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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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wahrt hat, daß der Geist über alle Schwächen des Körpers herrsche. So fertig
steht der Componist in diesem Opus 1 da, so fest und sicher ist er dann mit
jedem neuen Opus seinen ganz eigenen Weg gegangen, daß die Frage, wie er
denn zu einem solchen geworden, ganz aus dem Gesicht gerückt wurde. Daß
Beethoven erst in einem Alter von fünfundzwanzig Jahren als Componist auf¬
trat, daß er vorher in Bonn und Wien gar mancherlei Studien und Versuche
gemacht haben müsse, scheint man im Allgemeinen nicht eben ins Auge gefaßt
zu haben; mindestens ist es auffallend, daß gerade bei einem solchen Künstler
den Jugendarbeiten und dem Bildungsgange so wenig nachgeforscht ist.

Allerdings sind solche vorhanden. Drei Sonaten für Klavier, mit einer
gezierten Dedication an den Kurfürsten Maximilian Friedrich, die Beethoven
später sehr unangenehm war, erschienen 1786; um dieselbe Zeit Varia ti oren
über einen Marsch von Dreßler, und in der voßlerschen Anthologie ein kleines
Rondo für Klavier und ein Lied. Später wurden aus dem Nachlaß gedruckt
drei Quartette für Klavier und Streichinstrumente, welche bereits im Jahr
1785 componirt waren, eine Sonate und Variation.enj für die donner
Jugendfreundin Eleonore v. Breuning geschrieben, und unter den ersten
von ihm selbst publicirten Liedern befinden sich einige, die noch aus Bonn
herrühren. Haben vielleicht diese Werke, die natürlich alle in der Gesammtaus-
gabe ihren Platz finden, das Interesse für die Jugendarbeiten abgeschwächt?
Es wäre nicht eben zu verwundern; denn man findet in ihnen kaum hier und
da Spuren des späteren Beethoven. Sie erregen mehr Erstaunen, daß nach
diesen Anfängen so große Leistungen haben erfolgen können, als daß sie uns
die Keime gewahren ließen, aus denen sie sich entwickeln konnten.

Handschristlich existiren aber noch mehre Jugendarbeiten verschiedener Art
theils aus der donner, theils aus der ersten wiener Zeit. Es findet sich die
vollständige Orchesterpartitur eines Ritter b al le es, welches einen Marsch,
deutschen Gesang, Jagdlied, Minnelied, Trinklied und einen deutschen Tanz ent¬
hält, von Beethoven wahrscheinlich zu Ehren seines großen Gönners, des Grafen
Waldstein componirt, der am 17. Juni 1788 "vom Kurfürsten von Köln als
Hoch- und Deutschmeister, unter den gewöhnlichen Feierlichkeiten den Ritterschlag
als Mitglied des deutschen Ordens erhielt," und der, damals in Bonn, auch
für den Componisten dieses Ballets galt. Ferner eine Baßarie aus Clau-
dine von Villabelle "Mit Mädeln sich vertragen", vermuthlich als Einlage¬
stück componirt, in voller Partitur. Diese Arie war Beethoven in späteren
Jahren nicht abgeneigt noch herauszugeben, sowie auch, wie es scheint, Meta-
stasios Cantate I,g, tsmpeLta, welche er in Form einer ausgeführten Scene
und Arie für Sopran mit Quartettbegleitung, als Uebungsstück, vermuthlich
unter Salieris Anleitung, componirt hat, deren Partitur ebenfalls noch vor¬
handen ist. Außer mehren Liedern sind noch einzelne curiose Sachen da z. B.


wahrt hat, daß der Geist über alle Schwächen des Körpers herrsche. So fertig
steht der Componist in diesem Opus 1 da, so fest und sicher ist er dann mit
jedem neuen Opus seinen ganz eigenen Weg gegangen, daß die Frage, wie er
denn zu einem solchen geworden, ganz aus dem Gesicht gerückt wurde. Daß
Beethoven erst in einem Alter von fünfundzwanzig Jahren als Componist auf¬
trat, daß er vorher in Bonn und Wien gar mancherlei Studien und Versuche
gemacht haben müsse, scheint man im Allgemeinen nicht eben ins Auge gefaßt
zu haben; mindestens ist es auffallend, daß gerade bei einem solchen Künstler
den Jugendarbeiten und dem Bildungsgange so wenig nachgeforscht ist.

Allerdings sind solche vorhanden. Drei Sonaten für Klavier, mit einer
gezierten Dedication an den Kurfürsten Maximilian Friedrich, die Beethoven
später sehr unangenehm war, erschienen 1786; um dieselbe Zeit Varia ti oren
über einen Marsch von Dreßler, und in der voßlerschen Anthologie ein kleines
Rondo für Klavier und ein Lied. Später wurden aus dem Nachlaß gedruckt
drei Quartette für Klavier und Streichinstrumente, welche bereits im Jahr
1785 componirt waren, eine Sonate und Variation.enj für die donner
Jugendfreundin Eleonore v. Breuning geschrieben, und unter den ersten
von ihm selbst publicirten Liedern befinden sich einige, die noch aus Bonn
herrühren. Haben vielleicht diese Werke, die natürlich alle in der Gesammtaus-
gabe ihren Platz finden, das Interesse für die Jugendarbeiten abgeschwächt?
Es wäre nicht eben zu verwundern; denn man findet in ihnen kaum hier und
da Spuren des späteren Beethoven. Sie erregen mehr Erstaunen, daß nach
diesen Anfängen so große Leistungen haben erfolgen können, als daß sie uns
die Keime gewahren ließen, aus denen sie sich entwickeln konnten.

Handschristlich existiren aber noch mehre Jugendarbeiten verschiedener Art
theils aus der donner, theils aus der ersten wiener Zeit. Es findet sich die
vollständige Orchesterpartitur eines Ritter b al le es, welches einen Marsch,
deutschen Gesang, Jagdlied, Minnelied, Trinklied und einen deutschen Tanz ent¬
hält, von Beethoven wahrscheinlich zu Ehren seines großen Gönners, des Grafen
Waldstein componirt, der am 17. Juni 1788 „vom Kurfürsten von Köln als
Hoch- und Deutschmeister, unter den gewöhnlichen Feierlichkeiten den Ritterschlag
als Mitglied des deutschen Ordens erhielt," und der, damals in Bonn, auch
für den Componisten dieses Ballets galt. Ferner eine Baßarie aus Clau-
dine von Villabelle „Mit Mädeln sich vertragen", vermuthlich als Einlage¬
stück componirt, in voller Partitur. Diese Arie war Beethoven in späteren
Jahren nicht abgeneigt noch herauszugeben, sowie auch, wie es scheint, Meta-
stasios Cantate I,g, tsmpeLta, welche er in Form einer ausgeführten Scene
und Arie für Sopran mit Quartettbegleitung, als Uebungsstück, vermuthlich
unter Salieris Anleitung, componirt hat, deren Partitur ebenfalls noch vor¬
handen ist. Außer mehren Liedern sind noch einzelne curiose Sachen da z. B.


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[0317] wahrt hat, daß der Geist über alle Schwächen des Körpers herrsche. So fertig steht der Componist in diesem Opus 1 da, so fest und sicher ist er dann mit jedem neuen Opus seinen ganz eigenen Weg gegangen, daß die Frage, wie er denn zu einem solchen geworden, ganz aus dem Gesicht gerückt wurde. Daß Beethoven erst in einem Alter von fünfundzwanzig Jahren als Componist auf¬ trat, daß er vorher in Bonn und Wien gar mancherlei Studien und Versuche gemacht haben müsse, scheint man im Allgemeinen nicht eben ins Auge gefaßt zu haben; mindestens ist es auffallend, daß gerade bei einem solchen Künstler den Jugendarbeiten und dem Bildungsgange so wenig nachgeforscht ist. Allerdings sind solche vorhanden. Drei Sonaten für Klavier, mit einer gezierten Dedication an den Kurfürsten Maximilian Friedrich, die Beethoven später sehr unangenehm war, erschienen 1786; um dieselbe Zeit Varia ti oren über einen Marsch von Dreßler, und in der voßlerschen Anthologie ein kleines Rondo für Klavier und ein Lied. Später wurden aus dem Nachlaß gedruckt drei Quartette für Klavier und Streichinstrumente, welche bereits im Jahr 1785 componirt waren, eine Sonate und Variation.enj für die donner Jugendfreundin Eleonore v. Breuning geschrieben, und unter den ersten von ihm selbst publicirten Liedern befinden sich einige, die noch aus Bonn herrühren. Haben vielleicht diese Werke, die natürlich alle in der Gesammtaus- gabe ihren Platz finden, das Interesse für die Jugendarbeiten abgeschwächt? Es wäre nicht eben zu verwundern; denn man findet in ihnen kaum hier und da Spuren des späteren Beethoven. Sie erregen mehr Erstaunen, daß nach diesen Anfängen so große Leistungen haben erfolgen können, als daß sie uns die Keime gewahren ließen, aus denen sie sich entwickeln konnten. Handschristlich existiren aber noch mehre Jugendarbeiten verschiedener Art theils aus der donner, theils aus der ersten wiener Zeit. Es findet sich die vollständige Orchesterpartitur eines Ritter b al le es, welches einen Marsch, deutschen Gesang, Jagdlied, Minnelied, Trinklied und einen deutschen Tanz ent¬ hält, von Beethoven wahrscheinlich zu Ehren seines großen Gönners, des Grafen Waldstein componirt, der am 17. Juni 1788 „vom Kurfürsten von Köln als Hoch- und Deutschmeister, unter den gewöhnlichen Feierlichkeiten den Ritterschlag als Mitglied des deutschen Ordens erhielt," und der, damals in Bonn, auch für den Componisten dieses Ballets galt. Ferner eine Baßarie aus Clau- dine von Villabelle „Mit Mädeln sich vertragen", vermuthlich als Einlage¬ stück componirt, in voller Partitur. Diese Arie war Beethoven in späteren Jahren nicht abgeneigt noch herauszugeben, sowie auch, wie es scheint, Meta- stasios Cantate I,g, tsmpeLta, welche er in Form einer ausgeführten Scene und Arie für Sopran mit Quartettbegleitung, als Uebungsstück, vermuthlich unter Salieris Anleitung, componirt hat, deren Partitur ebenfalls noch vor¬ handen ist. Außer mehren Liedern sind noch einzelne curiose Sachen da z. B.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/317>, abgerufen am 24.07.2024.