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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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drönen Dragoner folgten, eine Truppencolonne, die sich wie eine lange graue
Schlange, von Bajonneten blinkend lautlos zwischen den schneebedeckten Hügeln
und über dieselben hinwand. Es war die Brigade Dormus, ein Theil der
großen Truppenbewegung von Westen nach Osten, durchweiche die Dannewerk-
stellung umgangen werden sollte.

Nachdem wir an den ersten Jägern vorübergeschritten, begegneten wir
einem berittenen Offizier. Derselbe fixirte uns einen Augenblick und fragte
dann: "Wo kommen die Herren her?" -- "Von Fleckeby", war unsere Ant¬
wort. -- "So bringen Sie", hieß es darauf, zu unsrer nicht geringen Ver¬
wunderung, indem der Offizier sich an einen Korporal wendete, "die Herren
dahin, wo die andern sind." Der Unteroffizier führte uns, nachdem er zwei
Mann hinter uns postirt, in den Zwischenraum zwischen dem Jägerbataillon
und dem Musikchor der Linieninfanterie, wo wir vier andere Herren von Civil
antrafen, welche ein Stück weiter westlich angehalten und mitgenommen wor¬
den waren. Sie lächelten verlegen, als sie unsrer ansichtig wurden, und wu߬
ten so wenig wie wir, was das bedeuten sollte. Ich dachte zunächst, man
wollte uns als Wegweiser benutzen; denn ich fand, daß die östreichischen Offi¬
ziere schlecht mit Karten versehen waren. Dann präsentirte sich aus der Erin¬
nerung das Bild der gestern in Eckernförde eingebrachten Spione, dahinter der
Schatten eines schnurrbärtigen Kriegsgerichts und weiterhin ein Sandhaufen.
Doch nur für einen Augenblick. Wir hatten, wenn wir gefehlt, jedenfalls un¬
wissentlich gefehlt. In Fleckeby würde man uns -- so stellte ich mir die nächste
Zukunft vor -- in das Gasthaus bringen, uns nach Namen und Herkunft
fragen, die schöne sächsische Paßkarte in meiner Brusttasche würde ihre Wir¬
kung thun, auch die Begleiter würden sich ausweisen und man würde uns mit
einer Entschuldigung, so respectvolle Leute einen Augenblick angezweifelt zu
haben, in Gottes Namen gehen lassen.

Ungefähr das Gegentheil von dem Allem war der Fall. Das Jäger¬
bataillon (es war das 22.) marschirte durch Fleckeby hindurch und bis in die
Nähe von Holm, wo es Halt machte, und in eine Koppel ging, um ein paar
Stunden zu rasten. Die Infanterie (es war das Regiment Khevenhüller) blieb
in der Nähe von Fleckeby zurück. Uns ließ man mit unsrer Wache auf der
Chaussee neben der Koppel stehen, auf welcher die Jäger sich gelagert. Die
Wache, die jeden unsrer Schritte im Auge hatte, deutete an, der General werde
über uns entscheiden. Ein Offizier, an den sich einer von uns wendete, um
ihm seine Unschuld auseinanderzusetzen, erwies sich als der unrechte Ort für
solche Appellation. Es wäre freilich etwas unbequem in dem schneidenden
Winde lange auf der Straße stehen zu müssen, aber sie hätten seit drei Tagen
desgleichen gethan. Es gäbe viele Spione in der Gegend, erst gestern hätten
sie etliche erschossen, und man könnte nicht wissen--übrigens wäre es


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drönen Dragoner folgten, eine Truppencolonne, die sich wie eine lange graue
Schlange, von Bajonneten blinkend lautlos zwischen den schneebedeckten Hügeln
und über dieselben hinwand. Es war die Brigade Dormus, ein Theil der
großen Truppenbewegung von Westen nach Osten, durchweiche die Dannewerk-
stellung umgangen werden sollte.

Nachdem wir an den ersten Jägern vorübergeschritten, begegneten wir
einem berittenen Offizier. Derselbe fixirte uns einen Augenblick und fragte
dann: „Wo kommen die Herren her?" — „Von Fleckeby", war unsere Ant¬
wort. — „So bringen Sie", hieß es darauf, zu unsrer nicht geringen Ver¬
wunderung, indem der Offizier sich an einen Korporal wendete, „die Herren
dahin, wo die andern sind." Der Unteroffizier führte uns, nachdem er zwei
Mann hinter uns postirt, in den Zwischenraum zwischen dem Jägerbataillon
und dem Musikchor der Linieninfanterie, wo wir vier andere Herren von Civil
antrafen, welche ein Stück weiter westlich angehalten und mitgenommen wor¬
den waren. Sie lächelten verlegen, als sie unsrer ansichtig wurden, und wu߬
ten so wenig wie wir, was das bedeuten sollte. Ich dachte zunächst, man
wollte uns als Wegweiser benutzen; denn ich fand, daß die östreichischen Offi¬
ziere schlecht mit Karten versehen waren. Dann präsentirte sich aus der Erin¬
nerung das Bild der gestern in Eckernförde eingebrachten Spione, dahinter der
Schatten eines schnurrbärtigen Kriegsgerichts und weiterhin ein Sandhaufen.
Doch nur für einen Augenblick. Wir hatten, wenn wir gefehlt, jedenfalls un¬
wissentlich gefehlt. In Fleckeby würde man uns — so stellte ich mir die nächste
Zukunft vor — in das Gasthaus bringen, uns nach Namen und Herkunft
fragen, die schöne sächsische Paßkarte in meiner Brusttasche würde ihre Wir¬
kung thun, auch die Begleiter würden sich ausweisen und man würde uns mit
einer Entschuldigung, so respectvolle Leute einen Augenblick angezweifelt zu
haben, in Gottes Namen gehen lassen.

Ungefähr das Gegentheil von dem Allem war der Fall. Das Jäger¬
bataillon (es war das 22.) marschirte durch Fleckeby hindurch und bis in die
Nähe von Holm, wo es Halt machte, und in eine Koppel ging, um ein paar
Stunden zu rasten. Die Infanterie (es war das Regiment Khevenhüller) blieb
in der Nähe von Fleckeby zurück. Uns ließ man mit unsrer Wache auf der
Chaussee neben der Koppel stehen, auf welcher die Jäger sich gelagert. Die
Wache, die jeden unsrer Schritte im Auge hatte, deutete an, der General werde
über uns entscheiden. Ein Offizier, an den sich einer von uns wendete, um
ihm seine Unschuld auseinanderzusetzen, erwies sich als der unrechte Ort für
solche Appellation. Es wäre freilich etwas unbequem in dem schneidenden
Winde lange auf der Straße stehen zu müssen, aber sie hätten seit drei Tagen
desgleichen gethan. Es gäbe viele Spione in der Gegend, erst gestern hätten
sie etliche erschossen, und man könnte nicht wissen--übrigens wäre es


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[0345] drönen Dragoner folgten, eine Truppencolonne, die sich wie eine lange graue Schlange, von Bajonneten blinkend lautlos zwischen den schneebedeckten Hügeln und über dieselben hinwand. Es war die Brigade Dormus, ein Theil der großen Truppenbewegung von Westen nach Osten, durchweiche die Dannewerk- stellung umgangen werden sollte. Nachdem wir an den ersten Jägern vorübergeschritten, begegneten wir einem berittenen Offizier. Derselbe fixirte uns einen Augenblick und fragte dann: „Wo kommen die Herren her?" — „Von Fleckeby", war unsere Ant¬ wort. — „So bringen Sie", hieß es darauf, zu unsrer nicht geringen Ver¬ wunderung, indem der Offizier sich an einen Korporal wendete, „die Herren dahin, wo die andern sind." Der Unteroffizier führte uns, nachdem er zwei Mann hinter uns postirt, in den Zwischenraum zwischen dem Jägerbataillon und dem Musikchor der Linieninfanterie, wo wir vier andere Herren von Civil antrafen, welche ein Stück weiter westlich angehalten und mitgenommen wor¬ den waren. Sie lächelten verlegen, als sie unsrer ansichtig wurden, und wu߬ ten so wenig wie wir, was das bedeuten sollte. Ich dachte zunächst, man wollte uns als Wegweiser benutzen; denn ich fand, daß die östreichischen Offi¬ ziere schlecht mit Karten versehen waren. Dann präsentirte sich aus der Erin¬ nerung das Bild der gestern in Eckernförde eingebrachten Spione, dahinter der Schatten eines schnurrbärtigen Kriegsgerichts und weiterhin ein Sandhaufen. Doch nur für einen Augenblick. Wir hatten, wenn wir gefehlt, jedenfalls un¬ wissentlich gefehlt. In Fleckeby würde man uns — so stellte ich mir die nächste Zukunft vor — in das Gasthaus bringen, uns nach Namen und Herkunft fragen, die schöne sächsische Paßkarte in meiner Brusttasche würde ihre Wir¬ kung thun, auch die Begleiter würden sich ausweisen und man würde uns mit einer Entschuldigung, so respectvolle Leute einen Augenblick angezweifelt zu haben, in Gottes Namen gehen lassen. Ungefähr das Gegentheil von dem Allem war der Fall. Das Jäger¬ bataillon (es war das 22.) marschirte durch Fleckeby hindurch und bis in die Nähe von Holm, wo es Halt machte, und in eine Koppel ging, um ein paar Stunden zu rasten. Die Infanterie (es war das Regiment Khevenhüller) blieb in der Nähe von Fleckeby zurück. Uns ließ man mit unsrer Wache auf der Chaussee neben der Koppel stehen, auf welcher die Jäger sich gelagert. Die Wache, die jeden unsrer Schritte im Auge hatte, deutete an, der General werde über uns entscheiden. Ein Offizier, an den sich einer von uns wendete, um ihm seine Unschuld auseinanderzusetzen, erwies sich als der unrechte Ort für solche Appellation. Es wäre freilich etwas unbequem in dem schneidenden Winde lange auf der Straße stehen zu müssen, aber sie hätten seit drei Tagen desgleichen gethan. Es gäbe viele Spione in der Gegend, erst gestern hätten sie etliche erschossen, und man könnte nicht wissen--übrigens wäre es 43*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/345>, abgerufen am 24.07.2024.