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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Ein Ausflug ans den Kriegsschauplatz in Schleswig-Holstein.

Nach langer Unterbrechung komme ich endlich dazu,
meine Aufzeichnungen über unsere Erlebnisse und Beobachtungen im Norden
fortzusehen. Das nächste interessante Bild nach dem Dannewerk war das
Schlachtfeld von Oeversee, welches wir am Mittag des 8. März, also circa vier¬
undvierzig Stunden nach dem Kampfe, der dort stattgefunden, auf der Fahrt
von Schleswig nach Flensburg besuchten.

Wir fuhren gegen elf Uhr früh vom Lollfuß ab , kamen zunächst an den
sieben kolossalen Brctterbaracken vorbei, welche die Dänen dem Thiergarten
gegenüber zu dem Zweck errichtet, um für die Pferde ihrer Kavallerie ein Ob¬
dach zu haben, und erreichten dann die hohe Geest, auf der sich die Chaussee
zwischen dem Haideland und dem mit Knicks durchzogenen, mit einzelnen Ge¬
hölzen bedeckten östlichsten Drittel der Halbinsel hinwindet.

Die ganze Gegend war tief beschneit, die Gräben und Bodensenkungen
zum Theil zugeweht, überall Spuren des Kriegs: auf der Straße weggeworfene
Tornister und Patrontaschen, weiterhin eine in den Graben gefahrene große
eiserne Kanone, dann mehre stehen gebliebene Prohkasten. Chausseegeld zu
entrichten schien außer Gebrauch gekommen, die Einnehmer, Pächter der Re¬
gierung, wagten meist nicht einmal es einzufordern und standen betrübt über
den Umschwung der Dinge an den Fenstern, sehnsüchtig die gute Seele erwar¬
tend, die freiwillig in die Tasche greifen sollte.

Jenseits Jdstedt, dessen Häuser in der Ferne zur Rechten über der Schnee¬
decke sichtbar wurden, wieder eine verlassene Kanone und noch einige Prvtzkasten.
In Schmedeby Massen von östreichischen Soldaten und Militärfuhrwerken. Ein
Stück weiter der Cadaver eines Pferdes, dann ein zweites, dem man schon die
Haut abgezogen, und das so wie ein ungeheurer Braten blutigroth aus dem
Schnee hervorsah. Bei Frörup, wenn ich nicht irre, der erste Todte, ein Liechten¬
stein-Husar, der im Chausseegraben langgestreckt aus dem Rücken lag. Eine
Kanonenkugel war ihm durch den Unterleib gegangen, das Gesicht halb zu¬
geschneit, die Füße der Stiefeln beraubt. Weiterhin auf der Haide Leute über
einem dritten Pferde, beschäftigt, sich der Haut zu bemächtigen. Auf der Straße
gefrorne Blutlachen, zur Rechten Todtengräber mit Hacken und Schaufeln und
große schwarze Stellen im Schueegesilde, welche frische Soldatengräber andeu¬
teten. Dann etwas nördlich von Oeversee das Desilee, wo am härtesten ge¬
kämpft worden.

Die Chaussee steigt hier eine Hügelwellc hinauf, die zur Rechten nur mit
Haidekraut bewachsen ist, während links über einem Teich mit sumpfigen Ufern
ein ziemlich großes Buchengehölz die Höhe bewaldet. Das Terrain vor dem


Ein Ausflug ans den Kriegsschauplatz in Schleswig-Holstein.

Nach langer Unterbrechung komme ich endlich dazu,
meine Aufzeichnungen über unsere Erlebnisse und Beobachtungen im Norden
fortzusehen. Das nächste interessante Bild nach dem Dannewerk war das
Schlachtfeld von Oeversee, welches wir am Mittag des 8. März, also circa vier¬
undvierzig Stunden nach dem Kampfe, der dort stattgefunden, auf der Fahrt
von Schleswig nach Flensburg besuchten.

Wir fuhren gegen elf Uhr früh vom Lollfuß ab , kamen zunächst an den
sieben kolossalen Brctterbaracken vorbei, welche die Dänen dem Thiergarten
gegenüber zu dem Zweck errichtet, um für die Pferde ihrer Kavallerie ein Ob¬
dach zu haben, und erreichten dann die hohe Geest, auf der sich die Chaussee
zwischen dem Haideland und dem mit Knicks durchzogenen, mit einzelnen Ge¬
hölzen bedeckten östlichsten Drittel der Halbinsel hinwindet.

Die ganze Gegend war tief beschneit, die Gräben und Bodensenkungen
zum Theil zugeweht, überall Spuren des Kriegs: auf der Straße weggeworfene
Tornister und Patrontaschen, weiterhin eine in den Graben gefahrene große
eiserne Kanone, dann mehre stehen gebliebene Prohkasten. Chausseegeld zu
entrichten schien außer Gebrauch gekommen, die Einnehmer, Pächter der Re¬
gierung, wagten meist nicht einmal es einzufordern und standen betrübt über
den Umschwung der Dinge an den Fenstern, sehnsüchtig die gute Seele erwar¬
tend, die freiwillig in die Tasche greifen sollte.

Jenseits Jdstedt, dessen Häuser in der Ferne zur Rechten über der Schnee¬
decke sichtbar wurden, wieder eine verlassene Kanone und noch einige Prvtzkasten.
In Schmedeby Massen von östreichischen Soldaten und Militärfuhrwerken. Ein
Stück weiter der Cadaver eines Pferdes, dann ein zweites, dem man schon die
Haut abgezogen, und das so wie ein ungeheurer Braten blutigroth aus dem
Schnee hervorsah. Bei Frörup, wenn ich nicht irre, der erste Todte, ein Liechten¬
stein-Husar, der im Chausseegraben langgestreckt aus dem Rücken lag. Eine
Kanonenkugel war ihm durch den Unterleib gegangen, das Gesicht halb zu¬
geschneit, die Füße der Stiefeln beraubt. Weiterhin auf der Haide Leute über
einem dritten Pferde, beschäftigt, sich der Haut zu bemächtigen. Auf der Straße
gefrorne Blutlachen, zur Rechten Todtengräber mit Hacken und Schaufeln und
große schwarze Stellen im Schueegesilde, welche frische Soldatengräber andeu¬
teten. Dann etwas nördlich von Oeversee das Desilee, wo am härtesten ge¬
kämpft worden.

Die Chaussee steigt hier eine Hügelwellc hinauf, die zur Rechten nur mit
Haidekraut bewachsen ist, während links über einem Teich mit sumpfigen Ufern
ein ziemlich großes Buchengehölz die Höhe bewaldet. Das Terrain vor dem


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[0470] Ein Ausflug ans den Kriegsschauplatz in Schleswig-Holstein. Nach langer Unterbrechung komme ich endlich dazu, meine Aufzeichnungen über unsere Erlebnisse und Beobachtungen im Norden fortzusehen. Das nächste interessante Bild nach dem Dannewerk war das Schlachtfeld von Oeversee, welches wir am Mittag des 8. März, also circa vier¬ undvierzig Stunden nach dem Kampfe, der dort stattgefunden, auf der Fahrt von Schleswig nach Flensburg besuchten. Wir fuhren gegen elf Uhr früh vom Lollfuß ab , kamen zunächst an den sieben kolossalen Brctterbaracken vorbei, welche die Dänen dem Thiergarten gegenüber zu dem Zweck errichtet, um für die Pferde ihrer Kavallerie ein Ob¬ dach zu haben, und erreichten dann die hohe Geest, auf der sich die Chaussee zwischen dem Haideland und dem mit Knicks durchzogenen, mit einzelnen Ge¬ hölzen bedeckten östlichsten Drittel der Halbinsel hinwindet. Die ganze Gegend war tief beschneit, die Gräben und Bodensenkungen zum Theil zugeweht, überall Spuren des Kriegs: auf der Straße weggeworfene Tornister und Patrontaschen, weiterhin eine in den Graben gefahrene große eiserne Kanone, dann mehre stehen gebliebene Prohkasten. Chausseegeld zu entrichten schien außer Gebrauch gekommen, die Einnehmer, Pächter der Re¬ gierung, wagten meist nicht einmal es einzufordern und standen betrübt über den Umschwung der Dinge an den Fenstern, sehnsüchtig die gute Seele erwar¬ tend, die freiwillig in die Tasche greifen sollte. Jenseits Jdstedt, dessen Häuser in der Ferne zur Rechten über der Schnee¬ decke sichtbar wurden, wieder eine verlassene Kanone und noch einige Prvtzkasten. In Schmedeby Massen von östreichischen Soldaten und Militärfuhrwerken. Ein Stück weiter der Cadaver eines Pferdes, dann ein zweites, dem man schon die Haut abgezogen, und das so wie ein ungeheurer Braten blutigroth aus dem Schnee hervorsah. Bei Frörup, wenn ich nicht irre, der erste Todte, ein Liechten¬ stein-Husar, der im Chausseegraben langgestreckt aus dem Rücken lag. Eine Kanonenkugel war ihm durch den Unterleib gegangen, das Gesicht halb zu¬ geschneit, die Füße der Stiefeln beraubt. Weiterhin auf der Haide Leute über einem dritten Pferde, beschäftigt, sich der Haut zu bemächtigen. Auf der Straße gefrorne Blutlachen, zur Rechten Todtengräber mit Hacken und Schaufeln und große schwarze Stellen im Schueegesilde, welche frische Soldatengräber andeu¬ teten. Dann etwas nördlich von Oeversee das Desilee, wo am härtesten ge¬ kämpft worden. Die Chaussee steigt hier eine Hügelwellc hinauf, die zur Rechten nur mit Haidekraut bewachsen ist, während links über einem Teich mit sumpfigen Ufern ein ziemlich großes Buchengehölz die Höhe bewaldet. Das Terrain vor dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/470>, abgerufen am 24.07.2024.