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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Staatszustände können mit vollem Recht als "nicht gesund" bezeichnet werden;
denn dann sind die Begriffe verkehrt worden und die Administration scheint
nicht mehr wegen der Armee, sondern diese der ersteren wegen vorhanden zu
sein. Und Solches ist in Oestreich der Fall.

Man nehme die Budgetvorlagen aus der vorigen und vorvorigen Reichs¬
rathssession zur Hand und man wird finden, daß nahezu 48 Procente des ge-
sammten Kriegsbudgets von der Administration in Anspruch genommen werden.
Schlagt man jedoch von dem Kriegsbudget einige zu demselben nur bedingt
zählende und auf die Erhaltung der streitbaren Truppen keinen Einfluß nehmende
Posten ab, so stellt sich das Verhältniß noch ungünstiger, nämlich mit 30 bis
62 Procent. Die Administration kostet also factisch noch mehr, als
die Erhaltung der eigentlichen Armee! Ja, wenn man auch noch die¬
jenigen' nicht streitbaren Individuen, welche sich unmittelbar bei den Truppen
und in dem Stande derselben befinden, z. B. Ofsiziersdiener, Professio-
nisten und andere einreihen wollte, würde man noch ganz andere Entdeckungen
machen.

Und es sind wohl in keinem Staate seit den letzten sechzehn Jahren so
viele "Verbesserungen und Vereinfachungen der Administration" und so viele
Personalverminderungen vorgekommen, als gerade in Oestreich. Man beging
aber dabei fast jedesmal den Fehler, daß man die eine Stelle um zwei oder
drei Individuen -- auf dem Papier verringerte und irgendeine geringfügige
Verbesserung einführte, daneben aber eine neue Stelle creirte, um die richtige
Durchführung der genannten Verbesserung zu kontroliren und einen Theil der
durch die Reducirung der andern Stelle disponiblen Individuen zu beschäftigen.
So verursachte fast in der Regel jede sogenannte administrative Reform dem
Staatsschatze keine Erleichterung, sondern nur neue Lasten und Ausgaben.
Die einzige Ersparung kam bei den Truppen selbst, freilich gewöhnlich auf
Kosten der Schlagfertigkeit derselben und auf Kosten des materiellen Wohlseins
der einzelnen Offiziere und Soldaten vor, indem man ganz einfach eine be¬
liebige Anzahl von Offizieren pensionirte, Unteroffiziere und Soldaten beurlaubte,
oder wohl gar die ohnedem kärglichen Gebühren derselben verminderte. Dagegen
wußte man es, eben weil Bureaukraten dabei im Interesse und am Ruder waren,
bei jeder Reorganisation irgendeines Departements der Militärbeamten gewiß
so einzurichten, daß auch nicht eine Stelle überzählig ausfiel, noch weniger aber
irgend jemand zu kurz kam, sondern alle, oder wenigstens die Obersten dabei
an Einkommen, Rang und Gemächlichkeit des Dienstes gewannen. So sind
denn die östreichischen Militärbeamten und Militärparteien, (eine officielle Be-
zeichnung jener Individuen, welche weder im Stande der Beamten sich befinden,
noch, obschon sie eine Offiziersuniform tragen, zu den eigentlichen Offizieren
gerechnet werden) nach und nach günstiger nicht nur als fast alle Civilstaats-


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Staatszustände können mit vollem Recht als „nicht gesund" bezeichnet werden;
denn dann sind die Begriffe verkehrt worden und die Administration scheint
nicht mehr wegen der Armee, sondern diese der ersteren wegen vorhanden zu
sein. Und Solches ist in Oestreich der Fall.

Man nehme die Budgetvorlagen aus der vorigen und vorvorigen Reichs¬
rathssession zur Hand und man wird finden, daß nahezu 48 Procente des ge-
sammten Kriegsbudgets von der Administration in Anspruch genommen werden.
Schlagt man jedoch von dem Kriegsbudget einige zu demselben nur bedingt
zählende und auf die Erhaltung der streitbaren Truppen keinen Einfluß nehmende
Posten ab, so stellt sich das Verhältniß noch ungünstiger, nämlich mit 30 bis
62 Procent. Die Administration kostet also factisch noch mehr, als
die Erhaltung der eigentlichen Armee! Ja, wenn man auch noch die¬
jenigen' nicht streitbaren Individuen, welche sich unmittelbar bei den Truppen
und in dem Stande derselben befinden, z. B. Ofsiziersdiener, Professio-
nisten und andere einreihen wollte, würde man noch ganz andere Entdeckungen
machen.

Und es sind wohl in keinem Staate seit den letzten sechzehn Jahren so
viele „Verbesserungen und Vereinfachungen der Administration" und so viele
Personalverminderungen vorgekommen, als gerade in Oestreich. Man beging
aber dabei fast jedesmal den Fehler, daß man die eine Stelle um zwei oder
drei Individuen — auf dem Papier verringerte und irgendeine geringfügige
Verbesserung einführte, daneben aber eine neue Stelle creirte, um die richtige
Durchführung der genannten Verbesserung zu kontroliren und einen Theil der
durch die Reducirung der andern Stelle disponiblen Individuen zu beschäftigen.
So verursachte fast in der Regel jede sogenannte administrative Reform dem
Staatsschatze keine Erleichterung, sondern nur neue Lasten und Ausgaben.
Die einzige Ersparung kam bei den Truppen selbst, freilich gewöhnlich auf
Kosten der Schlagfertigkeit derselben und auf Kosten des materiellen Wohlseins
der einzelnen Offiziere und Soldaten vor, indem man ganz einfach eine be¬
liebige Anzahl von Offizieren pensionirte, Unteroffiziere und Soldaten beurlaubte,
oder wohl gar die ohnedem kärglichen Gebühren derselben verminderte. Dagegen
wußte man es, eben weil Bureaukraten dabei im Interesse und am Ruder waren,
bei jeder Reorganisation irgendeines Departements der Militärbeamten gewiß
so einzurichten, daß auch nicht eine Stelle überzählig ausfiel, noch weniger aber
irgend jemand zu kurz kam, sondern alle, oder wenigstens die Obersten dabei
an Einkommen, Rang und Gemächlichkeit des Dienstes gewannen. So sind
denn die östreichischen Militärbeamten und Militärparteien, (eine officielle Be-
zeichnung jener Individuen, welche weder im Stande der Beamten sich befinden,
noch, obschon sie eine Offiziersuniform tragen, zu den eigentlichen Offizieren
gerechnet werden) nach und nach günstiger nicht nur als fast alle Civilstaats-


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[0393] Staatszustände können mit vollem Recht als „nicht gesund" bezeichnet werden; denn dann sind die Begriffe verkehrt worden und die Administration scheint nicht mehr wegen der Armee, sondern diese der ersteren wegen vorhanden zu sein. Und Solches ist in Oestreich der Fall. Man nehme die Budgetvorlagen aus der vorigen und vorvorigen Reichs¬ rathssession zur Hand und man wird finden, daß nahezu 48 Procente des ge- sammten Kriegsbudgets von der Administration in Anspruch genommen werden. Schlagt man jedoch von dem Kriegsbudget einige zu demselben nur bedingt zählende und auf die Erhaltung der streitbaren Truppen keinen Einfluß nehmende Posten ab, so stellt sich das Verhältniß noch ungünstiger, nämlich mit 30 bis 62 Procent. Die Administration kostet also factisch noch mehr, als die Erhaltung der eigentlichen Armee! Ja, wenn man auch noch die¬ jenigen' nicht streitbaren Individuen, welche sich unmittelbar bei den Truppen und in dem Stande derselben befinden, z. B. Ofsiziersdiener, Professio- nisten und andere einreihen wollte, würde man noch ganz andere Entdeckungen machen. Und es sind wohl in keinem Staate seit den letzten sechzehn Jahren so viele „Verbesserungen und Vereinfachungen der Administration" und so viele Personalverminderungen vorgekommen, als gerade in Oestreich. Man beging aber dabei fast jedesmal den Fehler, daß man die eine Stelle um zwei oder drei Individuen — auf dem Papier verringerte und irgendeine geringfügige Verbesserung einführte, daneben aber eine neue Stelle creirte, um die richtige Durchführung der genannten Verbesserung zu kontroliren und einen Theil der durch die Reducirung der andern Stelle disponiblen Individuen zu beschäftigen. So verursachte fast in der Regel jede sogenannte administrative Reform dem Staatsschatze keine Erleichterung, sondern nur neue Lasten und Ausgaben. Die einzige Ersparung kam bei den Truppen selbst, freilich gewöhnlich auf Kosten der Schlagfertigkeit derselben und auf Kosten des materiellen Wohlseins der einzelnen Offiziere und Soldaten vor, indem man ganz einfach eine be¬ liebige Anzahl von Offizieren pensionirte, Unteroffiziere und Soldaten beurlaubte, oder wohl gar die ohnedem kärglichen Gebühren derselben verminderte. Dagegen wußte man es, eben weil Bureaukraten dabei im Interesse und am Ruder waren, bei jeder Reorganisation irgendeines Departements der Militärbeamten gewiß so einzurichten, daß auch nicht eine Stelle überzählig ausfiel, noch weniger aber irgend jemand zu kurz kam, sondern alle, oder wenigstens die Obersten dabei an Einkommen, Rang und Gemächlichkeit des Dienstes gewannen. So sind denn die östreichischen Militärbeamten und Militärparteien, (eine officielle Be- zeichnung jener Individuen, welche weder im Stande der Beamten sich befinden, noch, obschon sie eine Offiziersuniform tragen, zu den eigentlichen Offizieren gerechnet werden) nach und nach günstiger nicht nur als fast alle Civilstaats- 49*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/393>, abgerufen am 24.07.2024.