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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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besten Willen gehabt -- möglich gemacht hätte, eine große sühne Politik zu
ergreifen.

Aber eben hierzu fehlte nicht blos jene, sondern fehlten alle Bedingungen.
In den höheren Regionen bekämpften sich fortwährend entgegengesetzte Ein¬
flüsse. Was die Regierung that, that sie zögernd und halbwillig, und immer
aus die anderen horchend, damit sie ja nie um eine Linie voraus scheine. End¬
lich betheuerte das Ministerium seine besten Absichten, aber es verweigerte rund
die selbständige Anerkennung des Herzogs Friedrich; es war nur dazu zu bringen,
daß es die anfänglichen Skrupel bezüglich der Erbfolge aufgab, das Recht des
Herzogs für begründet erklärte und in diesem Sinn am Bund zu wirken ver¬
sprach. Die Kammer ließ sich mehrmals von enthusiastischen Mitgliedern zu
Ausbrüchen des Dankes an die Regierung hinreißen: am andern Morgen
Pflegte sie sich darauf zu besinnen, wie vorzeitig die Aufwallung ihrer Gefühle
gewesen war.

Nicht viel besser war es an den anderen mittelstaatlichen Höfen. Bayern,
das anfangs die besten Intentionen gezeigt hatte, erlahmte zuerst. Es erschrak
vor seiner eigenen Kühnheit, trat der erregten öffentlichen Meinung mit hem¬
menden Polizcimaßregeln entgegen, und setzte in der kritischsten Zeit durch die
schwachmütigsten officiösen Kundgebungen in Erstaunen. Von dem Beschleu¬
nigungsantrage, den es in der Erbfolge eingebracht hatte, war nicht weiter die
Rede. Die Führerrolle, die man ihm nicht blos in Süddeutschland zugesprochen
hatte, wies es ehrgeizlos zurück. Auf Hannover war nie mit Sicherheit zu
rechnen, so wenig wie auf Kurhessen. Am festesten zeigte sich Sachsen, aber
Hr. v. Beust sah sich bald zu der Erklärung genöthigt, daß an eine selbständige
Action der Mittelstaaten nicht gedacht werden könne,

Als Preußen und Oestreich sich vom Bund lossagten, konnte man zum
mindesten erwarten, daß die Majoritätsstaaten, wenn sie wirklich sich in ihrer
Souveränetät beeinträchtigt fühlten, ungesäumt Schritte zur Organisation ihrer
Kräfte thaten und sich zu einer raschen Verständigung über gemeinsames Handeln
einigten. Aber Wochen lang hörte man nicht einmal von Versuchen, die hierzu
gemacht worden wären. Im Gegentheil wies der Umstand, daß sich die Mittel¬
staaten von Baden und den andern nationalgesinnten Staaten geflissentlich fern
hielten, auf einen geringen Eifer für die nationale Sache hin. Sie standen
vor dem Dilemma: entweder sich rückhaltlos dem Strom der nationalen Be¬
wegung anzuvertrauen oder in den Schutz von Preußen und Oestreich sich zurück¬
zubegeben. Es schien nicht lange zweifelhaft, welche Seite sie als die vermeint¬
lich sicherere vorziehen würden.

Eben nach dem 14. Januar stand nun aber die Erregtheit der öffentlichen
Meinung aus ihrer Höhe. Zu der Sorge für Schleswig-Holstein gesellte sich
das beleidigte Souveränetätsgefühl. Man forderte das Vorangehen der Mittel-


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besten Willen gehabt — möglich gemacht hätte, eine große sühne Politik zu
ergreifen.

Aber eben hierzu fehlte nicht blos jene, sondern fehlten alle Bedingungen.
In den höheren Regionen bekämpften sich fortwährend entgegengesetzte Ein¬
flüsse. Was die Regierung that, that sie zögernd und halbwillig, und immer
aus die anderen horchend, damit sie ja nie um eine Linie voraus scheine. End¬
lich betheuerte das Ministerium seine besten Absichten, aber es verweigerte rund
die selbständige Anerkennung des Herzogs Friedrich; es war nur dazu zu bringen,
daß es die anfänglichen Skrupel bezüglich der Erbfolge aufgab, das Recht des
Herzogs für begründet erklärte und in diesem Sinn am Bund zu wirken ver¬
sprach. Die Kammer ließ sich mehrmals von enthusiastischen Mitgliedern zu
Ausbrüchen des Dankes an die Regierung hinreißen: am andern Morgen
Pflegte sie sich darauf zu besinnen, wie vorzeitig die Aufwallung ihrer Gefühle
gewesen war.

Nicht viel besser war es an den anderen mittelstaatlichen Höfen. Bayern,
das anfangs die besten Intentionen gezeigt hatte, erlahmte zuerst. Es erschrak
vor seiner eigenen Kühnheit, trat der erregten öffentlichen Meinung mit hem¬
menden Polizcimaßregeln entgegen, und setzte in der kritischsten Zeit durch die
schwachmütigsten officiösen Kundgebungen in Erstaunen. Von dem Beschleu¬
nigungsantrage, den es in der Erbfolge eingebracht hatte, war nicht weiter die
Rede. Die Führerrolle, die man ihm nicht blos in Süddeutschland zugesprochen
hatte, wies es ehrgeizlos zurück. Auf Hannover war nie mit Sicherheit zu
rechnen, so wenig wie auf Kurhessen. Am festesten zeigte sich Sachsen, aber
Hr. v. Beust sah sich bald zu der Erklärung genöthigt, daß an eine selbständige
Action der Mittelstaaten nicht gedacht werden könne,

Als Preußen und Oestreich sich vom Bund lossagten, konnte man zum
mindesten erwarten, daß die Majoritätsstaaten, wenn sie wirklich sich in ihrer
Souveränetät beeinträchtigt fühlten, ungesäumt Schritte zur Organisation ihrer
Kräfte thaten und sich zu einer raschen Verständigung über gemeinsames Handeln
einigten. Aber Wochen lang hörte man nicht einmal von Versuchen, die hierzu
gemacht worden wären. Im Gegentheil wies der Umstand, daß sich die Mittel¬
staaten von Baden und den andern nationalgesinnten Staaten geflissentlich fern
hielten, auf einen geringen Eifer für die nationale Sache hin. Sie standen
vor dem Dilemma: entweder sich rückhaltlos dem Strom der nationalen Be¬
wegung anzuvertrauen oder in den Schutz von Preußen und Oestreich sich zurück¬
zubegeben. Es schien nicht lange zweifelhaft, welche Seite sie als die vermeint¬
lich sicherere vorziehen würden.

Eben nach dem 14. Januar stand nun aber die Erregtheit der öffentlichen
Meinung aus ihrer Höhe. Zu der Sorge für Schleswig-Holstein gesellte sich
das beleidigte Souveränetätsgefühl. Man forderte das Vorangehen der Mittel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/329>, abgerufen am 24.07.2024.