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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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einem Freitag meines Lebens aber o^er" Kriegsgefangener zu werden, hätte ich
mir nicht träumen lassen. Doch greifen wir der Entwickelung der Dinge
nicht vor.

Aus den Gesprächen der Offiziere vom vorigen Abend und noch mehr aus
der Wegschaffung der eckernförder Fischerboote in der Richtung von Koppeln,
welche nach Einbruch der Dunkelheit stattgefunden, war zu entnehmen, daß am
heutigen Tage der Uebergang über die Schlei versucht werden würde, welcher
der Uneinnchmbarkeit der Dannewerkstellung ein Ende machen sollte. Diesem
Uebergang beizuwohnen und dann der Armee durch Angeln nach Flensburg zu
folgen, war für uns kaum möglich. Wir beschlossen daher gestern Abend, heute
die Tour nach Missunde von neuem zu versuchen, und wenn sie wieder ver¬
wehrt sein sollte, uns nach dem rechten Flügel der alliirten Armee zu begeben.

Der Morgen war ziemlich rauh, die Tags vorher zu tiefen Kothvächen
aufgethauten Straßen waren wieder gefroren, und zu dem Schnee, der rings
die Felder bedeckte, fiel in großen Flocken neuer vom Himmel. Es mochte
gegen neun Uhr Morgens sein, als wir, zwei eckernförder Bekannte, Dr. Tem-
pcltey und ich, die Stadt auf der Straße nach Schleswig verließen. Ein
fünfter Begleiter kehrte plötzlich an den letzten Häusern um, entweder weil ihm
die Erzählung des Abenteuers, welches unsre beiden Eckernförder mit dem Major
v. Krohn gehabt, Bedenken erweckte, oder weil er eine Ahnung von dem hatte,
was uns bevorstand. Wir andern mußten bald Halt machen, da uns eine
lange Colonne preußischer Truppen und Geschütze entgegenkam, welche die ganze
Landstraße füllte. Die kräftigen Gestalten, die blinkenden Pickelhauben und
Bajonnete machten den vortheilhaftesten Eindruck. Sehr hübsch putzte der Schnee,
der an ihnen haftete, diesen Ausschnitt aus dem eigenthümlichen Bilde eines
Winterfeldzugs. singend und grüßend zogen sie vorüber und verschwanden
zwischen den Hecken, welche die Straße nach Koppeln zu beiden Seiten einfassen.

Wir schritten munter in der Richtung von Schleswig weiter, erfuhren in
der Nähe von Grasholz, daß jetzt nicht blos der Zutritt zum Kirchhof von
Kösel, sondern auch der Eingang ins Dorf selbst von den Preußen gesperrt,
also an einen Abstecher in die Nachbarschaft von Missunde nicht zu denken sei,
und setzten unter diesen Umständen den Weg aus der Chaussee nach Schleswig
fort, um den Oestreichern bei Oberselk und Fahrdorf einen Besuch abzustatten.

Zwischen Schnab und Birkensee trafen wir rechts von der Straße ein
Lager preußischer Infanterie. Auf einer schneebedeckten Koppel brannten ein
Paar Dutzend Feuer, um welche auf Stroh Gruppen von Soldaten saßen und
lagen. Die Gewehre waren zum Theil in Pyramiden zusammengestellt. An
einer Stelle schenkte der Marketender Kaffee aus. Wir erfuhren, daß die Truppen
schon die dritte Nacht im Freien bivouakirt. Weder die gute Laune noch die
Gesundheit der Leute schien darunter gelitten zu haben, dagegen waren die


Wrenzboten I. 1864. , 43

einem Freitag meines Lebens aber o^er« Kriegsgefangener zu werden, hätte ich
mir nicht träumen lassen. Doch greifen wir der Entwickelung der Dinge
nicht vor.

Aus den Gesprächen der Offiziere vom vorigen Abend und noch mehr aus
der Wegschaffung der eckernförder Fischerboote in der Richtung von Koppeln,
welche nach Einbruch der Dunkelheit stattgefunden, war zu entnehmen, daß am
heutigen Tage der Uebergang über die Schlei versucht werden würde, welcher
der Uneinnchmbarkeit der Dannewerkstellung ein Ende machen sollte. Diesem
Uebergang beizuwohnen und dann der Armee durch Angeln nach Flensburg zu
folgen, war für uns kaum möglich. Wir beschlossen daher gestern Abend, heute
die Tour nach Missunde von neuem zu versuchen, und wenn sie wieder ver¬
wehrt sein sollte, uns nach dem rechten Flügel der alliirten Armee zu begeben.

Der Morgen war ziemlich rauh, die Tags vorher zu tiefen Kothvächen
aufgethauten Straßen waren wieder gefroren, und zu dem Schnee, der rings
die Felder bedeckte, fiel in großen Flocken neuer vom Himmel. Es mochte
gegen neun Uhr Morgens sein, als wir, zwei eckernförder Bekannte, Dr. Tem-
pcltey und ich, die Stadt auf der Straße nach Schleswig verließen. Ein
fünfter Begleiter kehrte plötzlich an den letzten Häusern um, entweder weil ihm
die Erzählung des Abenteuers, welches unsre beiden Eckernförder mit dem Major
v. Krohn gehabt, Bedenken erweckte, oder weil er eine Ahnung von dem hatte,
was uns bevorstand. Wir andern mußten bald Halt machen, da uns eine
lange Colonne preußischer Truppen und Geschütze entgegenkam, welche die ganze
Landstraße füllte. Die kräftigen Gestalten, die blinkenden Pickelhauben und
Bajonnete machten den vortheilhaftesten Eindruck. Sehr hübsch putzte der Schnee,
der an ihnen haftete, diesen Ausschnitt aus dem eigenthümlichen Bilde eines
Winterfeldzugs. singend und grüßend zogen sie vorüber und verschwanden
zwischen den Hecken, welche die Straße nach Koppeln zu beiden Seiten einfassen.

Wir schritten munter in der Richtung von Schleswig weiter, erfuhren in
der Nähe von Grasholz, daß jetzt nicht blos der Zutritt zum Kirchhof von
Kösel, sondern auch der Eingang ins Dorf selbst von den Preußen gesperrt,
also an einen Abstecher in die Nachbarschaft von Missunde nicht zu denken sei,
und setzten unter diesen Umständen den Weg aus der Chaussee nach Schleswig
fort, um den Oestreichern bei Oberselk und Fahrdorf einen Besuch abzustatten.

Zwischen Schnab und Birkensee trafen wir rechts von der Straße ein
Lager preußischer Infanterie. Auf einer schneebedeckten Koppel brannten ein
Paar Dutzend Feuer, um welche auf Stroh Gruppen von Soldaten saßen und
lagen. Die Gewehre waren zum Theil in Pyramiden zusammengestellt. An
einer Stelle schenkte der Marketender Kaffee aus. Wir erfuhren, daß die Truppen
schon die dritte Nacht im Freien bivouakirt. Weder die gute Laune noch die
Gesundheit der Leute schien darunter gelitten zu haben, dagegen waren die


Wrenzboten I. 1864. , 43
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[0343] einem Freitag meines Lebens aber o^er« Kriegsgefangener zu werden, hätte ich mir nicht träumen lassen. Doch greifen wir der Entwickelung der Dinge nicht vor. Aus den Gesprächen der Offiziere vom vorigen Abend und noch mehr aus der Wegschaffung der eckernförder Fischerboote in der Richtung von Koppeln, welche nach Einbruch der Dunkelheit stattgefunden, war zu entnehmen, daß am heutigen Tage der Uebergang über die Schlei versucht werden würde, welcher der Uneinnchmbarkeit der Dannewerkstellung ein Ende machen sollte. Diesem Uebergang beizuwohnen und dann der Armee durch Angeln nach Flensburg zu folgen, war für uns kaum möglich. Wir beschlossen daher gestern Abend, heute die Tour nach Missunde von neuem zu versuchen, und wenn sie wieder ver¬ wehrt sein sollte, uns nach dem rechten Flügel der alliirten Armee zu begeben. Der Morgen war ziemlich rauh, die Tags vorher zu tiefen Kothvächen aufgethauten Straßen waren wieder gefroren, und zu dem Schnee, der rings die Felder bedeckte, fiel in großen Flocken neuer vom Himmel. Es mochte gegen neun Uhr Morgens sein, als wir, zwei eckernförder Bekannte, Dr. Tem- pcltey und ich, die Stadt auf der Straße nach Schleswig verließen. Ein fünfter Begleiter kehrte plötzlich an den letzten Häusern um, entweder weil ihm die Erzählung des Abenteuers, welches unsre beiden Eckernförder mit dem Major v. Krohn gehabt, Bedenken erweckte, oder weil er eine Ahnung von dem hatte, was uns bevorstand. Wir andern mußten bald Halt machen, da uns eine lange Colonne preußischer Truppen und Geschütze entgegenkam, welche die ganze Landstraße füllte. Die kräftigen Gestalten, die blinkenden Pickelhauben und Bajonnete machten den vortheilhaftesten Eindruck. Sehr hübsch putzte der Schnee, der an ihnen haftete, diesen Ausschnitt aus dem eigenthümlichen Bilde eines Winterfeldzugs. singend und grüßend zogen sie vorüber und verschwanden zwischen den Hecken, welche die Straße nach Koppeln zu beiden Seiten einfassen. Wir schritten munter in der Richtung von Schleswig weiter, erfuhren in der Nähe von Grasholz, daß jetzt nicht blos der Zutritt zum Kirchhof von Kösel, sondern auch der Eingang ins Dorf selbst von den Preußen gesperrt, also an einen Abstecher in die Nachbarschaft von Missunde nicht zu denken sei, und setzten unter diesen Umständen den Weg aus der Chaussee nach Schleswig fort, um den Oestreichern bei Oberselk und Fahrdorf einen Besuch abzustatten. Zwischen Schnab und Birkensee trafen wir rechts von der Straße ein Lager preußischer Infanterie. Auf einer schneebedeckten Koppel brannten ein Paar Dutzend Feuer, um welche auf Stroh Gruppen von Soldaten saßen und lagen. Die Gewehre waren zum Theil in Pyramiden zusammengestellt. An einer Stelle schenkte der Marketender Kaffee aus. Wir erfuhren, daß die Truppen schon die dritte Nacht im Freien bivouakirt. Weder die gute Laune noch die Gesundheit der Leute schien darunter gelitten zu haben, dagegen waren die Wrenzboten I. 1864. , 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/343>, abgerufen am 24.07.2024.