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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Bis zum Jahre 1857 waren die Kriegscommissare reine Beamte. Sie
hatten die von den Truppenkörpern ^verfaßten Rechnungen bezüglich der Recht-
mäßigkeit der darin aufgenommenen Posten zu prüfen, alle Marschrouten. Pässe,
Abschiede und ähnliche Documente zu vidiren. den Bezug der Gelder aus den
verschiedenen Kassen und der verschiedenen Verpflegsartikel aus den Magazinen
anzuweisen. Sie intervenirten bei allen größeren Käufer und Verkäufen, bei
amtlichen Visitationen und Untersuchungen , bei der Aufnahme und Verabschiedung
aller zum Militäretat zählenden Personen. Ohne die Unterschrift des Kriegs-
commissars hatte kein Document volle Giltigkeit und ohne die Erlaubniß dieses
Beamten durfte den Truppen, sowie den einzelnen Militärs nichts verabfolgt
werden. Bei der Musterung waren der Brigadier und der Commissär die Haupt¬
personen. Kurz die Kriegscommissare waren in gewisser Beziehung die Notare
der Armee und es mußten daher auch jene, die sich zum Eintritt in diese
Branche meldeten, die juridischen Studien zurückgelegt haben. Und die Zahl
dieser so wichtigen und, wenigstens dem System nach, mit so großer Ver¬
antwortlichkeit belasteten Beamten war auffallend gering. Bei einer Brigade,
wenn diese detachirt war. sonst oft nur bei einer Division, ein Commissär, in
jeder Provinz ein Obercommissar, -- das war das ganze Personal. Die Com-
missäre hatten zwar den Rang, jedoch weder den Titel noch die Abzeichen der
Stabsoffiziere und bezogen auch nicht den vollen Gehalt derselben.

Wenn auch das Institut manche arge Mängel hatte, -- namentlich stand es
mit der Verantwortlichkeit der Commissäre ganz eigenthümlich, indem eine un¬
gesetzliche Gebühr, deren Bezug von dem Commissär angewiesen worden war,
nicht von diesem Commissär, sondern von demjenigen, welcher das Geld erhalten
hatte, ersetzt werden mußte --, so bestand doch fast das ganze Personal dieser
Branche aus bejahrten, erfahrenen und aller gesetzlichen Bestimmungen voll¬
kommen kundigen Männern, von welchen man zuversichtlich erwarten konnte,
daß sie. wenigstens wissentlich, weder eine ungerechte Belastung des Staats¬
schatzes, noch eine Verkürzung der Rechte des Einzelnen gestatten würden*).



") Daß es mitunter doch vorkam, daß sich auch die erfahrensten Commissäre hintergehen
ließen, ist bei den oft mehr als überhäuften Geschäften der Commissäre und bei fast unglauv-
licher Complicirtheit -- oder besser gesagt Verwirrung der administrativen Bestimmungen nicht
zu wundern. Der merkwürdigste Fall war vielleicht jener, welcher sich ungefähr um 1848
herum ereignete. Ein ebenso talentvoller als verwegener Taugenichts desertirte von seinem
Regimente und reiste unter verschiedenen Verkleidungen in mehrern Provinzen herum. Am
öftersten erschien er als General, als welcher er die Truppen inspicirte, verschiedene Befehle
ertheilte und -- bedeutende Geldsummen erhob, bis er endlich in einer kleinen Garnison von
einem ehemaligen Kameraden erkannt und verhaftet wurde. Er hatte in allen Orten, in wel¬
chen er sich umgetrieben hatte, die Unterschrift der betreffenden Commissäre zu erlangen gewußt,
und man stellte dieses Factum mit Recht als den sprechendsten Beweis von der Verschmitzt-
heit dieses Betrügers auf.

Bis zum Jahre 1857 waren die Kriegscommissare reine Beamte. Sie
hatten die von den Truppenkörpern ^verfaßten Rechnungen bezüglich der Recht-
mäßigkeit der darin aufgenommenen Posten zu prüfen, alle Marschrouten. Pässe,
Abschiede und ähnliche Documente zu vidiren. den Bezug der Gelder aus den
verschiedenen Kassen und der verschiedenen Verpflegsartikel aus den Magazinen
anzuweisen. Sie intervenirten bei allen größeren Käufer und Verkäufen, bei
amtlichen Visitationen und Untersuchungen , bei der Aufnahme und Verabschiedung
aller zum Militäretat zählenden Personen. Ohne die Unterschrift des Kriegs-
commissars hatte kein Document volle Giltigkeit und ohne die Erlaubniß dieses
Beamten durfte den Truppen, sowie den einzelnen Militärs nichts verabfolgt
werden. Bei der Musterung waren der Brigadier und der Commissär die Haupt¬
personen. Kurz die Kriegscommissare waren in gewisser Beziehung die Notare
der Armee und es mußten daher auch jene, die sich zum Eintritt in diese
Branche meldeten, die juridischen Studien zurückgelegt haben. Und die Zahl
dieser so wichtigen und, wenigstens dem System nach, mit so großer Ver¬
antwortlichkeit belasteten Beamten war auffallend gering. Bei einer Brigade,
wenn diese detachirt war. sonst oft nur bei einer Division, ein Commissär, in
jeder Provinz ein Obercommissar, — das war das ganze Personal. Die Com-
missäre hatten zwar den Rang, jedoch weder den Titel noch die Abzeichen der
Stabsoffiziere und bezogen auch nicht den vollen Gehalt derselben.

Wenn auch das Institut manche arge Mängel hatte, — namentlich stand es
mit der Verantwortlichkeit der Commissäre ganz eigenthümlich, indem eine un¬
gesetzliche Gebühr, deren Bezug von dem Commissär angewiesen worden war,
nicht von diesem Commissär, sondern von demjenigen, welcher das Geld erhalten
hatte, ersetzt werden mußte —, so bestand doch fast das ganze Personal dieser
Branche aus bejahrten, erfahrenen und aller gesetzlichen Bestimmungen voll¬
kommen kundigen Männern, von welchen man zuversichtlich erwarten konnte,
daß sie. wenigstens wissentlich, weder eine ungerechte Belastung des Staats¬
schatzes, noch eine Verkürzung der Rechte des Einzelnen gestatten würden*).



") Daß es mitunter doch vorkam, daß sich auch die erfahrensten Commissäre hintergehen
ließen, ist bei den oft mehr als überhäuften Geschäften der Commissäre und bei fast unglauv-
licher Complicirtheit — oder besser gesagt Verwirrung der administrativen Bestimmungen nicht
zu wundern. Der merkwürdigste Fall war vielleicht jener, welcher sich ungefähr um 1848
herum ereignete. Ein ebenso talentvoller als verwegener Taugenichts desertirte von seinem
Regimente und reiste unter verschiedenen Verkleidungen in mehrern Provinzen herum. Am
öftersten erschien er als General, als welcher er die Truppen inspicirte, verschiedene Befehle
ertheilte und — bedeutende Geldsummen erhob, bis er endlich in einer kleinen Garnison von
einem ehemaligen Kameraden erkannt und verhaftet wurde. Er hatte in allen Orten, in wel¬
chen er sich umgetrieben hatte, die Unterschrift der betreffenden Commissäre zu erlangen gewußt,
und man stellte dieses Factum mit Recht als den sprechendsten Beweis von der Verschmitzt-
heit dieses Betrügers auf.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/429>, abgerufen am 24.07.2024.