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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Ein Ausflug aus den Kriegsschauplatz in Schleswig-Holstein.

1. Von Leipzig nach Kiel. --- Eckernförde und Missunde. --- Gefangenschaft
in der holmer Mühle.

Am Morgen des 2. Februar verließ ich Leipzig, um über Magdeburg und
Hamburg nach den Herzogthümern zu gehen. Zeuge von ihrer Noth und Be¬
drängnis; gewesen, empfand ich jetzt lebhaft den Wunsch, aus der Nähe zu sehen,
wie ihnen die Sonne besserer Zeiten ausging. Der Abend des Tages vor
meiner Abreise hatte die Nachricht gebracht, daß der Rubicon überschritten:
Preußen und Oestreicher waren in das Herzogthum Schleswig eingerückt, un¬
geduldig wünschte man sich mitten in ihre Heersäulen, und so war die Lang¬
samkeit der Züge zwischen Magdeburg und Wittenberge doppelt verdrießlich.

In Leipzig hatte der tiefste Frieden geherrscht. Auf der Fahrt zeigten sich
allmälig Spuren, daß Krieg im Lande. Mit jeder Station wurde das Gespräch
im Waggon militärischer. Mit jedem neuen Mitpassagier beinahe stieg, nament¬
lich nördlich von Magdeburg, ein neues Gerücht ein. In Magdeburg schon
hatte ein Schaffner oder Packer den Collegen eine Mittheilung gemacht, die,
aus dem Volksthümlichen übersetzt, besagte, daß Blut geflossen. Zwei oder
drei Stationen weiter wußte man bereits, daß fünfundzwanzig Ulanen gefallen
seien, und noch ein Stück höher hinauf nach Norden Waren's perleberger Ulanen
-- natürlich, da Perleberg die nächste Stadt war. In Wittenberge wurde
dieses Unglück durchweinen Berliner bestätigt, was einem Hamburger Reisegefähr¬
ten Veranlassung gab, seine Befriedigung laut werden zu lassen. "Ist ihnen
ganz gesund, diesen Preußen. Warum lassen sie die Dänen nicht in Ruhe.
Ich bin sonst ein guter Deutscher, aber die mit den Pickelhauben -- nein, ist
ihnen schon recht, wenn sie was Tüchtiges abkriegen."

So gings weiter, aber während unser biederer Republikaner aus Groß-
Krähwinkel noch seinen Freudentanz über die fünfundzwanzig erlegten Friedensstörer
tanzte, kam die folgende Station, die es, als dem Kriegsschauplatz näher ge¬
legen, selbstverständlich besser wissen mußte, und siehe da, jetzt waren's nur
zwei Todte, und zwar sollten es nunmehr Pionniere sein, die eine Brücke über


Grenzboten I. 1864. 42
Ein Ausflug aus den Kriegsschauplatz in Schleswig-Holstein.

1. Von Leipzig nach Kiel. -— Eckernförde und Missunde. —- Gefangenschaft
in der holmer Mühle.

Am Morgen des 2. Februar verließ ich Leipzig, um über Magdeburg und
Hamburg nach den Herzogthümern zu gehen. Zeuge von ihrer Noth und Be¬
drängnis; gewesen, empfand ich jetzt lebhaft den Wunsch, aus der Nähe zu sehen,
wie ihnen die Sonne besserer Zeiten ausging. Der Abend des Tages vor
meiner Abreise hatte die Nachricht gebracht, daß der Rubicon überschritten:
Preußen und Oestreicher waren in das Herzogthum Schleswig eingerückt, un¬
geduldig wünschte man sich mitten in ihre Heersäulen, und so war die Lang¬
samkeit der Züge zwischen Magdeburg und Wittenberge doppelt verdrießlich.

In Leipzig hatte der tiefste Frieden geherrscht. Auf der Fahrt zeigten sich
allmälig Spuren, daß Krieg im Lande. Mit jeder Station wurde das Gespräch
im Waggon militärischer. Mit jedem neuen Mitpassagier beinahe stieg, nament¬
lich nördlich von Magdeburg, ein neues Gerücht ein. In Magdeburg schon
hatte ein Schaffner oder Packer den Collegen eine Mittheilung gemacht, die,
aus dem Volksthümlichen übersetzt, besagte, daß Blut geflossen. Zwei oder
drei Stationen weiter wußte man bereits, daß fünfundzwanzig Ulanen gefallen
seien, und noch ein Stück höher hinauf nach Norden Waren's perleberger Ulanen
— natürlich, da Perleberg die nächste Stadt war. In Wittenberge wurde
dieses Unglück durchweinen Berliner bestätigt, was einem Hamburger Reisegefähr¬
ten Veranlassung gab, seine Befriedigung laut werden zu lassen. „Ist ihnen
ganz gesund, diesen Preußen. Warum lassen sie die Dänen nicht in Ruhe.
Ich bin sonst ein guter Deutscher, aber die mit den Pickelhauben — nein, ist
ihnen schon recht, wenn sie was Tüchtiges abkriegen."

So gings weiter, aber während unser biederer Republikaner aus Groß-
Krähwinkel noch seinen Freudentanz über die fünfundzwanzig erlegten Friedensstörer
tanzte, kam die folgende Station, die es, als dem Kriegsschauplatz näher ge¬
legen, selbstverständlich besser wissen mußte, und siehe da, jetzt waren's nur
zwei Todte, und zwar sollten es nunmehr Pionniere sein, die eine Brücke über


Grenzboten I. 1864. 42
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[0335] Ein Ausflug aus den Kriegsschauplatz in Schleswig-Holstein. 1. Von Leipzig nach Kiel. -— Eckernförde und Missunde. —- Gefangenschaft in der holmer Mühle. Am Morgen des 2. Februar verließ ich Leipzig, um über Magdeburg und Hamburg nach den Herzogthümern zu gehen. Zeuge von ihrer Noth und Be¬ drängnis; gewesen, empfand ich jetzt lebhaft den Wunsch, aus der Nähe zu sehen, wie ihnen die Sonne besserer Zeiten ausging. Der Abend des Tages vor meiner Abreise hatte die Nachricht gebracht, daß der Rubicon überschritten: Preußen und Oestreicher waren in das Herzogthum Schleswig eingerückt, un¬ geduldig wünschte man sich mitten in ihre Heersäulen, und so war die Lang¬ samkeit der Züge zwischen Magdeburg und Wittenberge doppelt verdrießlich. In Leipzig hatte der tiefste Frieden geherrscht. Auf der Fahrt zeigten sich allmälig Spuren, daß Krieg im Lande. Mit jeder Station wurde das Gespräch im Waggon militärischer. Mit jedem neuen Mitpassagier beinahe stieg, nament¬ lich nördlich von Magdeburg, ein neues Gerücht ein. In Magdeburg schon hatte ein Schaffner oder Packer den Collegen eine Mittheilung gemacht, die, aus dem Volksthümlichen übersetzt, besagte, daß Blut geflossen. Zwei oder drei Stationen weiter wußte man bereits, daß fünfundzwanzig Ulanen gefallen seien, und noch ein Stück höher hinauf nach Norden Waren's perleberger Ulanen — natürlich, da Perleberg die nächste Stadt war. In Wittenberge wurde dieses Unglück durchweinen Berliner bestätigt, was einem Hamburger Reisegefähr¬ ten Veranlassung gab, seine Befriedigung laut werden zu lassen. „Ist ihnen ganz gesund, diesen Preußen. Warum lassen sie die Dänen nicht in Ruhe. Ich bin sonst ein guter Deutscher, aber die mit den Pickelhauben — nein, ist ihnen schon recht, wenn sie was Tüchtiges abkriegen." So gings weiter, aber während unser biederer Republikaner aus Groß- Krähwinkel noch seinen Freudentanz über die fünfundzwanzig erlegten Friedensstörer tanzte, kam die folgende Station, die es, als dem Kriegsschauplatz näher ge¬ legen, selbstverständlich besser wissen mußte, und siehe da, jetzt waren's nur zwei Todte, und zwar sollten es nunmehr Pionniere sein, die eine Brücke über Grenzboten I. 1864. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/335>, abgerufen am 24.07.2024.