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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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zwar recht löblich, wenn die Herren Zuschauer, wie der Fräser behauptet, sich
durch Wegtragen der Verwundeten bei Gefechten nützlich machen wollten, aber
es gäbe auch das Sprichwort: "Woh deiniö Amts nicht ist, do loß telum
Vorwitz." Im weiteren Verlauf seiner Rede setzte der Herr Lieutenant diesem
neuen und artigen Sprichwort noch das ebenso neue, artige und tröstliche
"Wer sich in Gfohr begiebt, kommt halt dorin um" passend zur Seite und
überließ uns dann unsern Betrachtungen.

Ich gelangte durch dieselbe jetzt bald zu dem Resultat, daß man uns nicht
als verdächtig, sondern nur deshalb festhielt, damit wir nicht zur Verbreitung
der Kunde von der großen Bewegung gegen die mittle und östliche Schlei bei¬
tragen sollten, und nur daß wir über die Vorpvstent'edle hinausgerathen waren,
machte noch einige Sorge. Indeß hatte man uns preußischerseits davon nicht
abgehalten, und so sahen wir der Ankunft des gestrengen Herrn Generals
weniger mit Bangen, als mit Sehnsucht entgegen. Derselbe ließ jedoch über
eine Stunde auf sich warten, und wir hatten inzwischen reichliche Gelegenheit,
zwischen den uns umgebenden östreichischen Soldaten und den am Morgen ge¬
sehenen preußischen Bataillonen Vergleiche anzustellen. Diese Vergleiche bestärk¬
ten entschieden in der frühern Ansicht über die Natur der beiden Heere. Die
Preußen erschienen strammer, solider, kerniger, die Oestreicher leichter und be¬
weglicher, die Jäger namentlich fast zuavenhaft. Aber auch noch eine andere
Beobachtung drängte sich mehr und mehr auf. Diese östreichischen Jäger, Mus¬
ketiere und Reiter hatten sehr wenige deutsche Physiognomien unter sich, die
Mehrzahl gehörte ganz besonders häßlichen östlichen Ra^en an, und wiederholt
sah ich Gesichter, die an die Beschreibungen der Hunnen erinnerten, während
unter den Preußen und zwar unter Brandenburgern wie Westphalen, nur sehr
selten urgermanische Züge, häufig der reinste deutsche Typus und ungemein
oft ein selbstbewußtes intelligentes Wesen auftraten, welches letztere unter den
östreichischen Soldaten unendlich viel seltener zu bemerken war. Unter diesen
war der Einzelne weit mehr Glied der Masse des Regiments oder Bataillons,
unter den Preußen trotz der Disciplin und der Montur Individuum.

Unsre Geduld war bei dem scharfen Winde, der über die Chaussee herstrich
so ziemlich auf dem Gefrierpunkt angelangt, als endlich der grüne Federbusch des
Generals Dormus langsam von Fleckeby her auf uns zukam. Neben ihm ritt
ein Adjutant in einem langen ungarischen Pelze, hinter beiden ein preußischer
Kürassierlieutenant mit zwei Mann seines Regiments. Ich gehe wohl nicht irre,
Wenn ich vermuthe, daß jeder von uns acht Herren eine kleine Rede aus der
Zunge hatte, kurz, wie sichs dem Militär gegenüber ziemt, wohlstilisirt, über
die Personalien des Sprechers vollkommen befriedigendes Licht Verbreitend. Aber
wie kurz jede dieser Explicationen auch sein mochte, nicht einmal dazu gab uns
das grausame Oestreich Gelegenheit. Der General hielt sein Pferd vor uns


zwar recht löblich, wenn die Herren Zuschauer, wie der Fräser behauptet, sich
durch Wegtragen der Verwundeten bei Gefechten nützlich machen wollten, aber
es gäbe auch das Sprichwort: „Woh deiniö Amts nicht ist, do loß telum
Vorwitz." Im weiteren Verlauf seiner Rede setzte der Herr Lieutenant diesem
neuen und artigen Sprichwort noch das ebenso neue, artige und tröstliche
„Wer sich in Gfohr begiebt, kommt halt dorin um" passend zur Seite und
überließ uns dann unsern Betrachtungen.

Ich gelangte durch dieselbe jetzt bald zu dem Resultat, daß man uns nicht
als verdächtig, sondern nur deshalb festhielt, damit wir nicht zur Verbreitung
der Kunde von der großen Bewegung gegen die mittle und östliche Schlei bei¬
tragen sollten, und nur daß wir über die Vorpvstent'edle hinausgerathen waren,
machte noch einige Sorge. Indeß hatte man uns preußischerseits davon nicht
abgehalten, und so sahen wir der Ankunft des gestrengen Herrn Generals
weniger mit Bangen, als mit Sehnsucht entgegen. Derselbe ließ jedoch über
eine Stunde auf sich warten, und wir hatten inzwischen reichliche Gelegenheit,
zwischen den uns umgebenden östreichischen Soldaten und den am Morgen ge¬
sehenen preußischen Bataillonen Vergleiche anzustellen. Diese Vergleiche bestärk¬
ten entschieden in der frühern Ansicht über die Natur der beiden Heere. Die
Preußen erschienen strammer, solider, kerniger, die Oestreicher leichter und be¬
weglicher, die Jäger namentlich fast zuavenhaft. Aber auch noch eine andere
Beobachtung drängte sich mehr und mehr auf. Diese östreichischen Jäger, Mus¬
ketiere und Reiter hatten sehr wenige deutsche Physiognomien unter sich, die
Mehrzahl gehörte ganz besonders häßlichen östlichen Ra^en an, und wiederholt
sah ich Gesichter, die an die Beschreibungen der Hunnen erinnerten, während
unter den Preußen und zwar unter Brandenburgern wie Westphalen, nur sehr
selten urgermanische Züge, häufig der reinste deutsche Typus und ungemein
oft ein selbstbewußtes intelligentes Wesen auftraten, welches letztere unter den
östreichischen Soldaten unendlich viel seltener zu bemerken war. Unter diesen
war der Einzelne weit mehr Glied der Masse des Regiments oder Bataillons,
unter den Preußen trotz der Disciplin und der Montur Individuum.

Unsre Geduld war bei dem scharfen Winde, der über die Chaussee herstrich
so ziemlich auf dem Gefrierpunkt angelangt, als endlich der grüne Federbusch des
Generals Dormus langsam von Fleckeby her auf uns zukam. Neben ihm ritt
ein Adjutant in einem langen ungarischen Pelze, hinter beiden ein preußischer
Kürassierlieutenant mit zwei Mann seines Regiments. Ich gehe wohl nicht irre,
Wenn ich vermuthe, daß jeder von uns acht Herren eine kleine Rede aus der
Zunge hatte, kurz, wie sichs dem Militär gegenüber ziemt, wohlstilisirt, über
die Personalien des Sprechers vollkommen befriedigendes Licht Verbreitend. Aber
wie kurz jede dieser Explicationen auch sein mochte, nicht einmal dazu gab uns
das grausame Oestreich Gelegenheit. Der General hielt sein Pferd vor uns


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[0346] zwar recht löblich, wenn die Herren Zuschauer, wie der Fräser behauptet, sich durch Wegtragen der Verwundeten bei Gefechten nützlich machen wollten, aber es gäbe auch das Sprichwort: „Woh deiniö Amts nicht ist, do loß telum Vorwitz." Im weiteren Verlauf seiner Rede setzte der Herr Lieutenant diesem neuen und artigen Sprichwort noch das ebenso neue, artige und tröstliche „Wer sich in Gfohr begiebt, kommt halt dorin um" passend zur Seite und überließ uns dann unsern Betrachtungen. Ich gelangte durch dieselbe jetzt bald zu dem Resultat, daß man uns nicht als verdächtig, sondern nur deshalb festhielt, damit wir nicht zur Verbreitung der Kunde von der großen Bewegung gegen die mittle und östliche Schlei bei¬ tragen sollten, und nur daß wir über die Vorpvstent'edle hinausgerathen waren, machte noch einige Sorge. Indeß hatte man uns preußischerseits davon nicht abgehalten, und so sahen wir der Ankunft des gestrengen Herrn Generals weniger mit Bangen, als mit Sehnsucht entgegen. Derselbe ließ jedoch über eine Stunde auf sich warten, und wir hatten inzwischen reichliche Gelegenheit, zwischen den uns umgebenden östreichischen Soldaten und den am Morgen ge¬ sehenen preußischen Bataillonen Vergleiche anzustellen. Diese Vergleiche bestärk¬ ten entschieden in der frühern Ansicht über die Natur der beiden Heere. Die Preußen erschienen strammer, solider, kerniger, die Oestreicher leichter und be¬ weglicher, die Jäger namentlich fast zuavenhaft. Aber auch noch eine andere Beobachtung drängte sich mehr und mehr auf. Diese östreichischen Jäger, Mus¬ ketiere und Reiter hatten sehr wenige deutsche Physiognomien unter sich, die Mehrzahl gehörte ganz besonders häßlichen östlichen Ra^en an, und wiederholt sah ich Gesichter, die an die Beschreibungen der Hunnen erinnerten, während unter den Preußen und zwar unter Brandenburgern wie Westphalen, nur sehr selten urgermanische Züge, häufig der reinste deutsche Typus und ungemein oft ein selbstbewußtes intelligentes Wesen auftraten, welches letztere unter den östreichischen Soldaten unendlich viel seltener zu bemerken war. Unter diesen war der Einzelne weit mehr Glied der Masse des Regiments oder Bataillons, unter den Preußen trotz der Disciplin und der Montur Individuum. Unsre Geduld war bei dem scharfen Winde, der über die Chaussee herstrich so ziemlich auf dem Gefrierpunkt angelangt, als endlich der grüne Federbusch des Generals Dormus langsam von Fleckeby her auf uns zukam. Neben ihm ritt ein Adjutant in einem langen ungarischen Pelze, hinter beiden ein preußischer Kürassierlieutenant mit zwei Mann seines Regiments. Ich gehe wohl nicht irre, Wenn ich vermuthe, daß jeder von uns acht Herren eine kleine Rede aus der Zunge hatte, kurz, wie sichs dem Militär gegenüber ziemt, wohlstilisirt, über die Personalien des Sprechers vollkommen befriedigendes Licht Verbreitend. Aber wie kurz jede dieser Explicationen auch sein mochte, nicht einmal dazu gab uns das grausame Oestreich Gelegenheit. Der General hielt sein Pferd vor uns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/346>, abgerufen am 24.07.2024.