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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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ten Mantel in langer, aber etwas eilig drängender, daher auch krummer und
verwirrter Procession seinen Zug auf das Rathhaus zurück. Er ging in sei¬
nen alten Kaiserpantoffeln über gelegte Bretter, die man mit rothem Tuche
bedeckte, welches aber die gemeinen Leute auf dem Boden knieend und mit
Messern in den Händen hart hinter seinen Fersen herunterschnitten, und zum
Theil so gewaltsam in Fetzen herunterrissen, daß sie den vorn laufenden Kaiser
beinahe damit niederwarfen.

Nachdem auf dem Römer die kaiserliche Schautafel den Anfang genommen,
wobei ein Herzog von Mecklenburg, mit einem langen Messer an die Thür po¬
stirr und ein weißes Handtuch sich vor die Brust gesteckt, für den Allerdurch-
lauchtigsten den durchlauchtigsten Vorschneider machte, begab sich der Erbtruch-
scß zu Pferde in spanischer Tracht, fliegendem Haar und goldenem Mantel zur
Hütte auf dem Markte, wo ein Ochs gebraten wurde. Seine ganze Diener¬
schaft trat in Galla voraus, und die sogenannten Gentilhommes, welche neben
mir drei andere seiner Beamten vorstellten, gingen, je zwei zu jeder Seite, ne¬
ben dem Pferde auf der linken Seite; ich hatte den spanischen Hut mit weißen
und blauen Federn emporzutragen, mein Gegenmann auf der rechten aber eine
große silberne Platte. Während der Erbtruchseß auf dem Pferde blieb, mu߬
ten wir Gentilhommes uns zum höllischen Feuer des in der Hütte unter pe-
stilenzialischen Gestanke gerösteten Ochsen verfügen, ein noch halb rohes Stück
desselben auf die silberne Platte nehmen und sie dem zum Römer zurückreiten¬
den Herrn Grafen vortragen, während hinter uns von dem um die vergolde¬
ten Hörner des Ochsen streitenden Janhagel die ganze bretterne Küche krachend
zusammenfiel, vermuthlich als ein Sinnbild, wie es dem heiligen Reiche in der
Kürze bald selbst ergehen sollte. An den Flügelthüren des Speisesaals über¬
nahm der Gras Truchseß die Schüssel in seine eigenen Hände und setzte knie¬
beugend diese duftende Köstlichkeit dem von allen Seiten mit lauter widersinnigen
Fratzen geplagten Kaiser unter die Nase. Nichts konnte ein treueres Bild der
eiskalt erstarrten und kindisch gewordenen alten deutschen Reichsverfassung ge¬
ben, als das Fastnachtsspiel einer solchen in ihren zerrissenen Fetzen prangen¬
den Kaiserkrönung. Die folgenden Tage, wo man die sibyllinischen Bücher der
goldenen Bulle nicht weiter zu befragen nöthig hatte, befriedigten die Schau¬
lust mit leidlichem Festen einer öffentlichen Huldigung in dem hessischen Lust¬
lager und dem Freudenfeuer auf den prächtigen Wasserjachten der geistlichen
Kurfürsten. Auch die Juden, denen jetzt die ganze Welt huldigen muß, bequem¬
ten sich wenigstens für einen Tag, in ihren schwarzen Mänteln einem kaiser¬
lichen Kanzler zu huldigen. Aus allen Schluchten wurden dem anwesenden
Könige von Ungarn die wilden Schweine herbeigetrieben. Die in ganzen
Strichen herbeigeflogenen deutschen Professoren und Docenten rissen sich um
die nassen Druckbogen der neuen Wahlcapitulation, um zu erforschen, an welcher


Grenzboten I. 1864. 5

ten Mantel in langer, aber etwas eilig drängender, daher auch krummer und
verwirrter Procession seinen Zug auf das Rathhaus zurück. Er ging in sei¬
nen alten Kaiserpantoffeln über gelegte Bretter, die man mit rothem Tuche
bedeckte, welches aber die gemeinen Leute auf dem Boden knieend und mit
Messern in den Händen hart hinter seinen Fersen herunterschnitten, und zum
Theil so gewaltsam in Fetzen herunterrissen, daß sie den vorn laufenden Kaiser
beinahe damit niederwarfen.

Nachdem auf dem Römer die kaiserliche Schautafel den Anfang genommen,
wobei ein Herzog von Mecklenburg, mit einem langen Messer an die Thür po¬
stirr und ein weißes Handtuch sich vor die Brust gesteckt, für den Allerdurch-
lauchtigsten den durchlauchtigsten Vorschneider machte, begab sich der Erbtruch-
scß zu Pferde in spanischer Tracht, fliegendem Haar und goldenem Mantel zur
Hütte auf dem Markte, wo ein Ochs gebraten wurde. Seine ganze Diener¬
schaft trat in Galla voraus, und die sogenannten Gentilhommes, welche neben
mir drei andere seiner Beamten vorstellten, gingen, je zwei zu jeder Seite, ne¬
ben dem Pferde auf der linken Seite; ich hatte den spanischen Hut mit weißen
und blauen Federn emporzutragen, mein Gegenmann auf der rechten aber eine
große silberne Platte. Während der Erbtruchseß auf dem Pferde blieb, mu߬
ten wir Gentilhommes uns zum höllischen Feuer des in der Hütte unter pe-
stilenzialischen Gestanke gerösteten Ochsen verfügen, ein noch halb rohes Stück
desselben auf die silberne Platte nehmen und sie dem zum Römer zurückreiten¬
den Herrn Grafen vortragen, während hinter uns von dem um die vergolde¬
ten Hörner des Ochsen streitenden Janhagel die ganze bretterne Küche krachend
zusammenfiel, vermuthlich als ein Sinnbild, wie es dem heiligen Reiche in der
Kürze bald selbst ergehen sollte. An den Flügelthüren des Speisesaals über¬
nahm der Gras Truchseß die Schüssel in seine eigenen Hände und setzte knie¬
beugend diese duftende Köstlichkeit dem von allen Seiten mit lauter widersinnigen
Fratzen geplagten Kaiser unter die Nase. Nichts konnte ein treueres Bild der
eiskalt erstarrten und kindisch gewordenen alten deutschen Reichsverfassung ge¬
ben, als das Fastnachtsspiel einer solchen in ihren zerrissenen Fetzen prangen¬
den Kaiserkrönung. Die folgenden Tage, wo man die sibyllinischen Bücher der
goldenen Bulle nicht weiter zu befragen nöthig hatte, befriedigten die Schau¬
lust mit leidlichem Festen einer öffentlichen Huldigung in dem hessischen Lust¬
lager und dem Freudenfeuer auf den prächtigen Wasserjachten der geistlichen
Kurfürsten. Auch die Juden, denen jetzt die ganze Welt huldigen muß, bequem¬
ten sich wenigstens für einen Tag, in ihren schwarzen Mänteln einem kaiser¬
lichen Kanzler zu huldigen. Aus allen Schluchten wurden dem anwesenden
Könige von Ungarn die wilden Schweine herbeigetrieben. Die in ganzen
Strichen herbeigeflogenen deutschen Professoren und Docenten rissen sich um
die nassen Druckbogen der neuen Wahlcapitulation, um zu erforschen, an welcher


Grenzboten I. 1864. 5
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/43>, abgerufen am 24.07.2024.