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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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als das bisher Erzählte, doch theilte man sie aus Dankbarkeit ungern und nur
in beiläufigen Flüstern mit, weshalb sie hier verschwiegen bleiben sollen. Da¬
gegen mag noch folgende scherzhafte Probe von östreichischen Soldatendeutsch
hier stehen. In eine Bürgerfamilie tritt gegen Abend ein riesiger Ungar von
der Garnison, macht an der Thür Positur, legt die Hand an die Mütze und
sagt: "Soldatt!" Die Leute sehen ihn und sich einander an und fragen endlich,
was sein Begehr. Er bleibt in der angenommenen Positur und erwidert nur
das eine Wort "Soldatt!" Nochmals verlegenes Fragen, was er wolle, und
wieder die vieldeutige Antwort: "Soldatt!" Endlich geht man hinunter und
holt sich von der Einquartirung einen Dolmetscher, und jetzt löst sich das Räth¬
sel zu allgemeinster Befriedigung und Ueberraschung. Das kurze Wort "Sol¬
datt" hatte bedeuten sollen: "Ich suche den Regimentsschuhmacher".

Man traf in Ravens Hotel allerlei neue und alte Bekannte und verschiedene
interessante Persönlichkeiten, kieler Professoren auf Sendungen nach dem Norden
begriffen, die neuen Beamten, welche die Bevölkerung eingesetzt, Kandidaten
für andere weiter nördlich offen gewordene Stellen, Aerzte von nah und fern,
hierhergeeilt, um in den Lazarethen zu helfen und zu lernen, Correspondenten
der Hamburger und berliner Zeitungen, Studenten und Gymnasiasten aus Hol¬
stein, die sich, da sie nicht ankämpfen konnten, durch Wegtragen von Ver¬
wundeten aus dem Feuer der Truppen der Befreiungsarmee nützlich zu machen
gedacht hatten. Auch der bekannte Rasch durfte nicht fehlen. Erst spät
in der Nacht verzog sich das Getümmel und der Dunst und Tabaksqucilm dieser
Besucher aus den Sälen, wo ich mir auf einem der Sophas ein Nachtlager zu
erobern hoffte. Inzwischen nahmen einige Freunde mit mir ein stilleres Zim¬
mer in Besitz, um bei einer Flasche Rothwein das Leerwerden der Säle und
die Zeit zum Schlafengehen abzuwarten, und hier entwickelte sich ein lustiges
Intermezzo in zwei Acten, von denen der zweite am folgenden Abend spielte.
Während wir Freunde beisammensaßen und lebhafter Unterhaltung pflogen,
suchte und fand ein biederes breites Pächtergesicht neben uns Platz, lauschte
unsrer Rede, rückte allmcilig näher und verrieth, zuerst durch verständnißvolles
Schmunzeln, dann durch Einmischung in das Gespräch, den Wunsch, in unserm
Bunde der Vierte zu sein. Der Wunsch stieß anfangs auf Schwierigkeiten,
obwohl er durch zwei Flaschen Champagner unterstützt werden sollte. Man
machte artig geltend, daß solcher Einkauf in eine Gesellschaft von Fremden
bei uns zu Lande nicht üblich sei, überzeugte sich aber bald, daß das biedere
breite Gesicht -- es decouvrirte sich als einen echten Angliter aus Kappeln --
kein Spaßverderber und nicht blos gutmüthig, sondern auch nicht auf den Kopf
gefallen und ein rechtschaffner Patriot sei. Nicht ungeschickt schoß er die kleinen
Pfeile, die ihn abwehren sollten, auf die Schützen unter uns zurück. Gewandt
parirte er verschiedene Neckereien, und da wir eben keine Staatsgeheimnisse


als das bisher Erzählte, doch theilte man sie aus Dankbarkeit ungern und nur
in beiläufigen Flüstern mit, weshalb sie hier verschwiegen bleiben sollen. Da¬
gegen mag noch folgende scherzhafte Probe von östreichischen Soldatendeutsch
hier stehen. In eine Bürgerfamilie tritt gegen Abend ein riesiger Ungar von
der Garnison, macht an der Thür Positur, legt die Hand an die Mütze und
sagt: „Soldatt!" Die Leute sehen ihn und sich einander an und fragen endlich,
was sein Begehr. Er bleibt in der angenommenen Positur und erwidert nur
das eine Wort „Soldatt!" Nochmals verlegenes Fragen, was er wolle, und
wieder die vieldeutige Antwort: „Soldatt!" Endlich geht man hinunter und
holt sich von der Einquartirung einen Dolmetscher, und jetzt löst sich das Räth¬
sel zu allgemeinster Befriedigung und Ueberraschung. Das kurze Wort „Sol¬
datt" hatte bedeuten sollen: „Ich suche den Regimentsschuhmacher".

Man traf in Ravens Hotel allerlei neue und alte Bekannte und verschiedene
interessante Persönlichkeiten, kieler Professoren auf Sendungen nach dem Norden
begriffen, die neuen Beamten, welche die Bevölkerung eingesetzt, Kandidaten
für andere weiter nördlich offen gewordene Stellen, Aerzte von nah und fern,
hierhergeeilt, um in den Lazarethen zu helfen und zu lernen, Correspondenten
der Hamburger und berliner Zeitungen, Studenten und Gymnasiasten aus Hol¬
stein, die sich, da sie nicht ankämpfen konnten, durch Wegtragen von Ver¬
wundeten aus dem Feuer der Truppen der Befreiungsarmee nützlich zu machen
gedacht hatten. Auch der bekannte Rasch durfte nicht fehlen. Erst spät
in der Nacht verzog sich das Getümmel und der Dunst und Tabaksqucilm dieser
Besucher aus den Sälen, wo ich mir auf einem der Sophas ein Nachtlager zu
erobern hoffte. Inzwischen nahmen einige Freunde mit mir ein stilleres Zim¬
mer in Besitz, um bei einer Flasche Rothwein das Leerwerden der Säle und
die Zeit zum Schlafengehen abzuwarten, und hier entwickelte sich ein lustiges
Intermezzo in zwei Acten, von denen der zweite am folgenden Abend spielte.
Während wir Freunde beisammensaßen und lebhafter Unterhaltung pflogen,
suchte und fand ein biederes breites Pächtergesicht neben uns Platz, lauschte
unsrer Rede, rückte allmcilig näher und verrieth, zuerst durch verständnißvolles
Schmunzeln, dann durch Einmischung in das Gespräch, den Wunsch, in unserm
Bunde der Vierte zu sein. Der Wunsch stieß anfangs auf Schwierigkeiten,
obwohl er durch zwei Flaschen Champagner unterstützt werden sollte. Man
machte artig geltend, daß solcher Einkauf in eine Gesellschaft von Fremden
bei uns zu Lande nicht üblich sei, überzeugte sich aber bald, daß das biedere
breite Gesicht — es decouvrirte sich als einen echten Angliter aus Kappeln —
kein Spaßverderber und nicht blos gutmüthig, sondern auch nicht auf den Kopf
gefallen und ein rechtschaffner Patriot sei. Nicht ungeschickt schoß er die kleinen
Pfeile, die ihn abwehren sollten, auf die Schützen unter uns zurück. Gewandt
parirte er verschiedene Neckereien, und da wir eben keine Staatsgeheimnisse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/440>, abgerufen am 24.07.2024.