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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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bracht. Nur einer stöhnte laut, ein hübscher kräftiger Bursch aus Steiermark,
dem eine Kugel das linke Bein zerschmettert hatte. Mehrmals hörte ich ihn
jammern: "der Krampf! der Krampf! -- Jesus Maria, der Krampf." Ich suchte
ihm Trost einzusprechen, gab ihm zu trinken und sorgte dafür, daß er ein nar¬
kotisches Pulver erhielt, worauf der Krampf, der auch die Hände ergriffen, nach¬
ließ. Ein andrer Oestreicher, dem die Hirnschale verletzt war, so daß das Gehirn
bloß lag, war, wie es schien, hierher gegangen. Gelassen wartete er, aus dem
kalten Vorsaal stehend, bis ich ihn holte, und nachdem wir ihn entkleidet, ver¬
bunden und zu Bett gebracht, schlief er sofort ein. Die Dänen, die ich sprach,
verstanden fast alle deutsch. Es waren meist große kräftige Leute mit Heller
Gesichtsfarbe und starkem Bart. Einer hatte einen Schuß durch den Oberschenkel,
der furchtbar geschwollen war. Ein anderer war durch die Lunge geschossen.
Ich fragte ihn, ob ich ihm mit etwas dienen könnte, und er antwortete mit
matter Stimme: "Ich möchte Wein haben." Ich brachte ihm ein Glas Wein
mit Wasser, er trank, spie es aber gleich darauf wieder aus und dann Blut.
Schmerzen hatte er nicht, doch war er schon am Abend todt. Ein dritter Däne,
dem ich meine Dienste anbot, verlangte vor allem Tinte, Feder und Papier.
"Ich will an mein Frau sjreiben", sagte er. "Sie denkt sonst, ich bin todt."
Ich erkundigte mich, ob er schwer verwundet. "Nein, blos ein Streissjuß an
der Hüfte." Von wo er gebürtig. "Von Laaland." Ob er Kinder habe.
"Drei." -- "Das ist der Krieg", sagte er mit trauriger Miene.

Eine ziemliche Anzahl der hier liegenden Dänen war in ähnlichem Fall,
und bei den tödtlich Verwundeten war der Seelenschmerz um ihre Familie
jedenfalls größer als ihre körperlichen Leiden, zumal, wenn sie ihre jetzige leid¬
lich bequeme Lage im warmen Zimmer mit der verglichen, in der sie sich sahen,
bevor sie gesunden wurden. Einer, den ich sprach, hatte dreizehn volle Stunden
hilflos und einsam hinter einem Knick im Schnee gelegen, ein anderer, wie mir
erzählt wurde, nach dem Gefecht bei Jaged zwanzig Stunden und dabei Hände
und Füße erfroren.

Kranke gab es nur wenige. Nach dieser Seite bietet ein Winterfeldzug
günstigere Verhältnisse, als ein Krieg im Sommer. Hitze füllt die Spitäler weit
mehr als selbst strenge Kälte mit der Nothwendigkeit, unter freiem Himmel zu
lagern. Daß die Dänen aus völlig gleichem Fuß mit den Oestreichern behandelt
wurden, verstand sich von selbst, ebenso, daß dem Mangel bald abgeholfen wurde.
Die Verbandzeuge der Oestreicher wurden mir von Professor Esmarch, der sich
um die Schleswiger Lazarethe große Verdienste erworben hat, sehr gelobt, und
auch sonst waren die Einrichtungen befriedigend, nur gab es, wie ein anderer
Arzt tadelte, zu viel Schreiberei, Tabellen und Berichte, Meldungen an Pontius
und Pilatus und dergleichen bureaukratischen Firlefanz mehr, womit namentlich
die Zeit der Oberärzte unbillig in Anspruch genommen wurde.


bracht. Nur einer stöhnte laut, ein hübscher kräftiger Bursch aus Steiermark,
dem eine Kugel das linke Bein zerschmettert hatte. Mehrmals hörte ich ihn
jammern: „der Krampf! der Krampf! — Jesus Maria, der Krampf." Ich suchte
ihm Trost einzusprechen, gab ihm zu trinken und sorgte dafür, daß er ein nar¬
kotisches Pulver erhielt, worauf der Krampf, der auch die Hände ergriffen, nach¬
ließ. Ein andrer Oestreicher, dem die Hirnschale verletzt war, so daß das Gehirn
bloß lag, war, wie es schien, hierher gegangen. Gelassen wartete er, aus dem
kalten Vorsaal stehend, bis ich ihn holte, und nachdem wir ihn entkleidet, ver¬
bunden und zu Bett gebracht, schlief er sofort ein. Die Dänen, die ich sprach,
verstanden fast alle deutsch. Es waren meist große kräftige Leute mit Heller
Gesichtsfarbe und starkem Bart. Einer hatte einen Schuß durch den Oberschenkel,
der furchtbar geschwollen war. Ein anderer war durch die Lunge geschossen.
Ich fragte ihn, ob ich ihm mit etwas dienen könnte, und er antwortete mit
matter Stimme: „Ich möchte Wein haben." Ich brachte ihm ein Glas Wein
mit Wasser, er trank, spie es aber gleich darauf wieder aus und dann Blut.
Schmerzen hatte er nicht, doch war er schon am Abend todt. Ein dritter Däne,
dem ich meine Dienste anbot, verlangte vor allem Tinte, Feder und Papier.
„Ich will an mein Frau sjreiben", sagte er. „Sie denkt sonst, ich bin todt."
Ich erkundigte mich, ob er schwer verwundet. „Nein, blos ein Streissjuß an
der Hüfte." Von wo er gebürtig. „Von Laaland." Ob er Kinder habe.
„Drei." — „Das ist der Krieg", sagte er mit trauriger Miene.

Eine ziemliche Anzahl der hier liegenden Dänen war in ähnlichem Fall,
und bei den tödtlich Verwundeten war der Seelenschmerz um ihre Familie
jedenfalls größer als ihre körperlichen Leiden, zumal, wenn sie ihre jetzige leid¬
lich bequeme Lage im warmen Zimmer mit der verglichen, in der sie sich sahen,
bevor sie gesunden wurden. Einer, den ich sprach, hatte dreizehn volle Stunden
hilflos und einsam hinter einem Knick im Schnee gelegen, ein anderer, wie mir
erzählt wurde, nach dem Gefecht bei Jaged zwanzig Stunden und dabei Hände
und Füße erfroren.

Kranke gab es nur wenige. Nach dieser Seite bietet ein Winterfeldzug
günstigere Verhältnisse, als ein Krieg im Sommer. Hitze füllt die Spitäler weit
mehr als selbst strenge Kälte mit der Nothwendigkeit, unter freiem Himmel zu
lagern. Daß die Dänen aus völlig gleichem Fuß mit den Oestreichern behandelt
wurden, verstand sich von selbst, ebenso, daß dem Mangel bald abgeholfen wurde.
Die Verbandzeuge der Oestreicher wurden mir von Professor Esmarch, der sich
um die Schleswiger Lazarethe große Verdienste erworben hat, sehr gelobt, und
auch sonst waren die Einrichtungen befriedigend, nur gab es, wie ein anderer
Arzt tadelte, zu viel Schreiberei, Tabellen und Berichte, Meldungen an Pontius
und Pilatus und dergleichen bureaukratischen Firlefanz mehr, womit namentlich
die Zeit der Oberärzte unbillig in Anspruch genommen wurde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/444>, abgerufen am 24.07.2024.