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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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dieser Unabhängigkeit wurde keine Anstalt gemacht. Interessant genug, datz um
dieselbe Zeit, da Thomas Buckle in dem anspruchsvollen Wahne, der Geschichte
zum Range einer Wissenschaft verhelfen zu haben, sie vielmehr nur in die neue
Knechtschaft der naturwissenschaftlichen Methode hineinzwang, daß gerade damals
Droysen es unternahm, die historischen Studien sui juris zu machen, sie auf
sich selber zu stellen. -- Gedrängt durch das praktische lehrhafte Bedürfniß ver¬
suchte er seine theoretischen Erkenntnisse zu einem Organon der Geschichte zu
vervollständigen, welches die Methodik des historischen Forschens und die Syste¬
matik des historisch Erforschbaren umschließen soll. Nicht die völlige Ursprünglich¬
keit nimmt Droysen für seine "Historik" jm Anspruch. Ausdrücklich weist er
auf die Aperyus Wilhelm v. Humboldts als auf die Ausgangspunkte seiner
Gedankenarbeit hin. Obwohl man von einem philosophischen Systeme Hum¬
boldts nicht eigentlich werde reden können, sei doch er es, der den Weg er¬
schlossen habe für das Problem der historischen Wissenschaft. "In seinem
Denken und Forschen so wie in der großartigen Wetterführung eines thätigen
Lebens ergab sich ihm eine Weltanschauung, welche in der starken und durch¬
gebildeten Empfindung des Ethischen ihren Schwerpunkt hat." Dieser Aus¬
spruch, wie er von Droysen über W. v. Humboldt gethan ist, läßt sich ebenso
aus ihn selbst wiederholen, nur müssen wir hinzufügen, daß Droysen, indem er
sich die Betrachtungsweise Humboldts zu eigen machte, sich zugleich die Ausgabe
stellte, sie bis zur systematischen Vollendung zu bringen.

Man hat die Geschichte und ihre Erforschung eine "^iSoäo? genannt.
Um dieser anorganischen Masse das Formprincip aufzuprägen, ist es nöthig,
demjenigen, was längst in mannigfaltigster Nutzanwendung steht, die Bestätigung
durch das Bewußtsein zu geben. Zu diesem Ende wird die Geschichtswissenschaft
mitten hineingestellt zwischen die speculativen und die exacten Disciplinen.
Angesichts der immer wachsenden Progression, in welcher diese sich von einander
entfernen, kann die Nichtigkeit oder gar die Nothwendigkeit der Alternativen,
welche der Wissenschaft überhaupt dadurch gestellt wird, füglich nicht anerkannt
werden. Darum ergreift die neue wissenschaftliche Methode, welche dem Wesen
der Geschichte zu entsprechen hat, Besitz von dem Objecte des Streites der
beiden andern. Sie thut dies, indem sie neben der materialistischen und der
supranaturalistischen die ethische oder historische Weltanschauung zur Herrin
ihrer selbst macht. Sie ist recht eigentlich eine angewandte Metaphysik,
aber nicht das Sein der ethischen Welt als solches bildet ihren Gegenstand,
sondern ihr Werden und Gewordenscin. Ihre Methode will zuletzt und
zuhöchst 'weder in der Form des Schlusses erklären, noch in der des Bewei¬
ses behaupten, sondern sie geht darauf aus "forschend zu verstehn". Jedwede
Erscheinung redet sie aus ihren inwendigen Gehalt an, betrachtet alle Dinge
als "getriebene Arbeit", von je.nen nach außen gewirkt, und saßt auch das


dieser Unabhängigkeit wurde keine Anstalt gemacht. Interessant genug, datz um
dieselbe Zeit, da Thomas Buckle in dem anspruchsvollen Wahne, der Geschichte
zum Range einer Wissenschaft verhelfen zu haben, sie vielmehr nur in die neue
Knechtschaft der naturwissenschaftlichen Methode hineinzwang, daß gerade damals
Droysen es unternahm, die historischen Studien sui juris zu machen, sie auf
sich selber zu stellen. — Gedrängt durch das praktische lehrhafte Bedürfniß ver¬
suchte er seine theoretischen Erkenntnisse zu einem Organon der Geschichte zu
vervollständigen, welches die Methodik des historischen Forschens und die Syste¬
matik des historisch Erforschbaren umschließen soll. Nicht die völlige Ursprünglich¬
keit nimmt Droysen für seine „Historik" jm Anspruch. Ausdrücklich weist er
auf die Aperyus Wilhelm v. Humboldts als auf die Ausgangspunkte seiner
Gedankenarbeit hin. Obwohl man von einem philosophischen Systeme Hum¬
boldts nicht eigentlich werde reden können, sei doch er es, der den Weg er¬
schlossen habe für das Problem der historischen Wissenschaft. „In seinem
Denken und Forschen so wie in der großartigen Wetterführung eines thätigen
Lebens ergab sich ihm eine Weltanschauung, welche in der starken und durch¬
gebildeten Empfindung des Ethischen ihren Schwerpunkt hat." Dieser Aus¬
spruch, wie er von Droysen über W. v. Humboldt gethan ist, läßt sich ebenso
aus ihn selbst wiederholen, nur müssen wir hinzufügen, daß Droysen, indem er
sich die Betrachtungsweise Humboldts zu eigen machte, sich zugleich die Ausgabe
stellte, sie bis zur systematischen Vollendung zu bringen.

Man hat die Geschichte und ihre Erforschung eine «^iSoäo? genannt.
Um dieser anorganischen Masse das Formprincip aufzuprägen, ist es nöthig,
demjenigen, was längst in mannigfaltigster Nutzanwendung steht, die Bestätigung
durch das Bewußtsein zu geben. Zu diesem Ende wird die Geschichtswissenschaft
mitten hineingestellt zwischen die speculativen und die exacten Disciplinen.
Angesichts der immer wachsenden Progression, in welcher diese sich von einander
entfernen, kann die Nichtigkeit oder gar die Nothwendigkeit der Alternativen,
welche der Wissenschaft überhaupt dadurch gestellt wird, füglich nicht anerkannt
werden. Darum ergreift die neue wissenschaftliche Methode, welche dem Wesen
der Geschichte zu entsprechen hat, Besitz von dem Objecte des Streites der
beiden andern. Sie thut dies, indem sie neben der materialistischen und der
supranaturalistischen die ethische oder historische Weltanschauung zur Herrin
ihrer selbst macht. Sie ist recht eigentlich eine angewandte Metaphysik,
aber nicht das Sein der ethischen Welt als solches bildet ihren Gegenstand,
sondern ihr Werden und Gewordenscin. Ihre Methode will zuletzt und
zuhöchst 'weder in der Form des Schlusses erklären, noch in der des Bewei¬
ses behaupten, sondern sie geht darauf aus „forschend zu verstehn". Jedwede
Erscheinung redet sie aus ihren inwendigen Gehalt an, betrachtet alle Dinge
als „getriebene Arbeit", von je.nen nach außen gewirkt, und saßt auch das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/510>, abgerufen am 24.07.2024.