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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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zehn Jahren zum Regimentsarzt ausrückt, seine)Studien -- wenn er auf der
Höhe der Wissenschaft bleiben und sich bemerkbar machen will -- eifrigst fort¬
sehen muß, einen ebenso schwierigen als gefahrvollen Dienst zu bestehen und
die schwerste Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen hat: wird der junge Auditor
binnen weit kürzerer Frist Hauptmann, hat einen gefahrlosen und Verhältniß-
mäßig auch minder anstrengenden Dienst und hat. da die Kriegsartikel sehr
einfach lauten, die militärische Willkür auch in der Rechtspflege herrscht und
das Gerichtsverfahren überhaupt ein sehr summarisches ist, weder eine über¬
große Verantwortlichkeit zu tragen, noch sich allzusehr mit Studien abzumühen*).

Die höheren Auditore tragen eine eigene "Auditoruniform", haben jedoch
ebenfalls den ihrer Diätenclasse entsprechenden Ossizierstitel und befinden sich
theils in Wien bei dem Militärjustizscnat, bei dem Militärappellationsgericht,
theils in den Provinzhauptstädtcn bei den Militärlandesgerichten.

Der Justizsenat besteht aus Generalauditoren, während die andern mili¬
tärischen Gerichtshöfe aus Stabsoffizieren bestehen. Hier zeigt sich die Bevor¬
zugung dieser Körperschaft wieder recht auffallend. Denn es kommen auf etwa
200 Feldpriestcr ein Bischof, auf mehr als 1600 Aerzte ein einziger General¬
arzt und 60 Stabsärzte, auf 420 Auditore hingegen 6 Generale und 75 Stabs¬
offiziere. -- Man hat diese Bevorzugung damit zu motiviren gesucht, daß der
Richterstand eine möglichst selbständige und sorgenfreie Stellung haben müsse.
Die Möglichkeit der Bestechung ist durch die günstige materielle Stellung der
Auditore allerdings vermindert worden, obgleich bei dem Proceß Eynatten-
Nichter verschiedene gegentheilige Wahrnehmungen gemacht worden sind; aber
die Beeinflussung der Thätigkeit der subalternen Auditore durch die höher ge¬
stellten, sowie durch die höheren Militärbefehlshaber muß nothwendiger Weise
desto mehr zunehmen, je vielthciliger die Rangabstufung der Auditore ist und
je mehr sie mit dem Offiziercorps selbst amalgamirt werden. Man hat
die absurde Behauptung aufgestellt, der Soldat werde nur den Richter respec-
tiren, welcher das militärische Gewand und die Abzeichen einer höheren Charge



") In welcher Weise der militärische Richter beeinflußt wird, mag nachstehender Vorfall
zeigen. Ein durch seine fürchterliche Strenge bekannter General hatte einem Auditor einen
Gefangenen mit der kurzen Weisung übergebe" lassen: "den Kerl geschwind verhören und dann
"hängen" zu lassen." Allein der Auditor erklärte nach kurzer Untersuchung den Gefangenen
für schuldlos und daß selbst nach den Kriegsartikeln -- in welchen bekanntlich "Pulver und
Blei" und "Strang" mit "Strang" und "Pulver und Blei" regelmäßig abwechseln -- für das
dem Gefangenen aufgebürdete Vergehen die Todesstrafe nicht verhängt werden dürfe." "Packen
Sie sich mit den Kriegsartikeln," rief der General, "die sind in der jetzigen Zeit ja viel zu
milde! Wer wird sich darnach richten. Aber ich werde Euch schon zeigen, wie man die Ge¬
setze handhabt." Und er wählte zur abermaligen Uebernahme des Processes einen andern
Auditor, welcher zwar ebenfalls den Beklagten nicht "hängen" ließ, denselben aber doch zu
einigen Jahren Schanzarbeit zu verurtheilen wußte.

zehn Jahren zum Regimentsarzt ausrückt, seine)Studien — wenn er auf der
Höhe der Wissenschaft bleiben und sich bemerkbar machen will — eifrigst fort¬
sehen muß, einen ebenso schwierigen als gefahrvollen Dienst zu bestehen und
die schwerste Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen hat: wird der junge Auditor
binnen weit kürzerer Frist Hauptmann, hat einen gefahrlosen und Verhältniß-
mäßig auch minder anstrengenden Dienst und hat. da die Kriegsartikel sehr
einfach lauten, die militärische Willkür auch in der Rechtspflege herrscht und
das Gerichtsverfahren überhaupt ein sehr summarisches ist, weder eine über¬
große Verantwortlichkeit zu tragen, noch sich allzusehr mit Studien abzumühen*).

Die höheren Auditore tragen eine eigene „Auditoruniform", haben jedoch
ebenfalls den ihrer Diätenclasse entsprechenden Ossizierstitel und befinden sich
theils in Wien bei dem Militärjustizscnat, bei dem Militärappellationsgericht,
theils in den Provinzhauptstädtcn bei den Militärlandesgerichten.

Der Justizsenat besteht aus Generalauditoren, während die andern mili¬
tärischen Gerichtshöfe aus Stabsoffizieren bestehen. Hier zeigt sich die Bevor¬
zugung dieser Körperschaft wieder recht auffallend. Denn es kommen auf etwa
200 Feldpriestcr ein Bischof, auf mehr als 1600 Aerzte ein einziger General¬
arzt und 60 Stabsärzte, auf 420 Auditore hingegen 6 Generale und 75 Stabs¬
offiziere. — Man hat diese Bevorzugung damit zu motiviren gesucht, daß der
Richterstand eine möglichst selbständige und sorgenfreie Stellung haben müsse.
Die Möglichkeit der Bestechung ist durch die günstige materielle Stellung der
Auditore allerdings vermindert worden, obgleich bei dem Proceß Eynatten-
Nichter verschiedene gegentheilige Wahrnehmungen gemacht worden sind; aber
die Beeinflussung der Thätigkeit der subalternen Auditore durch die höher ge¬
stellten, sowie durch die höheren Militärbefehlshaber muß nothwendiger Weise
desto mehr zunehmen, je vielthciliger die Rangabstufung der Auditore ist und
je mehr sie mit dem Offiziercorps selbst amalgamirt werden. Man hat
die absurde Behauptung aufgestellt, der Soldat werde nur den Richter respec-
tiren, welcher das militärische Gewand und die Abzeichen einer höheren Charge



") In welcher Weise der militärische Richter beeinflußt wird, mag nachstehender Vorfall
zeigen. Ein durch seine fürchterliche Strenge bekannter General hatte einem Auditor einen
Gefangenen mit der kurzen Weisung übergebe» lassen: „den Kerl geschwind verhören und dann
„hängen" zu lassen." Allein der Auditor erklärte nach kurzer Untersuchung den Gefangenen
für schuldlos und daß selbst nach den Kriegsartikeln — in welchen bekanntlich „Pulver und
Blei" und „Strang" mit „Strang" und „Pulver und Blei" regelmäßig abwechseln — für das
dem Gefangenen aufgebürdete Vergehen die Todesstrafe nicht verhängt werden dürfe." „Packen
Sie sich mit den Kriegsartikeln," rief der General, „die sind in der jetzigen Zeit ja viel zu
milde! Wer wird sich darnach richten. Aber ich werde Euch schon zeigen, wie man die Ge¬
setze handhabt." Und er wählte zur abermaligen Uebernahme des Processes einen andern
Auditor, welcher zwar ebenfalls den Beklagten nicht „hängen" ließ, denselben aber doch zu
einigen Jahren Schanzarbeit zu verurtheilen wußte.
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[0424] zehn Jahren zum Regimentsarzt ausrückt, seine)Studien — wenn er auf der Höhe der Wissenschaft bleiben und sich bemerkbar machen will — eifrigst fort¬ sehen muß, einen ebenso schwierigen als gefahrvollen Dienst zu bestehen und die schwerste Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen hat: wird der junge Auditor binnen weit kürzerer Frist Hauptmann, hat einen gefahrlosen und Verhältniß- mäßig auch minder anstrengenden Dienst und hat. da die Kriegsartikel sehr einfach lauten, die militärische Willkür auch in der Rechtspflege herrscht und das Gerichtsverfahren überhaupt ein sehr summarisches ist, weder eine über¬ große Verantwortlichkeit zu tragen, noch sich allzusehr mit Studien abzumühen*). Die höheren Auditore tragen eine eigene „Auditoruniform", haben jedoch ebenfalls den ihrer Diätenclasse entsprechenden Ossizierstitel und befinden sich theils in Wien bei dem Militärjustizscnat, bei dem Militärappellationsgericht, theils in den Provinzhauptstädtcn bei den Militärlandesgerichten. Der Justizsenat besteht aus Generalauditoren, während die andern mili¬ tärischen Gerichtshöfe aus Stabsoffizieren bestehen. Hier zeigt sich die Bevor¬ zugung dieser Körperschaft wieder recht auffallend. Denn es kommen auf etwa 200 Feldpriestcr ein Bischof, auf mehr als 1600 Aerzte ein einziger General¬ arzt und 60 Stabsärzte, auf 420 Auditore hingegen 6 Generale und 75 Stabs¬ offiziere. — Man hat diese Bevorzugung damit zu motiviren gesucht, daß der Richterstand eine möglichst selbständige und sorgenfreie Stellung haben müsse. Die Möglichkeit der Bestechung ist durch die günstige materielle Stellung der Auditore allerdings vermindert worden, obgleich bei dem Proceß Eynatten- Nichter verschiedene gegentheilige Wahrnehmungen gemacht worden sind; aber die Beeinflussung der Thätigkeit der subalternen Auditore durch die höher ge¬ stellten, sowie durch die höheren Militärbefehlshaber muß nothwendiger Weise desto mehr zunehmen, je vielthciliger die Rangabstufung der Auditore ist und je mehr sie mit dem Offiziercorps selbst amalgamirt werden. Man hat die absurde Behauptung aufgestellt, der Soldat werde nur den Richter respec- tiren, welcher das militärische Gewand und die Abzeichen einer höheren Charge ") In welcher Weise der militärische Richter beeinflußt wird, mag nachstehender Vorfall zeigen. Ein durch seine fürchterliche Strenge bekannter General hatte einem Auditor einen Gefangenen mit der kurzen Weisung übergebe» lassen: „den Kerl geschwind verhören und dann „hängen" zu lassen." Allein der Auditor erklärte nach kurzer Untersuchung den Gefangenen für schuldlos und daß selbst nach den Kriegsartikeln — in welchen bekanntlich „Pulver und Blei" und „Strang" mit „Strang" und „Pulver und Blei" regelmäßig abwechseln — für das dem Gefangenen aufgebürdete Vergehen die Todesstrafe nicht verhängt werden dürfe." „Packen Sie sich mit den Kriegsartikeln," rief der General, „die sind in der jetzigen Zeit ja viel zu milde! Wer wird sich darnach richten. Aber ich werde Euch schon zeigen, wie man die Ge¬ setze handhabt." Und er wählte zur abermaligen Uebernahme des Processes einen andern Auditor, welcher zwar ebenfalls den Beklagten nicht „hängen" ließ, denselben aber doch zu einigen Jahren Schanzarbeit zu verurtheilen wußte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/424>, abgerufen am 24.07.2024.