der Anhalt der Vertraulichkeit. Und was sie entfernt hält, ist nicht blos die
Eigenthümlichkeit der Sprache und der Erzählung, sondern noch mehr das, was
ihnen zu Grunde liegt: die Höhe und -- daß ich so sage -- der Stolz des
sittlichen Standpunktes. Es ist nicht immer erbaulich oder unterhaltend, in die
Züge dieses Antlitzes zu schauen, in denen sich der unerbittliche Ernst der Dinge
wiederspregelt; aber die Art und Weise, wie ihn der Autor uns empfinden läßt,
befreit uns von der bedrückenden Wucht der Wirklichkeit; denn ihr wird das
Gleichgewicht gehalten durch das "Menschengeschick bezwingende" Pathos, das
jede Zeile seines Buches ufüllt. Es läßt sich nicht sagen, Droysen stehe in
dem Sinne über seinem Gegenstande, daß man den Eindruck gewänne, als läge
ein mühelos erschaffenes Werk des Genius vor uns; nein, wir sehen die
Arbeit, die Selstverläugnung, die Macht der sittlichen Erhebung des, Forschers


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als Person; vermöge ihrer weiß er sich gleichsam im Mittelpunkte der Welt;
was er erlebt bezieht er auf sich selbst und sucht zu allem, was in die Sphäre
seiner Existenz hineinreicht, ein Verhältniß einzunehmen, welches geeignet ist,
sein Wesen zu bereichern, den Umkreis seines Einflusses und seiner Macht zu
erweitern. Aus diese Weise bilden sich ihm immer neue Aufgaben und neue
Organe. Wie dies geschieht, das erzählt die Geschichte seiner Politik.

Es ist darum nicht müßig, sondern voll Sinn, daß Droysen, dessen for¬
schender Blick vorwiegend auf das centrale Leben in der historischen Erscheinung
gerichtet ist, seiner Darstellung der preußischen Geschichte den Namen einer
„Geschichte der preußischen Politik" gegeben hat. Indem diese Bezeichnung
eine quantitative Einschränkung bedeutet, weist sie auf eine qualitative Erwei¬
terung hin und zeigt an, daß die Richtung seines Interesses nicht in die Breite,
sondern in die Tiefe geht. Er will nicht schildern und ausführen, sondern
prägnant gruppiren und durch eine Dialektik überzeugen, deren Bewegung die
Dinge selbst vollzieh». Bildern gleich, die vom Blitze beleuchtet werden, erschei¬
nen sie fast nur verschwindend vor unserer Seele, aber nichtsdestoweniger scharf
und bestimmt, und üben so einen Eindruck, demjenigen vergleichbar, welchen
Skizzen der Meisterhand eines Künstlers machen, in denen der Stil so zu sagen
nackt hervortritt. Seine gedrungene, substantiöse Ausdrucksweise, die sich zu¬
weilen zu fast epigrammatischer Knappheit verdichtet, schließt das Behagen des
Verweilens aus. In raschem, oft hastigem Tempo trägt seine Darstellung den
Leser fort; das Gewicht der Ereignisse, die Tragik ihres Folgeganges kommt
leibhaftig zur Erscheinung; was geschildert wird ist wirklich gegenwärtig, hält
uns in Athem wie eigenes Erlebniß. Aber die wuchtige Synthese der Dar¬
stellung und die herbe Sachlichkeit des Stils schränken die Wirkung des Buches
verwiegend auf diejenigen Leser ein, welche mit den einschlagenden historischen
Forschungen schon näher vertraut sind. Das Einzelne der Thatsachen pflegt
Droysen bei seinem Leser vorauszusetzen. Fürs größere Publicum fehlt darum
der Anhalt der Vertraulichkeit. Und was sie entfernt hält, ist nicht blos die
Eigenthümlichkeit der Sprache und der Erzählung, sondern noch mehr das, was
ihnen zu Grunde liegt: die Höhe und — daß ich so sage — der Stolz des
sittlichen Standpunktes. Es ist nicht immer erbaulich oder unterhaltend, in die
Züge dieses Antlitzes zu schauen, in denen sich der unerbittliche Ernst der Dinge
wiederspregelt; aber die Art und Weise, wie ihn der Autor uns empfinden läßt,
befreit uns von der bedrückenden Wucht der Wirklichkeit; denn ihr wird das
Gleichgewicht gehalten durch das „Menschengeschick bezwingende" Pathos, das
jede Zeile seines Buches ufüllt. Es läßt sich nicht sagen, Droysen stehe in
dem Sinne über seinem Gegenstande, daß man den Eindruck gewänne, als läge
ein mühelos erschaffenes Werk des Genius vor uns; nein, wir sehen die
Arbeit, die Selstverläugnung, die Macht der sittlichen Erhebung des, Forschers


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[0513] als Person; vermöge ihrer weiß er sich gleichsam im Mittelpunkte der Welt; was er erlebt bezieht er auf sich selbst und sucht zu allem, was in die Sphäre seiner Existenz hineinreicht, ein Verhältniß einzunehmen, welches geeignet ist, sein Wesen zu bereichern, den Umkreis seines Einflusses und seiner Macht zu erweitern. Aus diese Weise bilden sich ihm immer neue Aufgaben und neue Organe. Wie dies geschieht, das erzählt die Geschichte seiner Politik. Es ist darum nicht müßig, sondern voll Sinn, daß Droysen, dessen for¬ schender Blick vorwiegend auf das centrale Leben in der historischen Erscheinung gerichtet ist, seiner Darstellung der preußischen Geschichte den Namen einer „Geschichte der preußischen Politik" gegeben hat. Indem diese Bezeichnung eine quantitative Einschränkung bedeutet, weist sie auf eine qualitative Erwei¬ terung hin und zeigt an, daß die Richtung seines Interesses nicht in die Breite, sondern in die Tiefe geht. Er will nicht schildern und ausführen, sondern prägnant gruppiren und durch eine Dialektik überzeugen, deren Bewegung die Dinge selbst vollzieh». Bildern gleich, die vom Blitze beleuchtet werden, erschei¬ nen sie fast nur verschwindend vor unserer Seele, aber nichtsdestoweniger scharf und bestimmt, und üben so einen Eindruck, demjenigen vergleichbar, welchen Skizzen der Meisterhand eines Künstlers machen, in denen der Stil so zu sagen nackt hervortritt. Seine gedrungene, substantiöse Ausdrucksweise, die sich zu¬ weilen zu fast epigrammatischer Knappheit verdichtet, schließt das Behagen des Verweilens aus. In raschem, oft hastigem Tempo trägt seine Darstellung den Leser fort; das Gewicht der Ereignisse, die Tragik ihres Folgeganges kommt leibhaftig zur Erscheinung; was geschildert wird ist wirklich gegenwärtig, hält uns in Athem wie eigenes Erlebniß. Aber die wuchtige Synthese der Dar¬ stellung und die herbe Sachlichkeit des Stils schränken die Wirkung des Buches verwiegend auf diejenigen Leser ein, welche mit den einschlagenden historischen Forschungen schon näher vertraut sind. Das Einzelne der Thatsachen pflegt Droysen bei seinem Leser vorauszusetzen. Fürs größere Publicum fehlt darum der Anhalt der Vertraulichkeit. Und was sie entfernt hält, ist nicht blos die Eigenthümlichkeit der Sprache und der Erzählung, sondern noch mehr das, was ihnen zu Grunde liegt: die Höhe und — daß ich so sage — der Stolz des sittlichen Standpunktes. Es ist nicht immer erbaulich oder unterhaltend, in die Züge dieses Antlitzes zu schauen, in denen sich der unerbittliche Ernst der Dinge wiederspregelt; aber die Art und Weise, wie ihn der Autor uns empfinden läßt, befreit uns von der bedrückenden Wucht der Wirklichkeit; denn ihr wird das Gleichgewicht gehalten durch das „Menschengeschick bezwingende" Pathos, das jede Zeile seines Buches ufüllt. Es läßt sich nicht sagen, Droysen stehe in dem Sinne über seinem Gegenstande, daß man den Eindruck gewänne, als läge ein mühelos erschaffenes Werk des Genius vor uns; nein, wir sehen die Arbeit, die Selstverläugnung, die Macht der sittlichen Erhebung des, Forschers 64*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/513>, abgerufen am 24.07.2024.