Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Elemente der Dichtung vergnügt, eine Zeit lang seinen Gcdankenursprung vergißt,
bis es, nachdem es alle dramatische Gerechtigkeit erfüllt hat, eben im Nathan in
den Dienst des Gedankens zurückkehrt.

Im Bewußtsein dieser Beschaffenheit seines Nathan konnte Lessing wohl einmal
die Vermuthung äußern, derselbe werde vielleicht, wenn er wirklich einmal aufs
Theater kommen sollte, auf demselben wenig Wirkung thun. Allein der Erfolg hat
gar bald diese Befürchtung widerlegt, und fährt sort, sie zu widerlegen - der Nathan
hat sich auch als ein höchst wirksames Bühnenstück bewährt. Während die drama¬
tische Handlung, die Bezüge und Schicksale der auftretenden Personen die Aufmerk¬
samkeit spannen und das Gemüth in Anspruch nehmen, steigt allmälig der hohe
Sinn des Ganzen, wie ein fernes Gebirg vor dem Wanderer, vor dem Geiste auf,
und die goldenen Sprüche, dem Zuschauer oft wörtlich oder doch dem Sinne nach
längst vertraut, Sprüche, auf denen der ganze sittlich religiöse Bildungsstand der
Gegenwart beruht, geben dem Spiele, das sich vor uns abrollt, eine heilige Weihe,
dem empfänglichen Zuschauer eine andächtige Stimmung. Dabei vermißt man die
stärker packenden Eindrücke eigentlich drastischer Stücke so wenig, als man bei den
diesen Fricdensklcmgcn von Mozarts Zauberflöte die mannigfaltige Charakteristik und
die schäumende Leidenschaft in den Melodien seines Don Juan vermißt. In beiden
Lctztlingswcrken, dem des Dichters wie dem des Tonsetzers, so verschiedenartig sie
übrigens sein mögen, offenbart sich ein zur Klarheit und zum Frieden mit sich
hindurchgcdrungcner, in sich vollendeter Geist, an den, weil er jede innere Trübung
überwunden hat, auch keine Störung von außen mehr ernstlich heranreicht; sie sind
Werke, über welche hinaus dem Genius, der sie geschaffen, kein höheres mehr mög¬
lich war, Werke, welche das Licht der Verklärung schon umfließt, worein ihre Ur¬
heber bald nachher im Tode eingegangen sind.

Dergleichen aus einer besseren Welt stammende Schöpfungen, einer Welt, in
welcher die Gegensätze ewig schon gelöst, die Kämpfe ewig schon gewonnen sind,
worin wir uns oft so aussichtslos noch abarbeiten, sind uns aber nicht zu that¬
losem Genuß, zu bloßer ästhetischer Anschauung gegeben: vielmehr als Unterpfänder
und Mahnungen zugleich, daß dem ernsten und redlichen Kampfe der endliche Sieg
nicht fehlen werde; daß die Menschheit, wenn auch langsam und unter Rückfällen,
aus der Dämmerung dem Lichte, aus der Knechtschaft der Freiheit entgegenschreite;
daß aber auch nur der als Mensch mitzähle, der im weiteren oder engeren Kreise,
als Nathan oder als Klosterbruder, als Sittah oder Reesa, nach Kräften geholfen
hat, den Anbruch dieses Tages, das Kommen dieses Gottesreiches zu beschleunigen




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag von F. L. Herbig. -- Druck von C. E. Elbett in Leipzig.

Elemente der Dichtung vergnügt, eine Zeit lang seinen Gcdankenursprung vergißt,
bis es, nachdem es alle dramatische Gerechtigkeit erfüllt hat, eben im Nathan in
den Dienst des Gedankens zurückkehrt.

Im Bewußtsein dieser Beschaffenheit seines Nathan konnte Lessing wohl einmal
die Vermuthung äußern, derselbe werde vielleicht, wenn er wirklich einmal aufs
Theater kommen sollte, auf demselben wenig Wirkung thun. Allein der Erfolg hat
gar bald diese Befürchtung widerlegt, und fährt sort, sie zu widerlegen - der Nathan
hat sich auch als ein höchst wirksames Bühnenstück bewährt. Während die drama¬
tische Handlung, die Bezüge und Schicksale der auftretenden Personen die Aufmerk¬
samkeit spannen und das Gemüth in Anspruch nehmen, steigt allmälig der hohe
Sinn des Ganzen, wie ein fernes Gebirg vor dem Wanderer, vor dem Geiste auf,
und die goldenen Sprüche, dem Zuschauer oft wörtlich oder doch dem Sinne nach
längst vertraut, Sprüche, auf denen der ganze sittlich religiöse Bildungsstand der
Gegenwart beruht, geben dem Spiele, das sich vor uns abrollt, eine heilige Weihe,
dem empfänglichen Zuschauer eine andächtige Stimmung. Dabei vermißt man die
stärker packenden Eindrücke eigentlich drastischer Stücke so wenig, als man bei den
diesen Fricdensklcmgcn von Mozarts Zauberflöte die mannigfaltige Charakteristik und
die schäumende Leidenschaft in den Melodien seines Don Juan vermißt. In beiden
Lctztlingswcrken, dem des Dichters wie dem des Tonsetzers, so verschiedenartig sie
übrigens sein mögen, offenbart sich ein zur Klarheit und zum Frieden mit sich
hindurchgcdrungcner, in sich vollendeter Geist, an den, weil er jede innere Trübung
überwunden hat, auch keine Störung von außen mehr ernstlich heranreicht; sie sind
Werke, über welche hinaus dem Genius, der sie geschaffen, kein höheres mehr mög¬
lich war, Werke, welche das Licht der Verklärung schon umfließt, worein ihre Ur¬
heber bald nachher im Tode eingegangen sind.

Dergleichen aus einer besseren Welt stammende Schöpfungen, einer Welt, in
welcher die Gegensätze ewig schon gelöst, die Kämpfe ewig schon gewonnen sind,
worin wir uns oft so aussichtslos noch abarbeiten, sind uns aber nicht zu that¬
losem Genuß, zu bloßer ästhetischer Anschauung gegeben: vielmehr als Unterpfänder
und Mahnungen zugleich, daß dem ernsten und redlichen Kampfe der endliche Sieg
nicht fehlen werde; daß die Menschheit, wenn auch langsam und unter Rückfällen,
aus der Dämmerung dem Lichte, aus der Knechtschaft der Freiheit entgegenschreite;
daß aber auch nur der als Mensch mitzähle, der im weiteren oder engeren Kreise,
als Nathan oder als Klosterbruder, als Sittah oder Reesa, nach Kräften geholfen
hat, den Anbruch dieses Tages, das Kommen dieses Gottesreiches zu beschleunigen




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag von F. L. Herbig. — Druck von C. E. Elbett in Leipzig.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0050" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116515"/>
          <p xml:id="ID_123" prev="#ID_122"> Elemente der Dichtung vergnügt, eine Zeit lang seinen Gcdankenursprung vergißt,<lb/>
bis es, nachdem es alle dramatische Gerechtigkeit erfüllt hat, eben im Nathan in<lb/>
den Dienst des Gedankens zurückkehrt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_124"> Im Bewußtsein dieser Beschaffenheit seines Nathan konnte Lessing wohl einmal<lb/>
die Vermuthung äußern, derselbe werde vielleicht, wenn er wirklich einmal aufs<lb/>
Theater kommen sollte, auf demselben wenig Wirkung thun. Allein der Erfolg hat<lb/>
gar bald diese Befürchtung widerlegt, und fährt sort, sie zu widerlegen - der Nathan<lb/>
hat sich auch als ein höchst wirksames Bühnenstück bewährt. Während die drama¬<lb/>
tische Handlung, die Bezüge und Schicksale der auftretenden Personen die Aufmerk¬<lb/>
samkeit spannen und das Gemüth in Anspruch nehmen, steigt allmälig der hohe<lb/>
Sinn des Ganzen, wie ein fernes Gebirg vor dem Wanderer, vor dem Geiste auf,<lb/>
und die goldenen Sprüche, dem Zuschauer oft wörtlich oder doch dem Sinne nach<lb/>
längst vertraut, Sprüche, auf denen der ganze sittlich religiöse Bildungsstand der<lb/>
Gegenwart beruht, geben dem Spiele, das sich vor uns abrollt, eine heilige Weihe,<lb/>
dem empfänglichen Zuschauer eine andächtige Stimmung. Dabei vermißt man die<lb/>
stärker packenden Eindrücke eigentlich drastischer Stücke so wenig, als man bei den<lb/>
diesen Fricdensklcmgcn von Mozarts Zauberflöte die mannigfaltige Charakteristik und<lb/>
die schäumende Leidenschaft in den Melodien seines Don Juan vermißt. In beiden<lb/>
Lctztlingswcrken, dem des Dichters wie dem des Tonsetzers, so verschiedenartig sie<lb/>
übrigens sein mögen, offenbart sich ein zur Klarheit und zum Frieden mit sich<lb/>
hindurchgcdrungcner, in sich vollendeter Geist, an den, weil er jede innere Trübung<lb/>
überwunden hat, auch keine Störung von außen mehr ernstlich heranreicht; sie sind<lb/>
Werke, über welche hinaus dem Genius, der sie geschaffen, kein höheres mehr mög¬<lb/>
lich war, Werke, welche das Licht der Verklärung schon umfließt, worein ihre Ur¬<lb/>
heber bald nachher im Tode eingegangen sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_125"> Dergleichen aus einer besseren Welt stammende Schöpfungen, einer Welt, in<lb/>
welcher die Gegensätze ewig schon gelöst, die Kämpfe ewig schon gewonnen sind,<lb/>
worin wir uns oft so aussichtslos noch abarbeiten, sind uns aber nicht zu that¬<lb/>
losem Genuß, zu bloßer ästhetischer Anschauung gegeben: vielmehr als Unterpfänder<lb/>
und Mahnungen zugleich, daß dem ernsten und redlichen Kampfe der endliche Sieg<lb/>
nicht fehlen werde; daß die Menschheit, wenn auch langsam und unter Rückfällen,<lb/>
aus der Dämmerung dem Lichte, aus der Knechtschaft der Freiheit entgegenschreite;<lb/>
daß aber auch nur der als Mensch mitzähle, der im weiteren oder engeren Kreise,<lb/>
als Nathan oder als Klosterbruder, als Sittah oder Reesa, nach Kräften geholfen<lb/>
hat, den Anbruch dieses Tages, das Kommen dieses Gottesreiches zu beschleunigen</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <note type="byline"> Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.<lb/>
Verlag von F. L. Herbig. &#x2014; Druck von C. E. Elbett in Leipzig.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0050] Elemente der Dichtung vergnügt, eine Zeit lang seinen Gcdankenursprung vergißt, bis es, nachdem es alle dramatische Gerechtigkeit erfüllt hat, eben im Nathan in den Dienst des Gedankens zurückkehrt. Im Bewußtsein dieser Beschaffenheit seines Nathan konnte Lessing wohl einmal die Vermuthung äußern, derselbe werde vielleicht, wenn er wirklich einmal aufs Theater kommen sollte, auf demselben wenig Wirkung thun. Allein der Erfolg hat gar bald diese Befürchtung widerlegt, und fährt sort, sie zu widerlegen - der Nathan hat sich auch als ein höchst wirksames Bühnenstück bewährt. Während die drama¬ tische Handlung, die Bezüge und Schicksale der auftretenden Personen die Aufmerk¬ samkeit spannen und das Gemüth in Anspruch nehmen, steigt allmälig der hohe Sinn des Ganzen, wie ein fernes Gebirg vor dem Wanderer, vor dem Geiste auf, und die goldenen Sprüche, dem Zuschauer oft wörtlich oder doch dem Sinne nach längst vertraut, Sprüche, auf denen der ganze sittlich religiöse Bildungsstand der Gegenwart beruht, geben dem Spiele, das sich vor uns abrollt, eine heilige Weihe, dem empfänglichen Zuschauer eine andächtige Stimmung. Dabei vermißt man die stärker packenden Eindrücke eigentlich drastischer Stücke so wenig, als man bei den diesen Fricdensklcmgcn von Mozarts Zauberflöte die mannigfaltige Charakteristik und die schäumende Leidenschaft in den Melodien seines Don Juan vermißt. In beiden Lctztlingswcrken, dem des Dichters wie dem des Tonsetzers, so verschiedenartig sie übrigens sein mögen, offenbart sich ein zur Klarheit und zum Frieden mit sich hindurchgcdrungcner, in sich vollendeter Geist, an den, weil er jede innere Trübung überwunden hat, auch keine Störung von außen mehr ernstlich heranreicht; sie sind Werke, über welche hinaus dem Genius, der sie geschaffen, kein höheres mehr mög¬ lich war, Werke, welche das Licht der Verklärung schon umfließt, worein ihre Ur¬ heber bald nachher im Tode eingegangen sind. Dergleichen aus einer besseren Welt stammende Schöpfungen, einer Welt, in welcher die Gegensätze ewig schon gelöst, die Kämpfe ewig schon gewonnen sind, worin wir uns oft so aussichtslos noch abarbeiten, sind uns aber nicht zu that¬ losem Genuß, zu bloßer ästhetischer Anschauung gegeben: vielmehr als Unterpfänder und Mahnungen zugleich, daß dem ernsten und redlichen Kampfe der endliche Sieg nicht fehlen werde; daß die Menschheit, wenn auch langsam und unter Rückfällen, aus der Dämmerung dem Lichte, aus der Knechtschaft der Freiheit entgegenschreite; daß aber auch nur der als Mensch mitzähle, der im weiteren oder engeren Kreise, als Nathan oder als Klosterbruder, als Sittah oder Reesa, nach Kräften geholfen hat, den Anbruch dieses Tages, das Kommen dieses Gottesreiches zu beschleunigen Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch. Verlag von F. L. Herbig. — Druck von C. E. Elbett in Leipzig.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/50
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/50>, abgerufen am 24.07.2024.