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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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"Was gilt die Wette? Die beste Flasche, die Raven hat, he?"

"Gut, die beste Flasche, wenn er's nicht ist."

Es war die Stimme des Redners und Wirths von voriger Nacht, und
gleich darauf sah ich seine lange Gestalt zur Thür herein und hastig aus den
großen Unbekannten, den er da gefeiert, zuschießen.

"Um Vergebung, nicht wahr, Sie sind der Doctor Rasch?" fragte er,
einer bejahenden Antwort allem Anschein nach sicher.

"Bedauere, werther Herr, mein Name ist Busch."

Wie mit der Pistole ins Gesicht geschossen, fuhr der Lange zurück und
schlich, sich duckend unter der Wucht seiner Enttäuschung und Beschämung, davon,
um geraume Zeit nicht wiederzukommen. Draußen großes Gelächter -- die
weltgeschichtliche Rede des ersten Acts war in den Born gefallen. Oper-im et
oleum pLräiäi und eine Flasche vom Besten noch dazu.

Erst spät erholte der Gute sich soweit, um diese mit zu vertilgen, und
selbst dann that er's mit niedergeschlagnen Augen. Lebhaft bemitleidete ich
seine Situation. Aber wer wird auch ohne Weiteres die Sonne seiner Bered¬
samkeit aufgehen lassen über Leute, die das weder verlangen, noch sich dazu
legitimirt haben. Vorsicht ist zu allen Dingen nütze und traue schaue wem,
würde ihm unser Sprichwvrterlicbhaber in Uniform von der flcckebyer Chaussee
belehrend entgegengehalten haben.

Auch dem verkannten jetzt Bekannten konnte dieses Ende der Geschichte
nicht recht bequem sein. Es war überhaupt unbehaglich, die Lorbeeren fremder
Leute sich zum Kranze gepflückt und aufgesetzt zu wissen, und es war noch viel
peinlicher, die Lorbeeren des Doctor Gustav Rasch, wenn auch nur für einige
Stunden, getragen zu haben. Luna cula^ne! Indeß tröstete ein gutes Gewissen
und das Vergnügen, ein Abenicuer erlebt zu haben, wie die Natur sie nicht
jeden Tag so nach allen Regeln tragikomischer Kunst wachsen läßt.

In der Zwischenzeit hatte ich mit einem Freunde, der von Kreuznach hier-
her gekommen, um sich als Arzt den Verwundeten nützlich zu machen, das eine
der vier in Schleswig bestehenden Lazarethe und dann das Dannewcrk besucht.
Das Lazarett), im Rathhause eingerichtet, litt Mangel an allem Nothwendigen.
Von Militärärzten war noch niemand vorhanden, zwei Civilärzte hatten für
mehr als sechzig Verwundete zu sorgen, zu denen stündlich neue kamen. Es
fehlte an Decken und Verbandtaschen, an Medicin und theilweise selbst an
Bedienung. Zwei gefangene dänische Sergeanten, beiläufig sehr flinke und an¬
stellige Leute, versahen das Amt von Krankenwärtern und Gehilfen. Auch ich
versuchte ein paar Stunden Dienste zu leisten.

Die Mehrzahl der Verwundeten des großen Hauptsaals schlief, als wir
eintraten, viele nur mit ihren Mänteln und Uniformen zugedeckt. Etwa die
Hälfte waren Dänen, die übrigen östreichische Jäger, alle von Oevcrsce berge-


„Was gilt die Wette? Die beste Flasche, die Raven hat, he?"

„Gut, die beste Flasche, wenn er's nicht ist."

Es war die Stimme des Redners und Wirths von voriger Nacht, und
gleich darauf sah ich seine lange Gestalt zur Thür herein und hastig aus den
großen Unbekannten, den er da gefeiert, zuschießen.

„Um Vergebung, nicht wahr, Sie sind der Doctor Rasch?" fragte er,
einer bejahenden Antwort allem Anschein nach sicher.

„Bedauere, werther Herr, mein Name ist Busch."

Wie mit der Pistole ins Gesicht geschossen, fuhr der Lange zurück und
schlich, sich duckend unter der Wucht seiner Enttäuschung und Beschämung, davon,
um geraume Zeit nicht wiederzukommen. Draußen großes Gelächter — die
weltgeschichtliche Rede des ersten Acts war in den Born gefallen. Oper-im et
oleum pLräiäi und eine Flasche vom Besten noch dazu.

Erst spät erholte der Gute sich soweit, um diese mit zu vertilgen, und
selbst dann that er's mit niedergeschlagnen Augen. Lebhaft bemitleidete ich
seine Situation. Aber wer wird auch ohne Weiteres die Sonne seiner Bered¬
samkeit aufgehen lassen über Leute, die das weder verlangen, noch sich dazu
legitimirt haben. Vorsicht ist zu allen Dingen nütze und traue schaue wem,
würde ihm unser Sprichwvrterlicbhaber in Uniform von der flcckebyer Chaussee
belehrend entgegengehalten haben.

Auch dem verkannten jetzt Bekannten konnte dieses Ende der Geschichte
nicht recht bequem sein. Es war überhaupt unbehaglich, die Lorbeeren fremder
Leute sich zum Kranze gepflückt und aufgesetzt zu wissen, und es war noch viel
peinlicher, die Lorbeeren des Doctor Gustav Rasch, wenn auch nur für einige
Stunden, getragen zu haben. Luna cula^ne! Indeß tröstete ein gutes Gewissen
und das Vergnügen, ein Abenicuer erlebt zu haben, wie die Natur sie nicht
jeden Tag so nach allen Regeln tragikomischer Kunst wachsen läßt.

In der Zwischenzeit hatte ich mit einem Freunde, der von Kreuznach hier-
her gekommen, um sich als Arzt den Verwundeten nützlich zu machen, das eine
der vier in Schleswig bestehenden Lazarethe und dann das Dannewcrk besucht.
Das Lazarett), im Rathhause eingerichtet, litt Mangel an allem Nothwendigen.
Von Militärärzten war noch niemand vorhanden, zwei Civilärzte hatten für
mehr als sechzig Verwundete zu sorgen, zu denen stündlich neue kamen. Es
fehlte an Decken und Verbandtaschen, an Medicin und theilweise selbst an
Bedienung. Zwei gefangene dänische Sergeanten, beiläufig sehr flinke und an¬
stellige Leute, versahen das Amt von Krankenwärtern und Gehilfen. Auch ich
versuchte ein paar Stunden Dienste zu leisten.

Die Mehrzahl der Verwundeten des großen Hauptsaals schlief, als wir
eintraten, viele nur mit ihren Mänteln und Uniformen zugedeckt. Etwa die
Hälfte waren Dänen, die übrigen östreichische Jäger, alle von Oevcrsce berge-


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[0443] „Was gilt die Wette? Die beste Flasche, die Raven hat, he?" „Gut, die beste Flasche, wenn er's nicht ist." Es war die Stimme des Redners und Wirths von voriger Nacht, und gleich darauf sah ich seine lange Gestalt zur Thür herein und hastig aus den großen Unbekannten, den er da gefeiert, zuschießen. „Um Vergebung, nicht wahr, Sie sind der Doctor Rasch?" fragte er, einer bejahenden Antwort allem Anschein nach sicher. „Bedauere, werther Herr, mein Name ist Busch." Wie mit der Pistole ins Gesicht geschossen, fuhr der Lange zurück und schlich, sich duckend unter der Wucht seiner Enttäuschung und Beschämung, davon, um geraume Zeit nicht wiederzukommen. Draußen großes Gelächter — die weltgeschichtliche Rede des ersten Acts war in den Born gefallen. Oper-im et oleum pLräiäi und eine Flasche vom Besten noch dazu. Erst spät erholte der Gute sich soweit, um diese mit zu vertilgen, und selbst dann that er's mit niedergeschlagnen Augen. Lebhaft bemitleidete ich seine Situation. Aber wer wird auch ohne Weiteres die Sonne seiner Bered¬ samkeit aufgehen lassen über Leute, die das weder verlangen, noch sich dazu legitimirt haben. Vorsicht ist zu allen Dingen nütze und traue schaue wem, würde ihm unser Sprichwvrterlicbhaber in Uniform von der flcckebyer Chaussee belehrend entgegengehalten haben. Auch dem verkannten jetzt Bekannten konnte dieses Ende der Geschichte nicht recht bequem sein. Es war überhaupt unbehaglich, die Lorbeeren fremder Leute sich zum Kranze gepflückt und aufgesetzt zu wissen, und es war noch viel peinlicher, die Lorbeeren des Doctor Gustav Rasch, wenn auch nur für einige Stunden, getragen zu haben. Luna cula^ne! Indeß tröstete ein gutes Gewissen und das Vergnügen, ein Abenicuer erlebt zu haben, wie die Natur sie nicht jeden Tag so nach allen Regeln tragikomischer Kunst wachsen läßt. In der Zwischenzeit hatte ich mit einem Freunde, der von Kreuznach hier- her gekommen, um sich als Arzt den Verwundeten nützlich zu machen, das eine der vier in Schleswig bestehenden Lazarethe und dann das Dannewcrk besucht. Das Lazarett), im Rathhause eingerichtet, litt Mangel an allem Nothwendigen. Von Militärärzten war noch niemand vorhanden, zwei Civilärzte hatten für mehr als sechzig Verwundete zu sorgen, zu denen stündlich neue kamen. Es fehlte an Decken und Verbandtaschen, an Medicin und theilweise selbst an Bedienung. Zwei gefangene dänische Sergeanten, beiläufig sehr flinke und an¬ stellige Leute, versahen das Amt von Krankenwärtern und Gehilfen. Auch ich versuchte ein paar Stunden Dienste zu leisten. Die Mehrzahl der Verwundeten des großen Hauptsaals schlief, als wir eintraten, viele nur mit ihren Mänteln und Uniformen zugedeckt. Etwa die Hälfte waren Dänen, die übrigen östreichische Jäger, alle von Oevcrsce berge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/443>, abgerufen am 24.07.2024.