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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Hollunderhecke, hier und dort in einem Garten am Gehöfte einige dürftige,
windzerzauste Eschen oder Weiden, so kommen hier gegen die Eider hin und
'n Ditmarschen bei den einzelnstehenden Gütern und Ortschaften schon kleine
Wäldchen von Laubholz vor, und so zeigt noch weiter südlich die Wilster- und
Kremper- Marsch bereits einen großen Reichthum von Bäumen und Sträuchern
aller Art. Die Seemarschen sind ungeheure Viehställe unter freiem Himmel,
die Flußmarschen unermeßliche Gartenbeete. Jene lassen sich mit den Corrals
der Ebenen von Buenos Ayres vergleichen, diese erinnern mit der Sauberkeit
ihrer Gehöfte, den abgezirkelten Beeten ihrer zahlreichen Blumengärten, mit
den verschnittenen Hecken, die diese umgeben, und mit den vielen Schneckcn-
mühlen. die auf den Wiesen für Entwässerung des Landes arbeiten, lebhaft
an holländische Gegenden.

Vor den Haff- oder Außendeichen (Butendieks) dauert die Bildung des
Marschlandes noch immer fort. Sowie die breiartige Masse des Schlicks,
welcher beim Zurücktreten der Fluth am Strande sich ansetzt, einige Festigkeit
und eine gewisse Höhe erlangt hat, beginnt die Vegetation. Hat sich das
"Watt" -- so nennt man dieses cillmälig entstehende Vorland jenseits der
Seedämme -- bis zur gewöhnlichen Fluthhöhe gehoben, wobei es von der
Menschenhand durch Anlegung von niedrigen, mit Strohgeflechten überzogenen
Dammbauten unterstützt wird, so überzieht es sich rasch mit einem Teppich von
Wasserpflanzen. Erst zeigt sich der Queller, dann der Urtel, hierauf der
Hvrrich. Einige Zeit nachher läßt der getrocknete Schlamm in bestimmter
Reihenfolge verschiedene Gräser aufgehen, aus denen sich schräg abfallende sal¬
zige Wiesen, nur zur Schafzucht tauglich, entwickeln. Zuletzt erscheint der weiße
Klee, der die Anwohner in Kenntniß setzt, daß die Ausbildung des Bodens
diejenige Stufe der Vollendung erreicht hat, wo er für die Zwecke der Land¬
wirthschaft verwendbar ist. Das Watt ist dann reif zur Eindeichung, dieselbe
beginnt, entweder auf Kosten einer Association oder von Seiten der Regierung,
und nach ihrer Beendigung reiht sich der neue Koog den ältern als gleichbe¬
rechtigter und gleichverpflichteter Nachbar an.

Die Außendeiche gehören besonders da, wo sie -- wie in den Elbmarschen
bei Sanct Margarethen -- kein Vorland haben, zu den gewaltigsten Werken
der Wasserbaukunst. Die Aussicht von ihnen ist begreiflicherweise nicht schön,
aber eigenthümlich. Im Osten, Süden und Norden der reiche Marschgrund,
in der Nähe grün, in der Ferne bläulich, darauf Heerden von Fettvieh, weiter¬
hin östlich die großen Geestdörfer. Im Westen bei der Fluth ein graues Meer
mit weißen Wellenkämmen, beider Ebbe ein brauner Sumpf, überflattert von
Möven, Wrackvögeln und Kiebitzen. Am Horizont endlich die Inselgruppe, die
vor der letzten großen Sturmfluth die Halbinsel Nordflrand ausmachte. Diese
Inseln theilen, ganz ebenso wie die im Osten die Natur der benachbarten


Hollunderhecke, hier und dort in einem Garten am Gehöfte einige dürftige,
windzerzauste Eschen oder Weiden, so kommen hier gegen die Eider hin und
'n Ditmarschen bei den einzelnstehenden Gütern und Ortschaften schon kleine
Wäldchen von Laubholz vor, und so zeigt noch weiter südlich die Wilster- und
Kremper- Marsch bereits einen großen Reichthum von Bäumen und Sträuchern
aller Art. Die Seemarschen sind ungeheure Viehställe unter freiem Himmel,
die Flußmarschen unermeßliche Gartenbeete. Jene lassen sich mit den Corrals
der Ebenen von Buenos Ayres vergleichen, diese erinnern mit der Sauberkeit
ihrer Gehöfte, den abgezirkelten Beeten ihrer zahlreichen Blumengärten, mit
den verschnittenen Hecken, die diese umgeben, und mit den vielen Schneckcn-
mühlen. die auf den Wiesen für Entwässerung des Landes arbeiten, lebhaft
an holländische Gegenden.

Vor den Haff- oder Außendeichen (Butendieks) dauert die Bildung des
Marschlandes noch immer fort. Sowie die breiartige Masse des Schlicks,
welcher beim Zurücktreten der Fluth am Strande sich ansetzt, einige Festigkeit
und eine gewisse Höhe erlangt hat, beginnt die Vegetation. Hat sich das
„Watt" — so nennt man dieses cillmälig entstehende Vorland jenseits der
Seedämme — bis zur gewöhnlichen Fluthhöhe gehoben, wobei es von der
Menschenhand durch Anlegung von niedrigen, mit Strohgeflechten überzogenen
Dammbauten unterstützt wird, so überzieht es sich rasch mit einem Teppich von
Wasserpflanzen. Erst zeigt sich der Queller, dann der Urtel, hierauf der
Hvrrich. Einige Zeit nachher läßt der getrocknete Schlamm in bestimmter
Reihenfolge verschiedene Gräser aufgehen, aus denen sich schräg abfallende sal¬
zige Wiesen, nur zur Schafzucht tauglich, entwickeln. Zuletzt erscheint der weiße
Klee, der die Anwohner in Kenntniß setzt, daß die Ausbildung des Bodens
diejenige Stufe der Vollendung erreicht hat, wo er für die Zwecke der Land¬
wirthschaft verwendbar ist. Das Watt ist dann reif zur Eindeichung, dieselbe
beginnt, entweder auf Kosten einer Association oder von Seiten der Regierung,
und nach ihrer Beendigung reiht sich der neue Koog den ältern als gleichbe¬
rechtigter und gleichverpflichteter Nachbar an.

Die Außendeiche gehören besonders da, wo sie — wie in den Elbmarschen
bei Sanct Margarethen — kein Vorland haben, zu den gewaltigsten Werken
der Wasserbaukunst. Die Aussicht von ihnen ist begreiflicherweise nicht schön,
aber eigenthümlich. Im Osten, Süden und Norden der reiche Marschgrund,
in der Nähe grün, in der Ferne bläulich, darauf Heerden von Fettvieh, weiter¬
hin östlich die großen Geestdörfer. Im Westen bei der Fluth ein graues Meer
mit weißen Wellenkämmen, beider Ebbe ein brauner Sumpf, überflattert von
Möven, Wrackvögeln und Kiebitzen. Am Horizont endlich die Inselgruppe, die
vor der letzten großen Sturmfluth die Halbinsel Nordflrand ausmachte. Diese
Inseln theilen, ganz ebenso wie die im Osten die Natur der benachbarten


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[0422] Hollunderhecke, hier und dort in einem Garten am Gehöfte einige dürftige, windzerzauste Eschen oder Weiden, so kommen hier gegen die Eider hin und 'n Ditmarschen bei den einzelnstehenden Gütern und Ortschaften schon kleine Wäldchen von Laubholz vor, und so zeigt noch weiter südlich die Wilster- und Kremper- Marsch bereits einen großen Reichthum von Bäumen und Sträuchern aller Art. Die Seemarschen sind ungeheure Viehställe unter freiem Himmel, die Flußmarschen unermeßliche Gartenbeete. Jene lassen sich mit den Corrals der Ebenen von Buenos Ayres vergleichen, diese erinnern mit der Sauberkeit ihrer Gehöfte, den abgezirkelten Beeten ihrer zahlreichen Blumengärten, mit den verschnittenen Hecken, die diese umgeben, und mit den vielen Schneckcn- mühlen. die auf den Wiesen für Entwässerung des Landes arbeiten, lebhaft an holländische Gegenden. Vor den Haff- oder Außendeichen (Butendieks) dauert die Bildung des Marschlandes noch immer fort. Sowie die breiartige Masse des Schlicks, welcher beim Zurücktreten der Fluth am Strande sich ansetzt, einige Festigkeit und eine gewisse Höhe erlangt hat, beginnt die Vegetation. Hat sich das „Watt" — so nennt man dieses cillmälig entstehende Vorland jenseits der Seedämme — bis zur gewöhnlichen Fluthhöhe gehoben, wobei es von der Menschenhand durch Anlegung von niedrigen, mit Strohgeflechten überzogenen Dammbauten unterstützt wird, so überzieht es sich rasch mit einem Teppich von Wasserpflanzen. Erst zeigt sich der Queller, dann der Urtel, hierauf der Hvrrich. Einige Zeit nachher läßt der getrocknete Schlamm in bestimmter Reihenfolge verschiedene Gräser aufgehen, aus denen sich schräg abfallende sal¬ zige Wiesen, nur zur Schafzucht tauglich, entwickeln. Zuletzt erscheint der weiße Klee, der die Anwohner in Kenntniß setzt, daß die Ausbildung des Bodens diejenige Stufe der Vollendung erreicht hat, wo er für die Zwecke der Land¬ wirthschaft verwendbar ist. Das Watt ist dann reif zur Eindeichung, dieselbe beginnt, entweder auf Kosten einer Association oder von Seiten der Regierung, und nach ihrer Beendigung reiht sich der neue Koog den ältern als gleichbe¬ rechtigter und gleichverpflichteter Nachbar an. Die Außendeiche gehören besonders da, wo sie — wie in den Elbmarschen bei Sanct Margarethen — kein Vorland haben, zu den gewaltigsten Werken der Wasserbaukunst. Die Aussicht von ihnen ist begreiflicherweise nicht schön, aber eigenthümlich. Im Osten, Süden und Norden der reiche Marschgrund, in der Nähe grün, in der Ferne bläulich, darauf Heerden von Fettvieh, weiter¬ hin östlich die großen Geestdörfer. Im Westen bei der Fluth ein graues Meer mit weißen Wellenkämmen, beider Ebbe ein brauner Sumpf, überflattert von Möven, Wrackvögeln und Kiebitzen. Am Horizont endlich die Inselgruppe, die vor der letzten großen Sturmfluth die Halbinsel Nordflrand ausmachte. Diese Inseln theilen, ganz ebenso wie die im Osten die Natur der benachbarten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/422>, abgerufen am 24.07.2024.