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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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man sie mit dem Hinweis auf drohende Volksjustiz bedeutete, ohne Verzug und
jedenfalls noch vor Einbruch der Nacht die Stadt zu verlassen. Eine Appel¬
lation, die einer der Herren bei dem östreichischen Commandanten einzulegen
versuchte, erhielt zur Antwort, man sei blos Soldat und bekümmere sich nicht
um städtische Angelegenheiten. Die Meisten gingen ohne ein Wort zu verlieren,
andere, welche keck auftraten und drohten, wurden rasch gezähmt, wie nament¬
lich Bürgermeister Jvrgcnscn. Nur in einem Fall, bei dem Branddirector Ma-
thiesen, erlaubte der zum Weggehen Auffordernde, beiläufig nicht einmal wirklich
Mitglied des Comites, sich Ungebührlichkciten und Rücksichtslosigkeiten, und
diese wurden, als der Betreffende sich damit rühmte, allgemein gemißbilligt.

In Navcns Hotel war so wenig an ein Zimmer oder Bett für die Nacht
zu denken, wie bei der Esselbach, die sich beiläufig als kluge Frau jetzt eifrig
patriotisch vernehmen ließ, während ihr Haus bisher das Hauptquartier der
dänischen Partei der Stadt und das Versammlungslocal des berüchtigten
"Kongens Club" gewesen war. Ueberall bei Raven Ueberfüllung mit Gästen.
Die großen Säle des Hauses, eines ehemaligen Palais der Ahlcfeld, die Flur,
mit den perückengeschmücktcn Ahnenbildern, die Zimmer der Museumsgesellschaft
wimmelten von Neisepelzen, Aufschlagstiefeln, Waterproof-Röcken und anderen
Winterarmaturen. Allenthalben lebhaft sprechende Gruppen, Anstoßen aus
Schleswig-Holstein und seinen Herzog, Austausch von Berichten über das jüngst
Geschehene zwischen den Einwohnern und der Jnvasionsarmee von Kielern,
Hamburgern und Anglern, die mit und nach den Oestreichern hier eingezogen
waren, Massen hübscher Anekdoten und wunderbarer Gerüchte, feierliche Wieder-
crkennungsscenen, Gratulationen mit dem Zubehör von Gläserklingen und
Pfropfenknall, Jubel und Lärm ohne Ende und gute Hoffnungen auf Gelegen¬
heit zu mehr Jubel.

Man wußte, daß die Oestreicher bei Oeversee die Dänen eingeholt und
sich gewaltig mit ihnen gerauft. Man erzählte sich von einem furchtbaren
Straßenkampf in Flensburg, bei welchem das erste dänische Regiment völlig
aufgerieben worden. Man genoß mit gespitzten Ohr andere prächtige Fabeln,
die der Wind herzugetragen." Die Tapferkeit der Oestreicher war in aller Munde.
Sie hatten es, so hieß es, verschmäht, zu schießen und vorgezogen mit Bajon-
net und Kolben draufzugehen. Nicht alle gerade, so setzte ein lächelnder Mund
hinzu, aus dem Antriebe, der den Helden macht. Ein Gefreiter von den
Jägern, gefragt, "weshalb haben Sie nur so furchtbar aus die Dänen los¬
geschlagen und gestochen? sie haben Ihnen doch eigentlich nichts zu Leide gethan,"
entgegnete: "O nein, dos grob nicht, aber Herr Hauptmonn Hot's holt gern."

Weniger wußte man die naiven Begriffe zu schätzen, welche die zuerst ein¬
gerückten magyarischen Brüder in Betreff des Eigenthums der Schleswiger Bür¬
ger an den Tag gelegt hatten. Die dahingehender Anekdoten waren schlimmer


Grenzboten I. 1864. 63

man sie mit dem Hinweis auf drohende Volksjustiz bedeutete, ohne Verzug und
jedenfalls noch vor Einbruch der Nacht die Stadt zu verlassen. Eine Appel¬
lation, die einer der Herren bei dem östreichischen Commandanten einzulegen
versuchte, erhielt zur Antwort, man sei blos Soldat und bekümmere sich nicht
um städtische Angelegenheiten. Die Meisten gingen ohne ein Wort zu verlieren,
andere, welche keck auftraten und drohten, wurden rasch gezähmt, wie nament¬
lich Bürgermeister Jvrgcnscn. Nur in einem Fall, bei dem Branddirector Ma-
thiesen, erlaubte der zum Weggehen Auffordernde, beiläufig nicht einmal wirklich
Mitglied des Comites, sich Ungebührlichkciten und Rücksichtslosigkeiten, und
diese wurden, als der Betreffende sich damit rühmte, allgemein gemißbilligt.

In Navcns Hotel war so wenig an ein Zimmer oder Bett für die Nacht
zu denken, wie bei der Esselbach, die sich beiläufig als kluge Frau jetzt eifrig
patriotisch vernehmen ließ, während ihr Haus bisher das Hauptquartier der
dänischen Partei der Stadt und das Versammlungslocal des berüchtigten
„Kongens Club" gewesen war. Ueberall bei Raven Ueberfüllung mit Gästen.
Die großen Säle des Hauses, eines ehemaligen Palais der Ahlcfeld, die Flur,
mit den perückengeschmücktcn Ahnenbildern, die Zimmer der Museumsgesellschaft
wimmelten von Neisepelzen, Aufschlagstiefeln, Waterproof-Röcken und anderen
Winterarmaturen. Allenthalben lebhaft sprechende Gruppen, Anstoßen aus
Schleswig-Holstein und seinen Herzog, Austausch von Berichten über das jüngst
Geschehene zwischen den Einwohnern und der Jnvasionsarmee von Kielern,
Hamburgern und Anglern, die mit und nach den Oestreichern hier eingezogen
waren, Massen hübscher Anekdoten und wunderbarer Gerüchte, feierliche Wieder-
crkennungsscenen, Gratulationen mit dem Zubehör von Gläserklingen und
Pfropfenknall, Jubel und Lärm ohne Ende und gute Hoffnungen auf Gelegen¬
heit zu mehr Jubel.

Man wußte, daß die Oestreicher bei Oeversee die Dänen eingeholt und
sich gewaltig mit ihnen gerauft. Man erzählte sich von einem furchtbaren
Straßenkampf in Flensburg, bei welchem das erste dänische Regiment völlig
aufgerieben worden. Man genoß mit gespitzten Ohr andere prächtige Fabeln,
die der Wind herzugetragen." Die Tapferkeit der Oestreicher war in aller Munde.
Sie hatten es, so hieß es, verschmäht, zu schießen und vorgezogen mit Bajon-
net und Kolben draufzugehen. Nicht alle gerade, so setzte ein lächelnder Mund
hinzu, aus dem Antriebe, der den Helden macht. Ein Gefreiter von den
Jägern, gefragt, „weshalb haben Sie nur so furchtbar aus die Dänen los¬
geschlagen und gestochen? sie haben Ihnen doch eigentlich nichts zu Leide gethan,"
entgegnete: „O nein, dos grob nicht, aber Herr Hauptmonn Hot's holt gern."

Weniger wußte man die naiven Begriffe zu schätzen, welche die zuerst ein¬
gerückten magyarischen Brüder in Betreff des Eigenthums der Schleswiger Bür¬
ger an den Tag gelegt hatten. Die dahingehender Anekdoten waren schlimmer


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[0439] man sie mit dem Hinweis auf drohende Volksjustiz bedeutete, ohne Verzug und jedenfalls noch vor Einbruch der Nacht die Stadt zu verlassen. Eine Appel¬ lation, die einer der Herren bei dem östreichischen Commandanten einzulegen versuchte, erhielt zur Antwort, man sei blos Soldat und bekümmere sich nicht um städtische Angelegenheiten. Die Meisten gingen ohne ein Wort zu verlieren, andere, welche keck auftraten und drohten, wurden rasch gezähmt, wie nament¬ lich Bürgermeister Jvrgcnscn. Nur in einem Fall, bei dem Branddirector Ma- thiesen, erlaubte der zum Weggehen Auffordernde, beiläufig nicht einmal wirklich Mitglied des Comites, sich Ungebührlichkciten und Rücksichtslosigkeiten, und diese wurden, als der Betreffende sich damit rühmte, allgemein gemißbilligt. In Navcns Hotel war so wenig an ein Zimmer oder Bett für die Nacht zu denken, wie bei der Esselbach, die sich beiläufig als kluge Frau jetzt eifrig patriotisch vernehmen ließ, während ihr Haus bisher das Hauptquartier der dänischen Partei der Stadt und das Versammlungslocal des berüchtigten „Kongens Club" gewesen war. Ueberall bei Raven Ueberfüllung mit Gästen. Die großen Säle des Hauses, eines ehemaligen Palais der Ahlcfeld, die Flur, mit den perückengeschmücktcn Ahnenbildern, die Zimmer der Museumsgesellschaft wimmelten von Neisepelzen, Aufschlagstiefeln, Waterproof-Röcken und anderen Winterarmaturen. Allenthalben lebhaft sprechende Gruppen, Anstoßen aus Schleswig-Holstein und seinen Herzog, Austausch von Berichten über das jüngst Geschehene zwischen den Einwohnern und der Jnvasionsarmee von Kielern, Hamburgern und Anglern, die mit und nach den Oestreichern hier eingezogen waren, Massen hübscher Anekdoten und wunderbarer Gerüchte, feierliche Wieder- crkennungsscenen, Gratulationen mit dem Zubehör von Gläserklingen und Pfropfenknall, Jubel und Lärm ohne Ende und gute Hoffnungen auf Gelegen¬ heit zu mehr Jubel. Man wußte, daß die Oestreicher bei Oeversee die Dänen eingeholt und sich gewaltig mit ihnen gerauft. Man erzählte sich von einem furchtbaren Straßenkampf in Flensburg, bei welchem das erste dänische Regiment völlig aufgerieben worden. Man genoß mit gespitzten Ohr andere prächtige Fabeln, die der Wind herzugetragen." Die Tapferkeit der Oestreicher war in aller Munde. Sie hatten es, so hieß es, verschmäht, zu schießen und vorgezogen mit Bajon- net und Kolben draufzugehen. Nicht alle gerade, so setzte ein lächelnder Mund hinzu, aus dem Antriebe, der den Helden macht. Ein Gefreiter von den Jägern, gefragt, „weshalb haben Sie nur so furchtbar aus die Dänen los¬ geschlagen und gestochen? sie haben Ihnen doch eigentlich nichts zu Leide gethan," entgegnete: „O nein, dos grob nicht, aber Herr Hauptmonn Hot's holt gern." Weniger wußte man die naiven Begriffe zu schätzen, welche die zuerst ein¬ gerückten magyarischen Brüder in Betreff des Eigenthums der Schleswiger Bür¬ ger an den Tag gelegt hatten. Die dahingehender Anekdoten waren schlimmer Grenzboten I. 1864. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/439>, abgerufen am 24.07.2024.