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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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liebe Ergiebigkeit. Der Sand hat der fettesten Thonerde Platz gemacht, und
jedes Fleckchen ist in Cultur genommen. Weizen so hoch wie Schilf, Gerste
so stark und schön wie Weizen, Gras so üppig wie Gerste und ein Flor von
Wiesenblumen dazu, so reich wie aus irgendeiner der Savannen und Prairien
Amerikas. Dazwischen Felder mit Saubohnen und gelbem Raps, alles so ge¬
schlossen, daß kaum ein Sonnenstrahl auf den Boden dringt. Wer ließe sich
im innern Deutschland von vierspännigen Pflügen träumen, und wer wüßte hier
zu Lande nicht, daß man im Christian-Albrechts-Koog den schweren blauen
Klai der Felder kaum mit einem Achtgespann bezwingt?

Die Marschen sind im eigentlichsten Sinne des Wortes herzugeschwommenes
Land, ein Geschenk des Meeres oder, wenn man will, ein ihm abgetrotztes
Gebiet. Aus zähem, fast sandfreiem Thon bestehend, der unaufhörlich von
der Fluth ans Ufer getrieben wird, ruhen sie, durchschnittlich drei, bisweilen
vier Fuß tief, entweder auf Sandlagern oder auf Moorgrund. Sie ziehen sich
von der Nordgrenze Schleswigs in einer Breite von einer bis zu drei Meilen
und nur bei Husum und bei Sanct Peter im Eiderstedtischen durch Dünen
unterbrochen, längs des Meeres und der in dasselbe mündenden Flüsse bis
nach Wedel bei Pinneberg hin. Nach der See zu bilden die gewaltigen Boll¬
werke der Haffdeiche ihre Grenze. Zahllose andere Dämme, die einst dieselbe
Bestimmung hatten, jetzt aber, wo das Land seewärts weit über sie hinaus¬
gewachsen ist, nur noch als Straßen dienen, durchschneiden sie nach allen Rich¬
tungen und theilen so die unter ihnen sich hindehnende Fläche in einzelne Ge¬
markungen oder Köge. Am Saume der Geest liegen geschlossene, bisweilen
sehr große Dörfer und Flecken sowie einige Städtchen. In der Marsch selbst
dagegen giebt es lediglich zerstreute Höfe, die sich auf künstlichen Hügeln oder
Wurthen erheben, gewöhnlich mit Gräben umringt sind und oft sehr große
Kirchspiele bilden.

Man kann die Marschen in drei Rubriken trennen. Ganz im Norden,
zwischen Hoyer und Ripcn sind sie uneingedeicht und bloße Viehweiden. Wei¬
ter südlich im Lande der Friesen, in Eiderstedt und Norderditmarschen herrscht
ebenfalls die Mastviehzucht vor, und die Zahl und der Zustand der Massen
rother und gescheckter Rinder, die hier, so weit das Auge reicht, im Grase
wandeln, in den Tümpeln sich wälzen, paarweise aneinander gekoppelt von
Graben zu Graben hin und her traben, ist geradezu unglaublich. Tausende
werden jährlich von Tönningen nach England geschickt, und ebensoviele Tau¬
sende wandern jährlich in die Schiffsschlachtereien Hamburgs. In den Flu߬
marschen des Südens endlich ist der Ackerbau überwiegend, wiewohl auch hier
noch betrachtliche Massen von Ochsen für den Markt gemästet werden. Sind
die Köge des Nordens völlig waldlos, bieten sie dem in der Einförmigkeit der
Fläche nach Baumschlag verlangenden Auge nichts als hin und wieder eine


liebe Ergiebigkeit. Der Sand hat der fettesten Thonerde Platz gemacht, und
jedes Fleckchen ist in Cultur genommen. Weizen so hoch wie Schilf, Gerste
so stark und schön wie Weizen, Gras so üppig wie Gerste und ein Flor von
Wiesenblumen dazu, so reich wie aus irgendeiner der Savannen und Prairien
Amerikas. Dazwischen Felder mit Saubohnen und gelbem Raps, alles so ge¬
schlossen, daß kaum ein Sonnenstrahl auf den Boden dringt. Wer ließe sich
im innern Deutschland von vierspännigen Pflügen träumen, und wer wüßte hier
zu Lande nicht, daß man im Christian-Albrechts-Koog den schweren blauen
Klai der Felder kaum mit einem Achtgespann bezwingt?

Die Marschen sind im eigentlichsten Sinne des Wortes herzugeschwommenes
Land, ein Geschenk des Meeres oder, wenn man will, ein ihm abgetrotztes
Gebiet. Aus zähem, fast sandfreiem Thon bestehend, der unaufhörlich von
der Fluth ans Ufer getrieben wird, ruhen sie, durchschnittlich drei, bisweilen
vier Fuß tief, entweder auf Sandlagern oder auf Moorgrund. Sie ziehen sich
von der Nordgrenze Schleswigs in einer Breite von einer bis zu drei Meilen
und nur bei Husum und bei Sanct Peter im Eiderstedtischen durch Dünen
unterbrochen, längs des Meeres und der in dasselbe mündenden Flüsse bis
nach Wedel bei Pinneberg hin. Nach der See zu bilden die gewaltigen Boll¬
werke der Haffdeiche ihre Grenze. Zahllose andere Dämme, die einst dieselbe
Bestimmung hatten, jetzt aber, wo das Land seewärts weit über sie hinaus¬
gewachsen ist, nur noch als Straßen dienen, durchschneiden sie nach allen Rich¬
tungen und theilen so die unter ihnen sich hindehnende Fläche in einzelne Ge¬
markungen oder Köge. Am Saume der Geest liegen geschlossene, bisweilen
sehr große Dörfer und Flecken sowie einige Städtchen. In der Marsch selbst
dagegen giebt es lediglich zerstreute Höfe, die sich auf künstlichen Hügeln oder
Wurthen erheben, gewöhnlich mit Gräben umringt sind und oft sehr große
Kirchspiele bilden.

Man kann die Marschen in drei Rubriken trennen. Ganz im Norden,
zwischen Hoyer und Ripcn sind sie uneingedeicht und bloße Viehweiden. Wei¬
ter südlich im Lande der Friesen, in Eiderstedt und Norderditmarschen herrscht
ebenfalls die Mastviehzucht vor, und die Zahl und der Zustand der Massen
rother und gescheckter Rinder, die hier, so weit das Auge reicht, im Grase
wandeln, in den Tümpeln sich wälzen, paarweise aneinander gekoppelt von
Graben zu Graben hin und her traben, ist geradezu unglaublich. Tausende
werden jährlich von Tönningen nach England geschickt, und ebensoviele Tau¬
sende wandern jährlich in die Schiffsschlachtereien Hamburgs. In den Flu߬
marschen des Südens endlich ist der Ackerbau überwiegend, wiewohl auch hier
noch betrachtliche Massen von Ochsen für den Markt gemästet werden. Sind
die Köge des Nordens völlig waldlos, bieten sie dem in der Einförmigkeit der
Fläche nach Baumschlag verlangenden Auge nichts als hin und wieder eine


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[0421] liebe Ergiebigkeit. Der Sand hat der fettesten Thonerde Platz gemacht, und jedes Fleckchen ist in Cultur genommen. Weizen so hoch wie Schilf, Gerste so stark und schön wie Weizen, Gras so üppig wie Gerste und ein Flor von Wiesenblumen dazu, so reich wie aus irgendeiner der Savannen und Prairien Amerikas. Dazwischen Felder mit Saubohnen und gelbem Raps, alles so ge¬ schlossen, daß kaum ein Sonnenstrahl auf den Boden dringt. Wer ließe sich im innern Deutschland von vierspännigen Pflügen träumen, und wer wüßte hier zu Lande nicht, daß man im Christian-Albrechts-Koog den schweren blauen Klai der Felder kaum mit einem Achtgespann bezwingt? Die Marschen sind im eigentlichsten Sinne des Wortes herzugeschwommenes Land, ein Geschenk des Meeres oder, wenn man will, ein ihm abgetrotztes Gebiet. Aus zähem, fast sandfreiem Thon bestehend, der unaufhörlich von der Fluth ans Ufer getrieben wird, ruhen sie, durchschnittlich drei, bisweilen vier Fuß tief, entweder auf Sandlagern oder auf Moorgrund. Sie ziehen sich von der Nordgrenze Schleswigs in einer Breite von einer bis zu drei Meilen und nur bei Husum und bei Sanct Peter im Eiderstedtischen durch Dünen unterbrochen, längs des Meeres und der in dasselbe mündenden Flüsse bis nach Wedel bei Pinneberg hin. Nach der See zu bilden die gewaltigen Boll¬ werke der Haffdeiche ihre Grenze. Zahllose andere Dämme, die einst dieselbe Bestimmung hatten, jetzt aber, wo das Land seewärts weit über sie hinaus¬ gewachsen ist, nur noch als Straßen dienen, durchschneiden sie nach allen Rich¬ tungen und theilen so die unter ihnen sich hindehnende Fläche in einzelne Ge¬ markungen oder Köge. Am Saume der Geest liegen geschlossene, bisweilen sehr große Dörfer und Flecken sowie einige Städtchen. In der Marsch selbst dagegen giebt es lediglich zerstreute Höfe, die sich auf künstlichen Hügeln oder Wurthen erheben, gewöhnlich mit Gräben umringt sind und oft sehr große Kirchspiele bilden. Man kann die Marschen in drei Rubriken trennen. Ganz im Norden, zwischen Hoyer und Ripcn sind sie uneingedeicht und bloße Viehweiden. Wei¬ ter südlich im Lande der Friesen, in Eiderstedt und Norderditmarschen herrscht ebenfalls die Mastviehzucht vor, und die Zahl und der Zustand der Massen rother und gescheckter Rinder, die hier, so weit das Auge reicht, im Grase wandeln, in den Tümpeln sich wälzen, paarweise aneinander gekoppelt von Graben zu Graben hin und her traben, ist geradezu unglaublich. Tausende werden jährlich von Tönningen nach England geschickt, und ebensoviele Tau¬ sende wandern jährlich in die Schiffsschlachtereien Hamburgs. In den Flu߬ marschen des Südens endlich ist der Ackerbau überwiegend, wiewohl auch hier noch betrachtliche Massen von Ochsen für den Markt gemästet werden. Sind die Köge des Nordens völlig waldlos, bieten sie dem in der Einförmigkeit der Fläche nach Baumschlag verlangenden Auge nichts als hin und wieder eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/421>, abgerufen am 24.07.2024.