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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Demonstrationen. Auf der Straße die Jugend eifrig mit dem langentbehrten,
jetzt nicht mehr mit Brüche bedrohten Schleswig-Holstein meerumschlungen. In
dem großen Bierhause, wo die Gesellschaft der Schleibrüder ihr Lager hat, fröh¬
liches Stimmengewirr, Gäste Kopf an Kops, Gläserklingen und ein Freuden-
opferdampf von Tabakskraut, wie er sicher seit Jahren kein hiesiges Fest so
reichlich gewürzt.

Selbstverständlich suchte man seine alten Freunde so rasch als thunlich auf,
um Glück zu wünschen. Wie traurig, daß der alte wackere Reiche diesen Tag
nicht mehr sah! Bei Heiberg war ein Leben wie in einem Hochzeithause. Der
Alp, der seit Jahren auf allen gerechten Seelen gelegen, der in den letzten
Wochen mit doppelter Schwere auf der Stadt gelastet, war entwichen. Man
athmete hoch auf und war wie berauscht von der Luft der Freiheit, die man
einsog.

Lange und bis kurz vor der Entscheidungsstunde waren die Bürger Schles¬
wigs wie in halber Dämmerung über die nächste Zukunft gewesen. Das Ge¬
rücht vom Einmarsch der Oestreicher und Preußen in das Herzogthum hatte sie
allerdings schon am Tage nachher erreicht, aber Gewißheit über den Schritt
hatte erst das Erscheinen der Offiziere gebracht, durch welche Wrangel den dä¬
nischen Höchstcommandirendcn zur Räumung Schleswigs auffordern ließ. Kurz
nachher war der König Christian angekommen. Die Soldaten hatten ihm ein
paar matte Hurrahs zugerufen. Die Bürger schlossen vor ihm ihre Häuser,
hielten sich innerhalb ihrer vier Wände und ließen wo er sich zeigte die Gar¬
dinen herab. Er war nur von Monrad begleitet, der ihm überallhin wie sein
Schatten folgte. Auffallend war, daß er im Hotel der Doris Esselbach, wo er
abgestiegen, den einen Tag ganz allein, den andern nur zu drei Couverts speiste.
Auf jeden, der ihn sah, machte er den Eindruck tiefster Nerstimmung und Nieder¬
geschlagenheit. Am Dienstag reiste er, nachdem er Tags vorher einen Besuch
im Lager bei Seit gemacht, wieder ab, klanglos, kaum bemerkt und beachtet,
wie er gekommen.

Und wie der König mehr ein Gegenstand des Mitleids als des Hasses
gewesen, so auch die dänische Armee in den letzten Tagen. Zu schwach, um
die ganze Breite der Stellung zwischen Friedrichstadt und Kappeln stets genü¬
gend besetzt zu halten, hatte sie unaufhörlich ihre Quartiere wechseln, aus die
Nachricht, daß die Deutschen bei Hollingstedt durchbrechen zu wollen Miene
machten, mehre Meilen nach Westen, auf die Kunde, daß Missundc bedroht sei,
wieder nach Osten marschiren, dann wieder im Schnee lagern, dann Schanzen
müssen, und das meist ohne hinreichende Verpflegung, so daß die Mannschaften
zuletzt todtmüde und aufs Tiefste erschöpft und entkräftet waren. Unter solchen
Umständen muß sich der Gedanke, daß die Stellung auszugeben, unter den dä¬
nischen Oberoffizieren schon frühzeitig gemeldet haben. Doch scheint man ihn


Demonstrationen. Auf der Straße die Jugend eifrig mit dem langentbehrten,
jetzt nicht mehr mit Brüche bedrohten Schleswig-Holstein meerumschlungen. In
dem großen Bierhause, wo die Gesellschaft der Schleibrüder ihr Lager hat, fröh¬
liches Stimmengewirr, Gäste Kopf an Kops, Gläserklingen und ein Freuden-
opferdampf von Tabakskraut, wie er sicher seit Jahren kein hiesiges Fest so
reichlich gewürzt.

Selbstverständlich suchte man seine alten Freunde so rasch als thunlich auf,
um Glück zu wünschen. Wie traurig, daß der alte wackere Reiche diesen Tag
nicht mehr sah! Bei Heiberg war ein Leben wie in einem Hochzeithause. Der
Alp, der seit Jahren auf allen gerechten Seelen gelegen, der in den letzten
Wochen mit doppelter Schwere auf der Stadt gelastet, war entwichen. Man
athmete hoch auf und war wie berauscht von der Luft der Freiheit, die man
einsog.

Lange und bis kurz vor der Entscheidungsstunde waren die Bürger Schles¬
wigs wie in halber Dämmerung über die nächste Zukunft gewesen. Das Ge¬
rücht vom Einmarsch der Oestreicher und Preußen in das Herzogthum hatte sie
allerdings schon am Tage nachher erreicht, aber Gewißheit über den Schritt
hatte erst das Erscheinen der Offiziere gebracht, durch welche Wrangel den dä¬
nischen Höchstcommandirendcn zur Räumung Schleswigs auffordern ließ. Kurz
nachher war der König Christian angekommen. Die Soldaten hatten ihm ein
paar matte Hurrahs zugerufen. Die Bürger schlossen vor ihm ihre Häuser,
hielten sich innerhalb ihrer vier Wände und ließen wo er sich zeigte die Gar¬
dinen herab. Er war nur von Monrad begleitet, der ihm überallhin wie sein
Schatten folgte. Auffallend war, daß er im Hotel der Doris Esselbach, wo er
abgestiegen, den einen Tag ganz allein, den andern nur zu drei Couverts speiste.
Auf jeden, der ihn sah, machte er den Eindruck tiefster Nerstimmung und Nieder¬
geschlagenheit. Am Dienstag reiste er, nachdem er Tags vorher einen Besuch
im Lager bei Seit gemacht, wieder ab, klanglos, kaum bemerkt und beachtet,
wie er gekommen.

Und wie der König mehr ein Gegenstand des Mitleids als des Hasses
gewesen, so auch die dänische Armee in den letzten Tagen. Zu schwach, um
die ganze Breite der Stellung zwischen Friedrichstadt und Kappeln stets genü¬
gend besetzt zu halten, hatte sie unaufhörlich ihre Quartiere wechseln, aus die
Nachricht, daß die Deutschen bei Hollingstedt durchbrechen zu wollen Miene
machten, mehre Meilen nach Westen, auf die Kunde, daß Missundc bedroht sei,
wieder nach Osten marschiren, dann wieder im Schnee lagern, dann Schanzen
müssen, und das meist ohne hinreichende Verpflegung, so daß die Mannschaften
zuletzt todtmüde und aufs Tiefste erschöpft und entkräftet waren. Unter solchen
Umständen muß sich der Gedanke, daß die Stellung auszugeben, unter den dä¬
nischen Oberoffizieren schon frühzeitig gemeldet haben. Doch scheint man ihn


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[0437] Demonstrationen. Auf der Straße die Jugend eifrig mit dem langentbehrten, jetzt nicht mehr mit Brüche bedrohten Schleswig-Holstein meerumschlungen. In dem großen Bierhause, wo die Gesellschaft der Schleibrüder ihr Lager hat, fröh¬ liches Stimmengewirr, Gäste Kopf an Kops, Gläserklingen und ein Freuden- opferdampf von Tabakskraut, wie er sicher seit Jahren kein hiesiges Fest so reichlich gewürzt. Selbstverständlich suchte man seine alten Freunde so rasch als thunlich auf, um Glück zu wünschen. Wie traurig, daß der alte wackere Reiche diesen Tag nicht mehr sah! Bei Heiberg war ein Leben wie in einem Hochzeithause. Der Alp, der seit Jahren auf allen gerechten Seelen gelegen, der in den letzten Wochen mit doppelter Schwere auf der Stadt gelastet, war entwichen. Man athmete hoch auf und war wie berauscht von der Luft der Freiheit, die man einsog. Lange und bis kurz vor der Entscheidungsstunde waren die Bürger Schles¬ wigs wie in halber Dämmerung über die nächste Zukunft gewesen. Das Ge¬ rücht vom Einmarsch der Oestreicher und Preußen in das Herzogthum hatte sie allerdings schon am Tage nachher erreicht, aber Gewißheit über den Schritt hatte erst das Erscheinen der Offiziere gebracht, durch welche Wrangel den dä¬ nischen Höchstcommandirendcn zur Räumung Schleswigs auffordern ließ. Kurz nachher war der König Christian angekommen. Die Soldaten hatten ihm ein paar matte Hurrahs zugerufen. Die Bürger schlossen vor ihm ihre Häuser, hielten sich innerhalb ihrer vier Wände und ließen wo er sich zeigte die Gar¬ dinen herab. Er war nur von Monrad begleitet, der ihm überallhin wie sein Schatten folgte. Auffallend war, daß er im Hotel der Doris Esselbach, wo er abgestiegen, den einen Tag ganz allein, den andern nur zu drei Couverts speiste. Auf jeden, der ihn sah, machte er den Eindruck tiefster Nerstimmung und Nieder¬ geschlagenheit. Am Dienstag reiste er, nachdem er Tags vorher einen Besuch im Lager bei Seit gemacht, wieder ab, klanglos, kaum bemerkt und beachtet, wie er gekommen. Und wie der König mehr ein Gegenstand des Mitleids als des Hasses gewesen, so auch die dänische Armee in den letzten Tagen. Zu schwach, um die ganze Breite der Stellung zwischen Friedrichstadt und Kappeln stets genü¬ gend besetzt zu halten, hatte sie unaufhörlich ihre Quartiere wechseln, aus die Nachricht, daß die Deutschen bei Hollingstedt durchbrechen zu wollen Miene machten, mehre Meilen nach Westen, auf die Kunde, daß Missundc bedroht sei, wieder nach Osten marschiren, dann wieder im Schnee lagern, dann Schanzen müssen, und das meist ohne hinreichende Verpflegung, so daß die Mannschaften zuletzt todtmüde und aufs Tiefste erschöpft und entkräftet waren. Unter solchen Umständen muß sich der Gedanke, daß die Stellung auszugeben, unter den dä¬ nischen Oberoffizieren schon frühzeitig gemeldet haben. Doch scheint man ihn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/437>, abgerufen am 24.07.2024.