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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Vergehens macht, über die Leute auf seinem Gut zu Gericht zu sitzen, und seinen
Knechten und Mägden, seinen verheiratheten Gutstagelöhnern und deren Frauen
und Kindern, auch den bei ihm arbeitenden Fremden nach der Reihe fünfzehn
Hiebe zuzudictiren und, sofern er daran Vergnügen finden sollte, die Execution
sofort mit eigener Hand zu vollziehen. Dabei würde es keinen Unterschied
machen, ob durch das sogenannte Dienstvergehen sein eigenes materielles Inter¬
esse berührt wird oder nicht; nur Beleidigungen gegen seine Person oder
gegen Mitglieder seiner Familie würden seiner polizeirichterlichen Strafgewalt
entzogen bleiben. Man braucht sich nur die Leidenschaftlichkeit, Rohheit und
Bornirtheit zu vergegenwärtigen, welche in einzelnen von diesen Gutsbesitzern
sich personificirt, um die ganze Größe der Gefahr zu ermessen, mit welcher
dieser Gesetzentwurf die arbeitende Classe in den Rittergütern bedroht, eine Ge¬
fahr freilich, welche nicht minder ernst an diejenigen, die solchen Samen aus¬
säen und die daraus emporkeimende Erbitterung zu verantworten haben, und
an das gesammte Staatswesen herantritt.

Die vier andern landschaftlichen Mitglieder des Comitö trugen doch Be¬
denken, einem Gesetze der vorliegenden Art ihre unbedingte Zustimmung zu
schenken. Drei von ihnen, die Bürgermeister schlaaff aus Crivitz, Hermes aus
nobel und Adlers aus Neubrandenburg, machten auf den Mangel einer Be¬
stimmung des Begriffes "Dienstvergehen" in dem Gesetzentwurf aufmerksam
und beantragten dessen Ablehnung bis nach Ergänzung dieser Lücke; eventuell
aber verlangten sie eine Modification, durch welche die Kompetenz des Guts¬
herrn in den Fällen des eigenen Interesses an der Sache ausgeschlossen würde.
Auch das vierte Mitglied der Minorität, Syndicus Meyer .aus Rostock, ver¬
langte, wenn die Gutsherren nicht die eigene Ausübung der gutsobrigkeitlichen
Rechte in Fällen von Dienstvergehen ganz allgemein aufgeben wollten, daß
ihrer Competenz wenigstens solche Dienstvergehen entzogen würden, welche ihr
eigenes Interesse und das ihrer Familienmitglieder berühren.

Bei der Verhandlung trat wiederum August Pogge auf Poelitz, der einzige
in der ganzen Ritterschaft, mit einer warmen Vertheidigung der Arbeiterclasse
gegen das ihre Freiheit bedrohende Gesetz hervor. Der Besitz eines Gutes
hänge nur von hinlänglichen Geldmitteln, nicht von juristischer Bildung und
richterlicher Befähigung ab, und es habe daher keinen Sinn, dem Gutsbesitzer
eine richterliche Stellung einzuräumen. In Preußen hätten zwar die Gutsherrn
auch eine Polizeigewalt, aber dieselbe sei dort scharf begrenzt und werde genau
controlirt, durch den Landrath, durch die Regierungen, durch den Staatsanwalt.
Die Gutseinwohner lebten dort in größerer Unabhängigkeit und könnten sich
durch die bestehende Freizügigkeit und durch den leichteren Erwerb von Grund¬
besitz einem vermeintlichen Drucke unschwer entziehen. In Mecklenburg aber
sollte jetzt zu der ohnehin großen Abhängigkeit, in welcher bei der mangelnden


Vergehens macht, über die Leute auf seinem Gut zu Gericht zu sitzen, und seinen
Knechten und Mägden, seinen verheiratheten Gutstagelöhnern und deren Frauen
und Kindern, auch den bei ihm arbeitenden Fremden nach der Reihe fünfzehn
Hiebe zuzudictiren und, sofern er daran Vergnügen finden sollte, die Execution
sofort mit eigener Hand zu vollziehen. Dabei würde es keinen Unterschied
machen, ob durch das sogenannte Dienstvergehen sein eigenes materielles Inter¬
esse berührt wird oder nicht; nur Beleidigungen gegen seine Person oder
gegen Mitglieder seiner Familie würden seiner polizeirichterlichen Strafgewalt
entzogen bleiben. Man braucht sich nur die Leidenschaftlichkeit, Rohheit und
Bornirtheit zu vergegenwärtigen, welche in einzelnen von diesen Gutsbesitzern
sich personificirt, um die ganze Größe der Gefahr zu ermessen, mit welcher
dieser Gesetzentwurf die arbeitende Classe in den Rittergütern bedroht, eine Ge¬
fahr freilich, welche nicht minder ernst an diejenigen, die solchen Samen aus¬
säen und die daraus emporkeimende Erbitterung zu verantworten haben, und
an das gesammte Staatswesen herantritt.

Die vier andern landschaftlichen Mitglieder des Comitö trugen doch Be¬
denken, einem Gesetze der vorliegenden Art ihre unbedingte Zustimmung zu
schenken. Drei von ihnen, die Bürgermeister schlaaff aus Crivitz, Hermes aus
nobel und Adlers aus Neubrandenburg, machten auf den Mangel einer Be¬
stimmung des Begriffes „Dienstvergehen" in dem Gesetzentwurf aufmerksam
und beantragten dessen Ablehnung bis nach Ergänzung dieser Lücke; eventuell
aber verlangten sie eine Modification, durch welche die Kompetenz des Guts¬
herrn in den Fällen des eigenen Interesses an der Sache ausgeschlossen würde.
Auch das vierte Mitglied der Minorität, Syndicus Meyer .aus Rostock, ver¬
langte, wenn die Gutsherren nicht die eigene Ausübung der gutsobrigkeitlichen
Rechte in Fällen von Dienstvergehen ganz allgemein aufgeben wollten, daß
ihrer Competenz wenigstens solche Dienstvergehen entzogen würden, welche ihr
eigenes Interesse und das ihrer Familienmitglieder berühren.

Bei der Verhandlung trat wiederum August Pogge auf Poelitz, der einzige
in der ganzen Ritterschaft, mit einer warmen Vertheidigung der Arbeiterclasse
gegen das ihre Freiheit bedrohende Gesetz hervor. Der Besitz eines Gutes
hänge nur von hinlänglichen Geldmitteln, nicht von juristischer Bildung und
richterlicher Befähigung ab, und es habe daher keinen Sinn, dem Gutsbesitzer
eine richterliche Stellung einzuräumen. In Preußen hätten zwar die Gutsherrn
auch eine Polizeigewalt, aber dieselbe sei dort scharf begrenzt und werde genau
controlirt, durch den Landrath, durch die Regierungen, durch den Staatsanwalt.
Die Gutseinwohner lebten dort in größerer Unabhängigkeit und könnten sich
durch die bestehende Freizügigkeit und durch den leichteren Erwerb von Grund¬
besitz einem vermeintlichen Drucke unschwer entziehen. In Mecklenburg aber
sollte jetzt zu der ohnehin großen Abhängigkeit, in welcher bei der mangelnden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/382>, abgerufen am 24.07.2024.