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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Die Ankunft Sr. kais. Hoheit des Erzherzogs Rudolf, den
30, Januar 1810.

Man begreift, daß er auch bei der Veröffentlichung dieser Ergüsse einer
höchst persönlichen Stimmung das Andenken an die Veranlassung erhalten wollte,
ohne seinen kaiserlichen Freund zu bezeichnen. Aber wie würde er protestirt
haben, daß er dem Erzherzog gegenüber diese "in schmeichelndem Kosen beseligter
Lust" flügelschlagende Sie vorstellen sollte. Man sieht, hier ist Veranlassung
und Situation von Beethoven selbst angegeben, aber im Ton muß der Meister
sich vergriffen haben, oder -- seine Interpreten.

Beethoven hatte sich, wie wir wissen, über seine Ausleger oft und lebhaft
beklagt, und er hatte Ursache dazu. Gewiß wäre er mit Mendelssohn ganz ein¬
verstanden gewesen, der an Svuchay schreibt: "Das, was mir eine Musik aus¬
spricht, die ich liebe, sind mir nicht zu unbestimmte Gedanken, um sie in
Worten zu fassen, sondern zu bestimmte. -- Fragen Sie mich, was ich mir
dabei gedacht habe, so sage ich: gerade das Lied wie -es dasteht. Und habe ich
bei dem einen oder andern ein bestimmtes Wort oder bestimmte Worte im
Sinne gehabt, so mag ich die doch keinem Menschen aussprechen, weil das Wort
dem einen nicht heißt was es dem andern heißt, weil nur das Lied dem einen
dasselbe sagen, dasselbe Gefühl in ihm erwecken kann, wie im andern -- ein
Gefühl, das sich aber nicht durch dieselben Worte ausdrücken läßt." Darum
können wir zufrieden sein, daß auch Beethoven seine Worte nicht ausgesprochen
hat, die nur zu Viele zu dem Irrthum verleitet haben würden, wer die Ueber-
schrift verstehe, der verstehe auch das Kunstwerk. Seine Musik sagt alles, was
er sagen wollte, sie ist und bleibt der lautere Quell, !aus dem jeder schöpfen
kann, der empfänglich ist.

Die Verhandlungen wegen einer Gescunmtausgabe waren wahrscheinlich eine
Veranlassung, daß Haßlinger eine Abschrift sämmtlicher beethovenscher Com-
positionen veranstaltete, die für den Druck hätte als Grundlage dienen können.
Später wurde diese durch einen Kalligraphen gleichmäßig und schön ausgeführte
Sammlung, welche Beethovens Werke nahezu vollständig enthält, vom Erzherzog
Rudolf angekauft und bildet in einer Reihe stattlicher Foliobände einen hervor¬
ragenden Schmuck seiner, von ihm der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien
vermachten Bibliothek. Leider ist aber bei der Anfertigung der Abschriften nur
das kalligraphische Interesse ins Auge gefaßt und keine Sorge getragen, daß
sie auch zuverlässig und correct seien, so daß sie als kritisches Hülfsmittel sich
so gut wie unbrauchbar erwiesen haben.

Nachdem durch Beethoven selbst keine Gescunmtausgabe zu Stande ge¬
kommen war, machte später K. PH. Dunst in Frankfurt den Anlauf zu
einer solchen. Aber ohne Einsicht in die Bedeutung der Aufgabe, wie ohne
die nöthigen Vorbereitungen und Mittel unternommen, blieb diese Ausgabe,


Die Ankunft Sr. kais. Hoheit des Erzherzogs Rudolf, den
30, Januar 1810.

Man begreift, daß er auch bei der Veröffentlichung dieser Ergüsse einer
höchst persönlichen Stimmung das Andenken an die Veranlassung erhalten wollte,
ohne seinen kaiserlichen Freund zu bezeichnen. Aber wie würde er protestirt
haben, daß er dem Erzherzog gegenüber diese „in schmeichelndem Kosen beseligter
Lust" flügelschlagende Sie vorstellen sollte. Man sieht, hier ist Veranlassung
und Situation von Beethoven selbst angegeben, aber im Ton muß der Meister
sich vergriffen haben, oder — seine Interpreten.

Beethoven hatte sich, wie wir wissen, über seine Ausleger oft und lebhaft
beklagt, und er hatte Ursache dazu. Gewiß wäre er mit Mendelssohn ganz ein¬
verstanden gewesen, der an Svuchay schreibt: „Das, was mir eine Musik aus¬
spricht, die ich liebe, sind mir nicht zu unbestimmte Gedanken, um sie in
Worten zu fassen, sondern zu bestimmte. — Fragen Sie mich, was ich mir
dabei gedacht habe, so sage ich: gerade das Lied wie -es dasteht. Und habe ich
bei dem einen oder andern ein bestimmtes Wort oder bestimmte Worte im
Sinne gehabt, so mag ich die doch keinem Menschen aussprechen, weil das Wort
dem einen nicht heißt was es dem andern heißt, weil nur das Lied dem einen
dasselbe sagen, dasselbe Gefühl in ihm erwecken kann, wie im andern — ein
Gefühl, das sich aber nicht durch dieselben Worte ausdrücken läßt." Darum
können wir zufrieden sein, daß auch Beethoven seine Worte nicht ausgesprochen
hat, die nur zu Viele zu dem Irrthum verleitet haben würden, wer die Ueber-
schrift verstehe, der verstehe auch das Kunstwerk. Seine Musik sagt alles, was
er sagen wollte, sie ist und bleibt der lautere Quell, !aus dem jeder schöpfen
kann, der empfänglich ist.

Die Verhandlungen wegen einer Gescunmtausgabe waren wahrscheinlich eine
Veranlassung, daß Haßlinger eine Abschrift sämmtlicher beethovenscher Com-
positionen veranstaltete, die für den Druck hätte als Grundlage dienen können.
Später wurde diese durch einen Kalligraphen gleichmäßig und schön ausgeführte
Sammlung, welche Beethovens Werke nahezu vollständig enthält, vom Erzherzog
Rudolf angekauft und bildet in einer Reihe stattlicher Foliobände einen hervor¬
ragenden Schmuck seiner, von ihm der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien
vermachten Bibliothek. Leider ist aber bei der Anfertigung der Abschriften nur
das kalligraphische Interesse ins Auge gefaßt und keine Sorge getragen, daß
sie auch zuverlässig und correct seien, so daß sie als kritisches Hülfsmittel sich
so gut wie unbrauchbar erwiesen haben.

Nachdem durch Beethoven selbst keine Gescunmtausgabe zu Stande ge¬
kommen war, machte später K. PH. Dunst in Frankfurt den Anlauf zu
einer solchen. Aber ohne Einsicht in die Bedeutung der Aufgabe, wie ohne
die nöthigen Vorbereitungen und Mittel unternommen, blieb diese Ausgabe,


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[0312] Die Ankunft Sr. kais. Hoheit des Erzherzogs Rudolf, den 30, Januar 1810. Man begreift, daß er auch bei der Veröffentlichung dieser Ergüsse einer höchst persönlichen Stimmung das Andenken an die Veranlassung erhalten wollte, ohne seinen kaiserlichen Freund zu bezeichnen. Aber wie würde er protestirt haben, daß er dem Erzherzog gegenüber diese „in schmeichelndem Kosen beseligter Lust" flügelschlagende Sie vorstellen sollte. Man sieht, hier ist Veranlassung und Situation von Beethoven selbst angegeben, aber im Ton muß der Meister sich vergriffen haben, oder — seine Interpreten. Beethoven hatte sich, wie wir wissen, über seine Ausleger oft und lebhaft beklagt, und er hatte Ursache dazu. Gewiß wäre er mit Mendelssohn ganz ein¬ verstanden gewesen, der an Svuchay schreibt: „Das, was mir eine Musik aus¬ spricht, die ich liebe, sind mir nicht zu unbestimmte Gedanken, um sie in Worten zu fassen, sondern zu bestimmte. — Fragen Sie mich, was ich mir dabei gedacht habe, so sage ich: gerade das Lied wie -es dasteht. Und habe ich bei dem einen oder andern ein bestimmtes Wort oder bestimmte Worte im Sinne gehabt, so mag ich die doch keinem Menschen aussprechen, weil das Wort dem einen nicht heißt was es dem andern heißt, weil nur das Lied dem einen dasselbe sagen, dasselbe Gefühl in ihm erwecken kann, wie im andern — ein Gefühl, das sich aber nicht durch dieselben Worte ausdrücken läßt." Darum können wir zufrieden sein, daß auch Beethoven seine Worte nicht ausgesprochen hat, die nur zu Viele zu dem Irrthum verleitet haben würden, wer die Ueber- schrift verstehe, der verstehe auch das Kunstwerk. Seine Musik sagt alles, was er sagen wollte, sie ist und bleibt der lautere Quell, !aus dem jeder schöpfen kann, der empfänglich ist. Die Verhandlungen wegen einer Gescunmtausgabe waren wahrscheinlich eine Veranlassung, daß Haßlinger eine Abschrift sämmtlicher beethovenscher Com- positionen veranstaltete, die für den Druck hätte als Grundlage dienen können. Später wurde diese durch einen Kalligraphen gleichmäßig und schön ausgeführte Sammlung, welche Beethovens Werke nahezu vollständig enthält, vom Erzherzog Rudolf angekauft und bildet in einer Reihe stattlicher Foliobände einen hervor¬ ragenden Schmuck seiner, von ihm der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien vermachten Bibliothek. Leider ist aber bei der Anfertigung der Abschriften nur das kalligraphische Interesse ins Auge gefaßt und keine Sorge getragen, daß sie auch zuverlässig und correct seien, so daß sie als kritisches Hülfsmittel sich so gut wie unbrauchbar erwiesen haben. Nachdem durch Beethoven selbst keine Gescunmtausgabe zu Stande ge¬ kommen war, machte später K. PH. Dunst in Frankfurt den Anlauf zu einer solchen. Aber ohne Einsicht in die Bedeutung der Aufgabe, wie ohne die nöthigen Vorbereitungen und Mittel unternommen, blieb diese Ausgabe,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/312>, abgerufen am 24.07.2024.