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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Land und Volk in den Herzogthümern.

2. Das Volk im Allgemeinen. -- Die Wagricr. -- Die Propsteier. -- Die
Sachsen. -- Die Ritterschaft. -- Ein sächsisches Bauernhaus.

Nicht so wesentlich verschieden von einander wie die drei Landstreifen Schles¬
wig-Holsteins sind die Stämme, welche das Volk der Herzogthümer bilden.
Zwar hat jeder dieser Stämme gewisse Eigenthümlichkeiten, und andrerseits
bildet der verschiedene Boden der einzelnen Gegenden verschiedene Lebensart
und Sitte aus. Indeß bedarf es in den meisten Fällen, um solche Abweichungen
zu erkennen, eines besonders geschärften Auges, diese Verschiedenheiten bestehen
großentheils nur in Aeußerlichkeiten, und oft wird eine Regel aufgestellt, der sich
fast ebensoviel" Ausnahmen entgegensetzen lassen.

An die Spitze aller hierher gehörigen Bemerkungen ist der Satz ^u stellen,
daß ein Unterschied zwischen dem Schleswiger und dem Holsteiner als solchem
nicht existirt. Die einzigen Gegensätze von' einiger Bedeutung, die angeführt
werden müssen, sind der zwischen dem schwerfälligerem Marschbauer und dem
aufgeweckteren Bewohner der Geest und der zwischen dem plattdeutsch sprechen¬
den Volke im Süden und dem plattdänisch redenden im Norden, sowie dem
Nordfriesen im Westen. Aber das Phlegma der Marschleute ist einerseits nichts
weniger als allgemein, andrerseits sticht es nicht stark von der gelassenen nüch¬
ternen Denkart ihrer Nachbarn im Osten ab, und jene südjütischen Kleinbürger
und Bauern in der Umgebung von Apenrade und Hadersleben haben nur eine
dänische, jene Viehzüchter zwischen Tondern und Husum nur eine friesische Zunge.
In allen übrigen Gliedern, in ihrem Empfinden und Thun, ihrer häuslichen
Einrichtung, ihrer wirthschaftlichen Thätigkeit sind sie mit einigen kaum merk¬
lichen Abweichungen dasselbe Geschlecht wie ihre Verwandten jenseits der Sprach¬
grenze.

Es giebt ein Schleswig-holstcinisches Volk, wie sehr dies auch den Dänen
zum Verdrusse gereichen mag. Ein bestimmter Charakter prägt sich in der ganzen
Bevölkerung von der Elbe bis nach Jütland hinauf aus, ein Tenor, der alle
Besonderheiten, welche Abstammung oder Ortsangehörigkeit hervortreten läßt,
vollkommen beherrscht und mit sich verschmilzt. Der eingeborne Hamburger
Kaufmann -- wir rechnen Hamburg zu Schleswig-Holstein, dem es einst staats¬
rechtlich angehörte, und möchten es nach vielen Beziehungen die Hauptstadt der
Herzogthümer nennen -- der reiche Adel des Landes, der geldstolze, grund-
conservative Marschbauer, der Bürger wie der Tagelöhner, der Fischer und der
Schiffer tragen sämmtlich ein und dasselbe Gepräge. Allenthalben fast giebt der


Land und Volk in den Herzogthümern.

2. Das Volk im Allgemeinen. — Die Wagricr. — Die Propsteier. — Die
Sachsen. — Die Ritterschaft. — Ein sächsisches Bauernhaus.

Nicht so wesentlich verschieden von einander wie die drei Landstreifen Schles¬
wig-Holsteins sind die Stämme, welche das Volk der Herzogthümer bilden.
Zwar hat jeder dieser Stämme gewisse Eigenthümlichkeiten, und andrerseits
bildet der verschiedene Boden der einzelnen Gegenden verschiedene Lebensart
und Sitte aus. Indeß bedarf es in den meisten Fällen, um solche Abweichungen
zu erkennen, eines besonders geschärften Auges, diese Verschiedenheiten bestehen
großentheils nur in Aeußerlichkeiten, und oft wird eine Regel aufgestellt, der sich
fast ebensoviel« Ausnahmen entgegensetzen lassen.

An die Spitze aller hierher gehörigen Bemerkungen ist der Satz ^u stellen,
daß ein Unterschied zwischen dem Schleswiger und dem Holsteiner als solchem
nicht existirt. Die einzigen Gegensätze von' einiger Bedeutung, die angeführt
werden müssen, sind der zwischen dem schwerfälligerem Marschbauer und dem
aufgeweckteren Bewohner der Geest und der zwischen dem plattdeutsch sprechen¬
den Volke im Süden und dem plattdänisch redenden im Norden, sowie dem
Nordfriesen im Westen. Aber das Phlegma der Marschleute ist einerseits nichts
weniger als allgemein, andrerseits sticht es nicht stark von der gelassenen nüch¬
ternen Denkart ihrer Nachbarn im Osten ab, und jene südjütischen Kleinbürger
und Bauern in der Umgebung von Apenrade und Hadersleben haben nur eine
dänische, jene Viehzüchter zwischen Tondern und Husum nur eine friesische Zunge.
In allen übrigen Gliedern, in ihrem Empfinden und Thun, ihrer häuslichen
Einrichtung, ihrer wirthschaftlichen Thätigkeit sind sie mit einigen kaum merk¬
lichen Abweichungen dasselbe Geschlecht wie ihre Verwandten jenseits der Sprach¬
grenze.

Es giebt ein Schleswig-holstcinisches Volk, wie sehr dies auch den Dänen
zum Verdrusse gereichen mag. Ein bestimmter Charakter prägt sich in der ganzen
Bevölkerung von der Elbe bis nach Jütland hinauf aus, ein Tenor, der alle
Besonderheiten, welche Abstammung oder Ortsangehörigkeit hervortreten läßt,
vollkommen beherrscht und mit sich verschmilzt. Der eingeborne Hamburger
Kaufmann — wir rechnen Hamburg zu Schleswig-Holstein, dem es einst staats¬
rechtlich angehörte, und möchten es nach vielen Beziehungen die Hauptstadt der
Herzogthümer nennen — der reiche Adel des Landes, der geldstolze, grund-
conservative Marschbauer, der Bürger wie der Tagelöhner, der Fischer und der
Schiffer tragen sämmtlich ein und dasselbe Gepräge. Allenthalben fast giebt der


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[0485] Land und Volk in den Herzogthümern. 2. Das Volk im Allgemeinen. — Die Wagricr. — Die Propsteier. — Die Sachsen. — Die Ritterschaft. — Ein sächsisches Bauernhaus. Nicht so wesentlich verschieden von einander wie die drei Landstreifen Schles¬ wig-Holsteins sind die Stämme, welche das Volk der Herzogthümer bilden. Zwar hat jeder dieser Stämme gewisse Eigenthümlichkeiten, und andrerseits bildet der verschiedene Boden der einzelnen Gegenden verschiedene Lebensart und Sitte aus. Indeß bedarf es in den meisten Fällen, um solche Abweichungen zu erkennen, eines besonders geschärften Auges, diese Verschiedenheiten bestehen großentheils nur in Aeußerlichkeiten, und oft wird eine Regel aufgestellt, der sich fast ebensoviel« Ausnahmen entgegensetzen lassen. An die Spitze aller hierher gehörigen Bemerkungen ist der Satz ^u stellen, daß ein Unterschied zwischen dem Schleswiger und dem Holsteiner als solchem nicht existirt. Die einzigen Gegensätze von' einiger Bedeutung, die angeführt werden müssen, sind der zwischen dem schwerfälligerem Marschbauer und dem aufgeweckteren Bewohner der Geest und der zwischen dem plattdeutsch sprechen¬ den Volke im Süden und dem plattdänisch redenden im Norden, sowie dem Nordfriesen im Westen. Aber das Phlegma der Marschleute ist einerseits nichts weniger als allgemein, andrerseits sticht es nicht stark von der gelassenen nüch¬ ternen Denkart ihrer Nachbarn im Osten ab, und jene südjütischen Kleinbürger und Bauern in der Umgebung von Apenrade und Hadersleben haben nur eine dänische, jene Viehzüchter zwischen Tondern und Husum nur eine friesische Zunge. In allen übrigen Gliedern, in ihrem Empfinden und Thun, ihrer häuslichen Einrichtung, ihrer wirthschaftlichen Thätigkeit sind sie mit einigen kaum merk¬ lichen Abweichungen dasselbe Geschlecht wie ihre Verwandten jenseits der Sprach¬ grenze. Es giebt ein Schleswig-holstcinisches Volk, wie sehr dies auch den Dänen zum Verdrusse gereichen mag. Ein bestimmter Charakter prägt sich in der ganzen Bevölkerung von der Elbe bis nach Jütland hinauf aus, ein Tenor, der alle Besonderheiten, welche Abstammung oder Ortsangehörigkeit hervortreten läßt, vollkommen beherrscht und mit sich verschmilzt. Der eingeborne Hamburger Kaufmann — wir rechnen Hamburg zu Schleswig-Holstein, dem es einst staats¬ rechtlich angehörte, und möchten es nach vielen Beziehungen die Hauptstadt der Herzogthümer nennen — der reiche Adel des Landes, der geldstolze, grund- conservative Marschbauer, der Bürger wie der Tagelöhner, der Fischer und der Schiffer tragen sämmtlich ein und dasselbe Gepräge. Allenthalben fast giebt der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/485>, abgerufen am 24.07.2024.