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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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In alter Zeit bot der hohe Landrücken Holsteins sowohl wie Schleswigs
ein durchaus anderes Bild. Damals waren alle Haiden von der Elbe bis zur
Königsau von undurchdringlichen Wäldern beschattet. Wo jetzt die segeberger
Haide sich streckt, dunkelte noch im vierzehnten Jahrhundert der Urwohld, und
von Lütjenburg bis Schleswig, eine Strecke von zehn Meilen, auf der gegen¬
wärtig nur kleine Gehölze vorkommen, rauschten einst die Wipfel des ungeheuren
Jsarnho. Die Sage behauptet in ihrer poetischen Ausdrucksweise, daß früher
ein Eichhörnchen den sieben Meilen langen Weg zwischen Apenrade und Ripen
zurücklegen konnte ohne den Boden zu berühren, und daß es bei Tondern, in
dessen Marken jetzt kein Waldbaum anzutreffen ist, einen Forst gab, in dem man
die Sonne nicht sah. Die erstaunlichen Massen von Eichenholz, die man in
den Mooren findet, und jener Krattbusch, der namentlich bei Rendsburg häufig
auftritt und nichts anderes ist als ein Rest alter Wurzelschößlinge, sind Zeugnisse
für die Begründung der Sage. Die Stämme in den Mooren legten wahr¬
scheinlich die Sturmfluthen einer Zeit nieder, an welche es keine Erinnerung
giebt. Andere Wälder wurden, wie das Volk erzählt von den Schweden niederge¬
brannt. Wären sie geblieben oder mit Maß gelichtet worden, so würde die hohe
Geest unzweifelhaft eine andere Gestalt haben. Die zu rasche Zerstörung jener
Wälder stellte das Plateau dem Westwinde bloß, der jetzt keine Holzcultur mehr
zu dulden scheint. Die Rodungen waren zu bedeutend, um von der schwachen
Bevölkerung ohne Verzug urbar gemacht werden zu können. Sie bedeckten sich
rasch mit Flugsand und Haidegestrüpp. Das Klima wurde rauher, und die
Möglichkeit des Anbaus ging allmälig beinahe ganz verloren. Schreiten wir
auf unsrer Wanderung von Osten nach Westen weiter, so führt die nächste
Bodenerhebung uns wieder auf die Haide, die nächste Senkung von neuem in
anmuthigere Striche. So kommen wir von Oase zu Oase, bis endlich die
Luftspiegelung, die am Horizont dieser Gegenden fleißig ihre Bilder webt, in
der Ferne Schiffe in ihrem Gewebe zu zeigen beginnt, und bald nachher uns
die Wirklichkeit unter ihr von Weitem die schiefergrauen Wellen der Nordsee er¬
blicken läßt; zwischen dieser aber und dem Rande der hohen >Geest zieht sich
der dritte der drei von Süden nach Norden laufenden Landstreifen Nordalbingiens
hin, die Welt der Marschen.

Geht der Charakter der Ostküste im Allgemeinen nur langsam in den der
hohen Geest über, so fällt der Unterschied hier, an der Grenze zwischen Geest
und Marsch, allenthalben plötzlich und überraschend ins Auge. War der Osten
ein hügelreicher Park, der Mittelstreif eine hochgelegene, gewellte Haidewüste, so
ist die Westküste eine ungeheure durchaus ebene Grasfläche, die mit letzteren die
Baumlosigkeit, mit dem östlichsten Streifen des dreifarbigen Bandes die grüne
Farbe gemein hat. War der Osten schön und wechselvoll, die Landesmitte dürr
und eintönig, so ist das Hauptcharaktermerkmal der Marschen ihre außerordent-


In alter Zeit bot der hohe Landrücken Holsteins sowohl wie Schleswigs
ein durchaus anderes Bild. Damals waren alle Haiden von der Elbe bis zur
Königsau von undurchdringlichen Wäldern beschattet. Wo jetzt die segeberger
Haide sich streckt, dunkelte noch im vierzehnten Jahrhundert der Urwohld, und
von Lütjenburg bis Schleswig, eine Strecke von zehn Meilen, auf der gegen¬
wärtig nur kleine Gehölze vorkommen, rauschten einst die Wipfel des ungeheuren
Jsarnho. Die Sage behauptet in ihrer poetischen Ausdrucksweise, daß früher
ein Eichhörnchen den sieben Meilen langen Weg zwischen Apenrade und Ripen
zurücklegen konnte ohne den Boden zu berühren, und daß es bei Tondern, in
dessen Marken jetzt kein Waldbaum anzutreffen ist, einen Forst gab, in dem man
die Sonne nicht sah. Die erstaunlichen Massen von Eichenholz, die man in
den Mooren findet, und jener Krattbusch, der namentlich bei Rendsburg häufig
auftritt und nichts anderes ist als ein Rest alter Wurzelschößlinge, sind Zeugnisse
für die Begründung der Sage. Die Stämme in den Mooren legten wahr¬
scheinlich die Sturmfluthen einer Zeit nieder, an welche es keine Erinnerung
giebt. Andere Wälder wurden, wie das Volk erzählt von den Schweden niederge¬
brannt. Wären sie geblieben oder mit Maß gelichtet worden, so würde die hohe
Geest unzweifelhaft eine andere Gestalt haben. Die zu rasche Zerstörung jener
Wälder stellte das Plateau dem Westwinde bloß, der jetzt keine Holzcultur mehr
zu dulden scheint. Die Rodungen waren zu bedeutend, um von der schwachen
Bevölkerung ohne Verzug urbar gemacht werden zu können. Sie bedeckten sich
rasch mit Flugsand und Haidegestrüpp. Das Klima wurde rauher, und die
Möglichkeit des Anbaus ging allmälig beinahe ganz verloren. Schreiten wir
auf unsrer Wanderung von Osten nach Westen weiter, so führt die nächste
Bodenerhebung uns wieder auf die Haide, die nächste Senkung von neuem in
anmuthigere Striche. So kommen wir von Oase zu Oase, bis endlich die
Luftspiegelung, die am Horizont dieser Gegenden fleißig ihre Bilder webt, in
der Ferne Schiffe in ihrem Gewebe zu zeigen beginnt, und bald nachher uns
die Wirklichkeit unter ihr von Weitem die schiefergrauen Wellen der Nordsee er¬
blicken läßt; zwischen dieser aber und dem Rande der hohen >Geest zieht sich
der dritte der drei von Süden nach Norden laufenden Landstreifen Nordalbingiens
hin, die Welt der Marschen.

Geht der Charakter der Ostküste im Allgemeinen nur langsam in den der
hohen Geest über, so fällt der Unterschied hier, an der Grenze zwischen Geest
und Marsch, allenthalben plötzlich und überraschend ins Auge. War der Osten
ein hügelreicher Park, der Mittelstreif eine hochgelegene, gewellte Haidewüste, so
ist die Westküste eine ungeheure durchaus ebene Grasfläche, die mit letzteren die
Baumlosigkeit, mit dem östlichsten Streifen des dreifarbigen Bandes die grüne
Farbe gemein hat. War der Osten schön und wechselvoll, die Landesmitte dürr
und eintönig, so ist das Hauptcharaktermerkmal der Marschen ihre außerordent-


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[0420] In alter Zeit bot der hohe Landrücken Holsteins sowohl wie Schleswigs ein durchaus anderes Bild. Damals waren alle Haiden von der Elbe bis zur Königsau von undurchdringlichen Wäldern beschattet. Wo jetzt die segeberger Haide sich streckt, dunkelte noch im vierzehnten Jahrhundert der Urwohld, und von Lütjenburg bis Schleswig, eine Strecke von zehn Meilen, auf der gegen¬ wärtig nur kleine Gehölze vorkommen, rauschten einst die Wipfel des ungeheuren Jsarnho. Die Sage behauptet in ihrer poetischen Ausdrucksweise, daß früher ein Eichhörnchen den sieben Meilen langen Weg zwischen Apenrade und Ripen zurücklegen konnte ohne den Boden zu berühren, und daß es bei Tondern, in dessen Marken jetzt kein Waldbaum anzutreffen ist, einen Forst gab, in dem man die Sonne nicht sah. Die erstaunlichen Massen von Eichenholz, die man in den Mooren findet, und jener Krattbusch, der namentlich bei Rendsburg häufig auftritt und nichts anderes ist als ein Rest alter Wurzelschößlinge, sind Zeugnisse für die Begründung der Sage. Die Stämme in den Mooren legten wahr¬ scheinlich die Sturmfluthen einer Zeit nieder, an welche es keine Erinnerung giebt. Andere Wälder wurden, wie das Volk erzählt von den Schweden niederge¬ brannt. Wären sie geblieben oder mit Maß gelichtet worden, so würde die hohe Geest unzweifelhaft eine andere Gestalt haben. Die zu rasche Zerstörung jener Wälder stellte das Plateau dem Westwinde bloß, der jetzt keine Holzcultur mehr zu dulden scheint. Die Rodungen waren zu bedeutend, um von der schwachen Bevölkerung ohne Verzug urbar gemacht werden zu können. Sie bedeckten sich rasch mit Flugsand und Haidegestrüpp. Das Klima wurde rauher, und die Möglichkeit des Anbaus ging allmälig beinahe ganz verloren. Schreiten wir auf unsrer Wanderung von Osten nach Westen weiter, so führt die nächste Bodenerhebung uns wieder auf die Haide, die nächste Senkung von neuem in anmuthigere Striche. So kommen wir von Oase zu Oase, bis endlich die Luftspiegelung, die am Horizont dieser Gegenden fleißig ihre Bilder webt, in der Ferne Schiffe in ihrem Gewebe zu zeigen beginnt, und bald nachher uns die Wirklichkeit unter ihr von Weitem die schiefergrauen Wellen der Nordsee er¬ blicken läßt; zwischen dieser aber und dem Rande der hohen >Geest zieht sich der dritte der drei von Süden nach Norden laufenden Landstreifen Nordalbingiens hin, die Welt der Marschen. Geht der Charakter der Ostküste im Allgemeinen nur langsam in den der hohen Geest über, so fällt der Unterschied hier, an der Grenze zwischen Geest und Marsch, allenthalben plötzlich und überraschend ins Auge. War der Osten ein hügelreicher Park, der Mittelstreif eine hochgelegene, gewellte Haidewüste, so ist die Westküste eine ungeheure durchaus ebene Grasfläche, die mit letzteren die Baumlosigkeit, mit dem östlichsten Streifen des dreifarbigen Bandes die grüne Farbe gemein hat. War der Osten schön und wechselvoll, die Landesmitte dürr und eintönig, so ist das Hauptcharaktermerkmal der Marschen ihre außerordent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/420>, abgerufen am 24.07.2024.