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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Von einsichtigen Beurtheilen! Droysens wurde, als er seine preußische
Geschichte zu schreiben begann, ein Nationalwerk erwartet, und was wir bis
jetzt besitzen verdient diesen Namen im höchsten und schönsten Sinne, aber nicht
in demjenigen. welcher gemeinhin geläufig ist. Denn sosehr auch d>e Resultate
seiner Forschung darnach angethan sind, unsere nationale politische Bildung zu
bereichern, sie in ihrer Arbeit zu fördern, ihre Ziele zu klären -- die Form, in
welcher sie geboten werden, ist keineswegs populär zu nennen. Es liegt in ihr
vielmehr der Zug zum Esoterischen ausgeprägt, der in Droysens Thätigkeit je
länger je mehr hervorgetreten ist. Das Eigenthümliche seiner Production geht
nicht blos aus einem glücklichen Verein philosophischer und historischer Bildung
hervor, sondern aus dem tieferen Streben gründlicher und abschließender Aus¬
einandersetzung der Philosophie und Geschichtsforschung. Die historischen Studie",
deren Einfluß auf den allgemeinen Bildungsdrang wie aus die wissenschaftliche
Arbeit unserer Zeit so allseitig anerkannt und lebhast empfunden wird, befinden
sich anderen gegenüber und ganz besonders neben den mächtig ausschreitenden
naturwissenschaftlichen Disciplinen in einem sehr fühlbaren Nachtheil. So
energisch und umfassend sie sich in die Breite einwickelt haben, so viel sie Neues
entdecken. Ueberkommenes durchmustern und seinen Werth feststellen, das frisch
Erarbeitete in angemessene Form prägen und verwerthen, gleichwohl werden
sie kaum im Stande sein, ausreichende Antwort zu geben auf die Frage nach
der eigentlich wissenschaftlichen Begründung ihrer Arbeitsweise und nach dem,
was in allen ihren einzelnen Aufgaben das Gemeinsame sei. Oder sollte man
bei der Natur ihres Gegenstandes unrecht thun, wenn man von ihnen ver¬
langt, daß sie sich wissenschaftlich rechtfertigen? Aber wie viele Versuche sind
nicht theils innerhalb ihrer selbst, theils und zwar überwiegend von anderen
Wissenschaftsgebieten her gemacht worden, dieser Anforderung zu genügen, die
demnach doch als eine angemessene erkannt wird. Bald hat bei der Begriffsbestim¬
mung des Wesens der Geschichte das rein Philosophische, bald das juristische, bald
das theologische Interesse vorgewogen und darnach sind auch Gesetz und Methode
der Geschichtsforschung beurtheilt und bestimmt worden. Es geschah ihr, daß
sie als ein auf keinen günstigen Namen getauftes Kind von nahen und fernen
Verwandten an die Hand genommen wurde. Alle aus diesem Verhältnisse her¬
vorgehenden Anschauungen und Axiome von der Beschaffenheit dieser Disciplin
konnten -- tÄut Ah lniöux -- wohl Durchgangspunkte bilden für die Erkenntniß
ihrer Eigenart, aber für diese selbst sind sie immer nur von negativem Werthe.

Das Wohlleben an der reichbesetzten Tafel immer sich vermehrender Auf¬
gaben, welche in neuer Zeit die große Ausbreitung der archivalischen Studien
mit sich brachte, schien sie eine Zeit lang der Pflicht der Selbsterkenntniß ver¬
gessen gemacht zu haben. Sie löste sich zwar factisch mehr und mehr aus der
Vormundschaft anderer Wissenschaften, aber zu einer principiellen Feststellung


Von einsichtigen Beurtheilen! Droysens wurde, als er seine preußische
Geschichte zu schreiben begann, ein Nationalwerk erwartet, und was wir bis
jetzt besitzen verdient diesen Namen im höchsten und schönsten Sinne, aber nicht
in demjenigen. welcher gemeinhin geläufig ist. Denn sosehr auch d>e Resultate
seiner Forschung darnach angethan sind, unsere nationale politische Bildung zu
bereichern, sie in ihrer Arbeit zu fördern, ihre Ziele zu klären — die Form, in
welcher sie geboten werden, ist keineswegs populär zu nennen. Es liegt in ihr
vielmehr der Zug zum Esoterischen ausgeprägt, der in Droysens Thätigkeit je
länger je mehr hervorgetreten ist. Das Eigenthümliche seiner Production geht
nicht blos aus einem glücklichen Verein philosophischer und historischer Bildung
hervor, sondern aus dem tieferen Streben gründlicher und abschließender Aus¬
einandersetzung der Philosophie und Geschichtsforschung. Die historischen Studie»,
deren Einfluß auf den allgemeinen Bildungsdrang wie aus die wissenschaftliche
Arbeit unserer Zeit so allseitig anerkannt und lebhast empfunden wird, befinden
sich anderen gegenüber und ganz besonders neben den mächtig ausschreitenden
naturwissenschaftlichen Disciplinen in einem sehr fühlbaren Nachtheil. So
energisch und umfassend sie sich in die Breite einwickelt haben, so viel sie Neues
entdecken. Ueberkommenes durchmustern und seinen Werth feststellen, das frisch
Erarbeitete in angemessene Form prägen und verwerthen, gleichwohl werden
sie kaum im Stande sein, ausreichende Antwort zu geben auf die Frage nach
der eigentlich wissenschaftlichen Begründung ihrer Arbeitsweise und nach dem,
was in allen ihren einzelnen Aufgaben das Gemeinsame sei. Oder sollte man
bei der Natur ihres Gegenstandes unrecht thun, wenn man von ihnen ver¬
langt, daß sie sich wissenschaftlich rechtfertigen? Aber wie viele Versuche sind
nicht theils innerhalb ihrer selbst, theils und zwar überwiegend von anderen
Wissenschaftsgebieten her gemacht worden, dieser Anforderung zu genügen, die
demnach doch als eine angemessene erkannt wird. Bald hat bei der Begriffsbestim¬
mung des Wesens der Geschichte das rein Philosophische, bald das juristische, bald
das theologische Interesse vorgewogen und darnach sind auch Gesetz und Methode
der Geschichtsforschung beurtheilt und bestimmt worden. Es geschah ihr, daß
sie als ein auf keinen günstigen Namen getauftes Kind von nahen und fernen
Verwandten an die Hand genommen wurde. Alle aus diesem Verhältnisse her¬
vorgehenden Anschauungen und Axiome von der Beschaffenheit dieser Disciplin
konnten — tÄut Ah lniöux — wohl Durchgangspunkte bilden für die Erkenntniß
ihrer Eigenart, aber für diese selbst sind sie immer nur von negativem Werthe.

Das Wohlleben an der reichbesetzten Tafel immer sich vermehrender Auf¬
gaben, welche in neuer Zeit die große Ausbreitung der archivalischen Studien
mit sich brachte, schien sie eine Zeit lang der Pflicht der Selbsterkenntniß ver¬
gessen gemacht zu haben. Sie löste sich zwar factisch mehr und mehr aus der
Vormundschaft anderer Wissenschaften, aber zu einer principiellen Feststellung


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[0509] Von einsichtigen Beurtheilen! Droysens wurde, als er seine preußische Geschichte zu schreiben begann, ein Nationalwerk erwartet, und was wir bis jetzt besitzen verdient diesen Namen im höchsten und schönsten Sinne, aber nicht in demjenigen. welcher gemeinhin geläufig ist. Denn sosehr auch d>e Resultate seiner Forschung darnach angethan sind, unsere nationale politische Bildung zu bereichern, sie in ihrer Arbeit zu fördern, ihre Ziele zu klären — die Form, in welcher sie geboten werden, ist keineswegs populär zu nennen. Es liegt in ihr vielmehr der Zug zum Esoterischen ausgeprägt, der in Droysens Thätigkeit je länger je mehr hervorgetreten ist. Das Eigenthümliche seiner Production geht nicht blos aus einem glücklichen Verein philosophischer und historischer Bildung hervor, sondern aus dem tieferen Streben gründlicher und abschließender Aus¬ einandersetzung der Philosophie und Geschichtsforschung. Die historischen Studie», deren Einfluß auf den allgemeinen Bildungsdrang wie aus die wissenschaftliche Arbeit unserer Zeit so allseitig anerkannt und lebhast empfunden wird, befinden sich anderen gegenüber und ganz besonders neben den mächtig ausschreitenden naturwissenschaftlichen Disciplinen in einem sehr fühlbaren Nachtheil. So energisch und umfassend sie sich in die Breite einwickelt haben, so viel sie Neues entdecken. Ueberkommenes durchmustern und seinen Werth feststellen, das frisch Erarbeitete in angemessene Form prägen und verwerthen, gleichwohl werden sie kaum im Stande sein, ausreichende Antwort zu geben auf die Frage nach der eigentlich wissenschaftlichen Begründung ihrer Arbeitsweise und nach dem, was in allen ihren einzelnen Aufgaben das Gemeinsame sei. Oder sollte man bei der Natur ihres Gegenstandes unrecht thun, wenn man von ihnen ver¬ langt, daß sie sich wissenschaftlich rechtfertigen? Aber wie viele Versuche sind nicht theils innerhalb ihrer selbst, theils und zwar überwiegend von anderen Wissenschaftsgebieten her gemacht worden, dieser Anforderung zu genügen, die demnach doch als eine angemessene erkannt wird. Bald hat bei der Begriffsbestim¬ mung des Wesens der Geschichte das rein Philosophische, bald das juristische, bald das theologische Interesse vorgewogen und darnach sind auch Gesetz und Methode der Geschichtsforschung beurtheilt und bestimmt worden. Es geschah ihr, daß sie als ein auf keinen günstigen Namen getauftes Kind von nahen und fernen Verwandten an die Hand genommen wurde. Alle aus diesem Verhältnisse her¬ vorgehenden Anschauungen und Axiome von der Beschaffenheit dieser Disciplin konnten — tÄut Ah lniöux — wohl Durchgangspunkte bilden für die Erkenntniß ihrer Eigenart, aber für diese selbst sind sie immer nur von negativem Werthe. Das Wohlleben an der reichbesetzten Tafel immer sich vermehrender Auf¬ gaben, welche in neuer Zeit die große Ausbreitung der archivalischen Studien mit sich brachte, schien sie eine Zeit lang der Pflicht der Selbsterkenntniß ver¬ gessen gemacht zu haben. Sie löste sich zwar factisch mehr und mehr aus der Vormundschaft anderer Wissenschaften, aber zu einer principiellen Feststellung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/509>, abgerufen am 24.07.2024.