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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Ganz das Gegentheil erfolgte. Es war kurz nach acht Uhr, als auf einmal
von dem westlichen User der Schlei wiederholte laute Rufe wie von einer großen
Menschenmenge ertönten. Bald darauf neues Geschrei, dann Erleuchtung der
Häuser von ganz Amis. Trotz des Schneegestöbers ist deutlich zu sehen, daß
es ungewöhnlich viele Lichter sind. Jeder Landeskundige weiß sofort, was
das zu bedeuten hat. Die Dänen haben den Ort verlassen, das Rufen drüben
ist Jubelgeschrei, das Lichtergefunkel in Amis eine Illumination. Die Preußen
hätten ohne Zögern übersetzen, sofort mit dem Brückenbau beginnen können.
Sie schienen aber nicht für möglich zu halten, was wir ihnen sagten. Einige
meinten, die Vorgänge drüben seien eine Falle. Den Ausschlag aber gab jeden¬
falls, daß der Befehl des Höchstcommandirenden den Beginn der Operationen
erst auf den folgenden Morgen festsetzte.

Jeden Augenblick erwartete ich mit fieberhafter Ungeduld, daß ein Boot^von
diesseits abstoßen würde, um sich über die Verhältnisse in Amis Gewißheit zu
verschaffen, und daß die Verfolgung der feindlichen Armee mit aller Energie
beginnen würde, denn daß die Dänen nicht blos hier abgezogen, sondern auch
das Dannewerk und Missunde geräumt, war mir außer Zweifel. Ich spähte
und lauschte bis gegen zehn Uhr. Als sich nichts rührte, fuchtelnd ein Obdach.
Die Preußen verhafteten jeden Civilisten, der sich in ihrer Nähe betreten ließ,
selbst Leute, die sich nur einige hundert Schritt von Höfen entfernt hatten,
zu denen sie gehörten, und so war die ganze Nachbarschaft der Schlei -- die
sicher nicht einen einzigen Spion unter sich geduldet hätte -- so gründlich ein¬
geschüchtert, daß von einer Annäherung an die Truppen zum Zwecke von Mit¬
theilungen über den Feind geraume Zeit nicht die Rede war. Hätte man sich
gegen die Bevölkerung weniger argwöhnisch und schroff verhalten, so würde man
ohne Zweifel weit eher über die Bedeutung des Hurrahs. und der Lichter in
Amis aufgeklärt worden sein. Ob man darauf hin etwas gegen den Befehl
von oberster Stelle gewagt hätte, ist freilich nicht zu sagen.

Erst um elf Uhr kamen Boote von Amis mit der Nachricht herüber, daß
die Dänen nach Vernagelung ihrer Kanonen die Schanze vor dem Orte und
letztern selbst geräumt hätten, und jetzt setzte man zunächst eine Patrouille zum
Recognosciren, dann nach und nach die Truppen der Avantgarde über. Man
hätte glauben sollen, daß nun auch ohne Verzug die Herstellung der Ponton¬
brücke in Angriff genommen worden wäre. Die Nacht war nicht sehr dunkel,
andere Hindernisse konnten auch nicht wohl vorhanden sein. Bis drei, höchstens
Vier Uhr Morgens konnte die Brücke vollendet sein. Aber es war Befehl, erst
am folgenden Morgen damit zu beginnen, und schneller zu sein als befohlen
ist ein Laster, selbst wo es nützlich ist -- wenn auch vielleicht nur auf Exer¬
cierplätzen und bei Friedensmanövern.

So sing man erst nach halb sieben Uhr früh mit dem Bau der Brücke an,


Ganz das Gegentheil erfolgte. Es war kurz nach acht Uhr, als auf einmal
von dem westlichen User der Schlei wiederholte laute Rufe wie von einer großen
Menschenmenge ertönten. Bald darauf neues Geschrei, dann Erleuchtung der
Häuser von ganz Amis. Trotz des Schneegestöbers ist deutlich zu sehen, daß
es ungewöhnlich viele Lichter sind. Jeder Landeskundige weiß sofort, was
das zu bedeuten hat. Die Dänen haben den Ort verlassen, das Rufen drüben
ist Jubelgeschrei, das Lichtergefunkel in Amis eine Illumination. Die Preußen
hätten ohne Zögern übersetzen, sofort mit dem Brückenbau beginnen können.
Sie schienen aber nicht für möglich zu halten, was wir ihnen sagten. Einige
meinten, die Vorgänge drüben seien eine Falle. Den Ausschlag aber gab jeden¬
falls, daß der Befehl des Höchstcommandirenden den Beginn der Operationen
erst auf den folgenden Morgen festsetzte.

Jeden Augenblick erwartete ich mit fieberhafter Ungeduld, daß ein Boot^von
diesseits abstoßen würde, um sich über die Verhältnisse in Amis Gewißheit zu
verschaffen, und daß die Verfolgung der feindlichen Armee mit aller Energie
beginnen würde, denn daß die Dänen nicht blos hier abgezogen, sondern auch
das Dannewerk und Missunde geräumt, war mir außer Zweifel. Ich spähte
und lauschte bis gegen zehn Uhr. Als sich nichts rührte, fuchtelnd ein Obdach.
Die Preußen verhafteten jeden Civilisten, der sich in ihrer Nähe betreten ließ,
selbst Leute, die sich nur einige hundert Schritt von Höfen entfernt hatten,
zu denen sie gehörten, und so war die ganze Nachbarschaft der Schlei — die
sicher nicht einen einzigen Spion unter sich geduldet hätte — so gründlich ein¬
geschüchtert, daß von einer Annäherung an die Truppen zum Zwecke von Mit¬
theilungen über den Feind geraume Zeit nicht die Rede war. Hätte man sich
gegen die Bevölkerung weniger argwöhnisch und schroff verhalten, so würde man
ohne Zweifel weit eher über die Bedeutung des Hurrahs. und der Lichter in
Amis aufgeklärt worden sein. Ob man darauf hin etwas gegen den Befehl
von oberster Stelle gewagt hätte, ist freilich nicht zu sagen.

Erst um elf Uhr kamen Boote von Amis mit der Nachricht herüber, daß
die Dänen nach Vernagelung ihrer Kanonen die Schanze vor dem Orte und
letztern selbst geräumt hätten, und jetzt setzte man zunächst eine Patrouille zum
Recognosciren, dann nach und nach die Truppen der Avantgarde über. Man
hätte glauben sollen, daß nun auch ohne Verzug die Herstellung der Ponton¬
brücke in Angriff genommen worden wäre. Die Nacht war nicht sehr dunkel,
andere Hindernisse konnten auch nicht wohl vorhanden sein. Bis drei, höchstens
Vier Uhr Morgens konnte die Brücke vollendet sein. Aber es war Befehl, erst
am folgenden Morgen damit zu beginnen, und schneller zu sein als befohlen
ist ein Laster, selbst wo es nützlich ist — wenn auch vielleicht nur auf Exer¬
cierplätzen und bei Friedensmanövern.

So sing man erst nach halb sieben Uhr früh mit dem Bau der Brücke an,


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[0387] Ganz das Gegentheil erfolgte. Es war kurz nach acht Uhr, als auf einmal von dem westlichen User der Schlei wiederholte laute Rufe wie von einer großen Menschenmenge ertönten. Bald darauf neues Geschrei, dann Erleuchtung der Häuser von ganz Amis. Trotz des Schneegestöbers ist deutlich zu sehen, daß es ungewöhnlich viele Lichter sind. Jeder Landeskundige weiß sofort, was das zu bedeuten hat. Die Dänen haben den Ort verlassen, das Rufen drüben ist Jubelgeschrei, das Lichtergefunkel in Amis eine Illumination. Die Preußen hätten ohne Zögern übersetzen, sofort mit dem Brückenbau beginnen können. Sie schienen aber nicht für möglich zu halten, was wir ihnen sagten. Einige meinten, die Vorgänge drüben seien eine Falle. Den Ausschlag aber gab jeden¬ falls, daß der Befehl des Höchstcommandirenden den Beginn der Operationen erst auf den folgenden Morgen festsetzte. Jeden Augenblick erwartete ich mit fieberhafter Ungeduld, daß ein Boot^von diesseits abstoßen würde, um sich über die Verhältnisse in Amis Gewißheit zu verschaffen, und daß die Verfolgung der feindlichen Armee mit aller Energie beginnen würde, denn daß die Dänen nicht blos hier abgezogen, sondern auch das Dannewerk und Missunde geräumt, war mir außer Zweifel. Ich spähte und lauschte bis gegen zehn Uhr. Als sich nichts rührte, fuchtelnd ein Obdach. Die Preußen verhafteten jeden Civilisten, der sich in ihrer Nähe betreten ließ, selbst Leute, die sich nur einige hundert Schritt von Höfen entfernt hatten, zu denen sie gehörten, und so war die ganze Nachbarschaft der Schlei — die sicher nicht einen einzigen Spion unter sich geduldet hätte — so gründlich ein¬ geschüchtert, daß von einer Annäherung an die Truppen zum Zwecke von Mit¬ theilungen über den Feind geraume Zeit nicht die Rede war. Hätte man sich gegen die Bevölkerung weniger argwöhnisch und schroff verhalten, so würde man ohne Zweifel weit eher über die Bedeutung des Hurrahs. und der Lichter in Amis aufgeklärt worden sein. Ob man darauf hin etwas gegen den Befehl von oberster Stelle gewagt hätte, ist freilich nicht zu sagen. Erst um elf Uhr kamen Boote von Amis mit der Nachricht herüber, daß die Dänen nach Vernagelung ihrer Kanonen die Schanze vor dem Orte und letztern selbst geräumt hätten, und jetzt setzte man zunächst eine Patrouille zum Recognosciren, dann nach und nach die Truppen der Avantgarde über. Man hätte glauben sollen, daß nun auch ohne Verzug die Herstellung der Ponton¬ brücke in Angriff genommen worden wäre. Die Nacht war nicht sehr dunkel, andere Hindernisse konnten auch nicht wohl vorhanden sein. Bis drei, höchstens Vier Uhr Morgens konnte die Brücke vollendet sein. Aber es war Befehl, erst am folgenden Morgen damit zu beginnen, und schneller zu sein als befohlen ist ein Laster, selbst wo es nützlich ist — wenn auch vielleicht nur auf Exer¬ cierplätzen und bei Friedensmanövern. So sing man erst nach halb sieben Uhr früh mit dem Bau der Brücke an,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/387>, abgerufen am 24.07.2024.